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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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dem Beginne der klassischen Periode bis zu den Erscheinungen der jüngsten
Zeit, da werden es eben nur die Parteigenossen sein, die seinem Urtheile oder
richtiger seiner Verurtheilung Lessings, Göthes und Schillers beizupflichten
vermögen.

Die Besorgung der rasch aufeinander folgenden Auflagen dieses Werkes
ist während der letzten zehn oder zwölf Jahre so ziemlich das einzige Lebens¬
zeichen gewesen, das der Germanist Mlmar gegeben. Desto thätiger arbeitete
aber der Theologe und leider auch der Politiker V. Denn wenn wir unser
Urtheil über seinen confessionellen Standpunkt und die daraus von ihm ge¬
zogenen praktischen Consequenzen zurückhalten und seinen Kampf für die streng
lutherische Fraction der hessischen Landeskirche, seine unversöhnliche Feindschaft
gegen alle vermittelnden Richtungen und namentlich gegen alles, was einer
Union der beiden protestantischen Confessionen ähnlich sah, allenfalls noch aus
einem an sich berechtigten, wenn auch einseitig verschobenen Standpunkt er¬
klärlich, freilich nicht gerechtfertigt finden, so hat der Politiker Vilmar auch
jetzt noch, wo der Tod sein milderndes und versöhnendes Recht geltend macht,
in unsern Augen sich schwer vergangen an den heiligsten Interessen der deut¬
schen Nation und an dem, was jedem wohlgebildeten und reinen Gemüthe
die ernsteste Sache sein sollte. Seiner ursprünglichen Anlage und Richtung
nach jener idealen Romantik des nationalen Strebens angehörig, das in der
Burschenschaft einstmals seinen prägnanten Ausdruck gefunden, ist er seit dem
Jahre 1848 allmählich zu einem verbissenen Feinde und Verfolger aller der
Ideen geworden, die er nicht blos einst selbst als die höchsten und innig¬
sten in sich und andern gepflegt hatte, sondern die er auch, wo sie ihm in
der Vergangenheit als die bestimmenden Mächte der deutschen Entwickelung
entgegentraten z. B. bei Walther von der Vogelweide oder bei unsern patrio¬
tischen Dichtern der Befreiungskriege, nach wie vor als solche anerkannte und
feierte. Er selbst ist sich dieses Widerspruches wahrscheinlich nie bewußt wor¬
den, aber um so mehr ist ein objectiver Beobachter berechtigt, darauf hin¬
zuweisen.

Käme es hier darauf an, den inneren und äußeren Pragmatismus dar¬
zulegen, mittelst dessen sich diese Wandlung bei V. vollzogen hat, so würde
in erster Reihe seine confessionelle Stellung zu beachten sein. Durch diese,
schroff wie er sie faßte und immer schroffer gestaltete, gerieth er zuerst in
theologische Opposition zu den liberalen und milderen Elementen innerhalb
seiner nächsten hessischen Heimath, bald aber auch in politische, denn wie
anderwärts ging auch hier religiöser und politischer Liberalismus zusammen/
ebenso wie sich die kirchlichen Nestaurationsversuche naturgemäß an die po^
litischen anlehnten oder von diesen ausgebeutet wurden. Es wäre aber auch
für eine noch reiner geartete Natur und einen noch selbstloseren Charakter,


dem Beginne der klassischen Periode bis zu den Erscheinungen der jüngsten
Zeit, da werden es eben nur die Parteigenossen sein, die seinem Urtheile oder
richtiger seiner Verurtheilung Lessings, Göthes und Schillers beizupflichten
vermögen.

Die Besorgung der rasch aufeinander folgenden Auflagen dieses Werkes
ist während der letzten zehn oder zwölf Jahre so ziemlich das einzige Lebens¬
zeichen gewesen, das der Germanist Mlmar gegeben. Desto thätiger arbeitete
aber der Theologe und leider auch der Politiker V. Denn wenn wir unser
Urtheil über seinen confessionellen Standpunkt und die daraus von ihm ge¬
zogenen praktischen Consequenzen zurückhalten und seinen Kampf für die streng
lutherische Fraction der hessischen Landeskirche, seine unversöhnliche Feindschaft
gegen alle vermittelnden Richtungen und namentlich gegen alles, was einer
Union der beiden protestantischen Confessionen ähnlich sah, allenfalls noch aus
einem an sich berechtigten, wenn auch einseitig verschobenen Standpunkt er¬
klärlich, freilich nicht gerechtfertigt finden, so hat der Politiker Vilmar auch
jetzt noch, wo der Tod sein milderndes und versöhnendes Recht geltend macht,
in unsern Augen sich schwer vergangen an den heiligsten Interessen der deut¬
schen Nation und an dem, was jedem wohlgebildeten und reinen Gemüthe
die ernsteste Sache sein sollte. Seiner ursprünglichen Anlage und Richtung
nach jener idealen Romantik des nationalen Strebens angehörig, das in der
Burschenschaft einstmals seinen prägnanten Ausdruck gefunden, ist er seit dem
Jahre 1848 allmählich zu einem verbissenen Feinde und Verfolger aller der
Ideen geworden, die er nicht blos einst selbst als die höchsten und innig¬
sten in sich und andern gepflegt hatte, sondern die er auch, wo sie ihm in
der Vergangenheit als die bestimmenden Mächte der deutschen Entwickelung
entgegentraten z. B. bei Walther von der Vogelweide oder bei unsern patrio¬
tischen Dichtern der Befreiungskriege, nach wie vor als solche anerkannte und
feierte. Er selbst ist sich dieses Widerspruches wahrscheinlich nie bewußt wor¬
den, aber um so mehr ist ein objectiver Beobachter berechtigt, darauf hin¬
zuweisen.

Käme es hier darauf an, den inneren und äußeren Pragmatismus dar¬
zulegen, mittelst dessen sich diese Wandlung bei V. vollzogen hat, so würde
in erster Reihe seine confessionelle Stellung zu beachten sein. Durch diese,
schroff wie er sie faßte und immer schroffer gestaltete, gerieth er zuerst in
theologische Opposition zu den liberalen und milderen Elementen innerhalb
seiner nächsten hessischen Heimath, bald aber auch in politische, denn wie
anderwärts ging auch hier religiöser und politischer Liberalismus zusammen/
ebenso wie sich die kirchlichen Nestaurationsversuche naturgemäß an die po^
litischen anlehnten oder von diesen ausgebeutet wurden. Es wäre aber auch
für eine noch reiner geartete Natur und einen noch selbstloseren Charakter,


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[0420] dem Beginne der klassischen Periode bis zu den Erscheinungen der jüngsten Zeit, da werden es eben nur die Parteigenossen sein, die seinem Urtheile oder richtiger seiner Verurtheilung Lessings, Göthes und Schillers beizupflichten vermögen. Die Besorgung der rasch aufeinander folgenden Auflagen dieses Werkes ist während der letzten zehn oder zwölf Jahre so ziemlich das einzige Lebens¬ zeichen gewesen, das der Germanist Mlmar gegeben. Desto thätiger arbeitete aber der Theologe und leider auch der Politiker V. Denn wenn wir unser Urtheil über seinen confessionellen Standpunkt und die daraus von ihm ge¬ zogenen praktischen Consequenzen zurückhalten und seinen Kampf für die streng lutherische Fraction der hessischen Landeskirche, seine unversöhnliche Feindschaft gegen alle vermittelnden Richtungen und namentlich gegen alles, was einer Union der beiden protestantischen Confessionen ähnlich sah, allenfalls noch aus einem an sich berechtigten, wenn auch einseitig verschobenen Standpunkt er¬ klärlich, freilich nicht gerechtfertigt finden, so hat der Politiker Vilmar auch jetzt noch, wo der Tod sein milderndes und versöhnendes Recht geltend macht, in unsern Augen sich schwer vergangen an den heiligsten Interessen der deut¬ schen Nation und an dem, was jedem wohlgebildeten und reinen Gemüthe die ernsteste Sache sein sollte. Seiner ursprünglichen Anlage und Richtung nach jener idealen Romantik des nationalen Strebens angehörig, das in der Burschenschaft einstmals seinen prägnanten Ausdruck gefunden, ist er seit dem Jahre 1848 allmählich zu einem verbissenen Feinde und Verfolger aller der Ideen geworden, die er nicht blos einst selbst als die höchsten und innig¬ sten in sich und andern gepflegt hatte, sondern die er auch, wo sie ihm in der Vergangenheit als die bestimmenden Mächte der deutschen Entwickelung entgegentraten z. B. bei Walther von der Vogelweide oder bei unsern patrio¬ tischen Dichtern der Befreiungskriege, nach wie vor als solche anerkannte und feierte. Er selbst ist sich dieses Widerspruches wahrscheinlich nie bewußt wor¬ den, aber um so mehr ist ein objectiver Beobachter berechtigt, darauf hin¬ zuweisen. Käme es hier darauf an, den inneren und äußeren Pragmatismus dar¬ zulegen, mittelst dessen sich diese Wandlung bei V. vollzogen hat, so würde in erster Reihe seine confessionelle Stellung zu beachten sein. Durch diese, schroff wie er sie faßte und immer schroffer gestaltete, gerieth er zuerst in theologische Opposition zu den liberalen und milderen Elementen innerhalb seiner nächsten hessischen Heimath, bald aber auch in politische, denn wie anderwärts ging auch hier religiöser und politischer Liberalismus zusammen/ ebenso wie sich die kirchlichen Nestaurationsversuche naturgemäß an die po^ litischen anlehnten oder von diesen ausgebeutet wurden. Es wäre aber auch für eine noch reiner geartete Natur und einen noch selbstloseren Charakter,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/420>, abgerufen am 04.07.2024.