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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Kunstverfalls die Monarchie allein verantwortlich zu machen. Wie im poli¬
tischen Leben der Griechen die Freistaaten sich überlebt hatten und der Mo¬
narchie weichen mußten, so war auch das poetische und künstlerische Schöpfungs¬
vermögen, wenn nicht erstorben, so doch wenigstens erlahmt. Ob der Rest
desselben unter andern Umständen sich günstiger entwickelt haben würde, ist
eine müssige Frage. Die Höfe nahmen die Kunst in Sold und Abhängig¬
keit; für die Art ihres Einflusses muß die Fülle neu gestellter Aufgaben ent¬
schädigen.

Die so entstandene neue Ausprägung der Kunst hat sich übrigens als
mächtig genug erwiesen, um unter ähnlichen Verhältnissen immer wieder
Anwendung zu finden. Als die östlichen Monarchien eine nach der andern
erloschen, um in das große Weltreich aufzugehen, da wurde mit der Macht
auch Pracht und Glanz derselben nach Rom verpflanzt. Anfangs fand die
Kunst hier ungünstigen Boden, aber bald entsteht die Monarchie, welche die
Kunst wesentlich auf die vorgezeichneten Bahnen lenkt, nur mit noch weit
geringerer Productionskraft und noch weit stärker ausgeprägtem Naturalts¬
mus. Von Rom wird dieselbe Richtung nach Constantinopel verpflanzt,
der byzantinische Hof wirkt auf die mittelalterlichen Höfe, bis unter Louis XIV.
und an den von Versailles abhängigen Höfen alle Mittel und Ideen jener
alten Hofkunst zu einem neuen künstlichen Leben erweckt werden. Dies zu
verfolgen liegt aber über unsere Aufgabe hinaus, da es hier nur darauf an¬
kam, die Uebertragung orientalischen Fürstenprunkes und orientalischer An¬
schauungen in die hellenische Kunstweise zu zeigen, d. h. in diejenige Kunst¬
sprache, welche für fast alle folgenden Zeiten die mustergiltige geworden ist.


A. M.


Ein deutsches Wörterbuch als varticularistische Demonstration.

Idiotikon von Kurhessen von Dr. A. F. C. Vilmar.

Der Verfasser des Buches, dessen Titel wir diesen Blättern vorgesetzt
haben, ist bekanntlich am 30. Juli dieses Jahres in noch rüstigem Alter plötz¬
lich gestorben. Seine vielseitige Begabung, seine interessante und anregende
Persönlichkeit sind von Anderen schon gebührend gewürdigt und werden ohne
Zweifel in dem Kreise, dem er durch Gesinnung und Wahlverwandtschaft der
Interessen angehörte, ihm ein dauerndes Andenken sichern. Auch wir anderen,
die wir an dem lebenden Manne leider einen heftigen und rücksichtslosen
Gegner bekämpfen mußten, wollen dem abgeschiedenen Feinde die Anerken¬
nung nicht versagen, daß er durch Talent, Wissen und Energie weit über


Kunstverfalls die Monarchie allein verantwortlich zu machen. Wie im poli¬
tischen Leben der Griechen die Freistaaten sich überlebt hatten und der Mo¬
narchie weichen mußten, so war auch das poetische und künstlerische Schöpfungs¬
vermögen, wenn nicht erstorben, so doch wenigstens erlahmt. Ob der Rest
desselben unter andern Umständen sich günstiger entwickelt haben würde, ist
eine müssige Frage. Die Höfe nahmen die Kunst in Sold und Abhängig¬
keit; für die Art ihres Einflusses muß die Fülle neu gestellter Aufgaben ent¬
schädigen.

Die so entstandene neue Ausprägung der Kunst hat sich übrigens als
mächtig genug erwiesen, um unter ähnlichen Verhältnissen immer wieder
Anwendung zu finden. Als die östlichen Monarchien eine nach der andern
erloschen, um in das große Weltreich aufzugehen, da wurde mit der Macht
auch Pracht und Glanz derselben nach Rom verpflanzt. Anfangs fand die
Kunst hier ungünstigen Boden, aber bald entsteht die Monarchie, welche die
Kunst wesentlich auf die vorgezeichneten Bahnen lenkt, nur mit noch weit
geringerer Productionskraft und noch weit stärker ausgeprägtem Naturalts¬
mus. Von Rom wird dieselbe Richtung nach Constantinopel verpflanzt,
der byzantinische Hof wirkt auf die mittelalterlichen Höfe, bis unter Louis XIV.
und an den von Versailles abhängigen Höfen alle Mittel und Ideen jener
alten Hofkunst zu einem neuen künstlichen Leben erweckt werden. Dies zu
verfolgen liegt aber über unsere Aufgabe hinaus, da es hier nur darauf an¬
kam, die Uebertragung orientalischen Fürstenprunkes und orientalischer An¬
schauungen in die hellenische Kunstweise zu zeigen, d. h. in diejenige Kunst¬
sprache, welche für fast alle folgenden Zeiten die mustergiltige geworden ist.


A. M.


Ein deutsches Wörterbuch als varticularistische Demonstration.

Idiotikon von Kurhessen von Dr. A. F. C. Vilmar.

Der Verfasser des Buches, dessen Titel wir diesen Blättern vorgesetzt
haben, ist bekanntlich am 30. Juli dieses Jahres in noch rüstigem Alter plötz¬
lich gestorben. Seine vielseitige Begabung, seine interessante und anregende
Persönlichkeit sind von Anderen schon gebührend gewürdigt und werden ohne
Zweifel in dem Kreise, dem er durch Gesinnung und Wahlverwandtschaft der
Interessen angehörte, ihm ein dauerndes Andenken sichern. Auch wir anderen,
die wir an dem lebenden Manne leider einen heftigen und rücksichtslosen
Gegner bekämpfen mußten, wollen dem abgeschiedenen Feinde die Anerken¬
nung nicht versagen, daß er durch Talent, Wissen und Energie weit über


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[0418] Kunstverfalls die Monarchie allein verantwortlich zu machen. Wie im poli¬ tischen Leben der Griechen die Freistaaten sich überlebt hatten und der Mo¬ narchie weichen mußten, so war auch das poetische und künstlerische Schöpfungs¬ vermögen, wenn nicht erstorben, so doch wenigstens erlahmt. Ob der Rest desselben unter andern Umständen sich günstiger entwickelt haben würde, ist eine müssige Frage. Die Höfe nahmen die Kunst in Sold und Abhängig¬ keit; für die Art ihres Einflusses muß die Fülle neu gestellter Aufgaben ent¬ schädigen. Die so entstandene neue Ausprägung der Kunst hat sich übrigens als mächtig genug erwiesen, um unter ähnlichen Verhältnissen immer wieder Anwendung zu finden. Als die östlichen Monarchien eine nach der andern erloschen, um in das große Weltreich aufzugehen, da wurde mit der Macht auch Pracht und Glanz derselben nach Rom verpflanzt. Anfangs fand die Kunst hier ungünstigen Boden, aber bald entsteht die Monarchie, welche die Kunst wesentlich auf die vorgezeichneten Bahnen lenkt, nur mit noch weit geringerer Productionskraft und noch weit stärker ausgeprägtem Naturalts¬ mus. Von Rom wird dieselbe Richtung nach Constantinopel verpflanzt, der byzantinische Hof wirkt auf die mittelalterlichen Höfe, bis unter Louis XIV. und an den von Versailles abhängigen Höfen alle Mittel und Ideen jener alten Hofkunst zu einem neuen künstlichen Leben erweckt werden. Dies zu verfolgen liegt aber über unsere Aufgabe hinaus, da es hier nur darauf an¬ kam, die Uebertragung orientalischen Fürstenprunkes und orientalischer An¬ schauungen in die hellenische Kunstweise zu zeigen, d. h. in diejenige Kunst¬ sprache, welche für fast alle folgenden Zeiten die mustergiltige geworden ist. A. M. Ein deutsches Wörterbuch als varticularistische Demonstration. Idiotikon von Kurhessen von Dr. A. F. C. Vilmar. Der Verfasser des Buches, dessen Titel wir diesen Blättern vorgesetzt haben, ist bekanntlich am 30. Juli dieses Jahres in noch rüstigem Alter plötz¬ lich gestorben. Seine vielseitige Begabung, seine interessante und anregende Persönlichkeit sind von Anderen schon gebührend gewürdigt und werden ohne Zweifel in dem Kreise, dem er durch Gesinnung und Wahlverwandtschaft der Interessen angehörte, ihm ein dauerndes Andenken sichern. Auch wir anderen, die wir an dem lebenden Manne leider einen heftigen und rücksichtslosen Gegner bekämpfen mußten, wollen dem abgeschiedenen Feinde die Anerken¬ nung nicht versagen, daß er durch Talent, Wissen und Energie weit über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/418>, abgerufen am 04.07.2024.