Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ging man jetzt einen bedeutenden Schreit weiter, indem man solchergestalt
ganz abstracte Reflexionen in Kunstwerke umsetzte. Die Künstler, die das
thun und das Publikum, welches dergleichen Dinge schön und vor Allem
geistreich findet, stehen aber den Aufgaben der Kunst weder naiv gegenüber,
noch sind sie einsichtig genug, die Grenzen der verschiedenen Geistesthätigkeiten
zu berücksichtigen. Wärme doch schon der Zeitgenosse jener Künstler, Aristo¬
teles, man solle von einer bestimmten Kunstgattung nicht jegliche Art von
Genuß, sondern nur den ihr eigenthümlichen verlangen.

Alle Mittel der verschiedenen Kunstzweige wirken endlich zusammen zum
Zwecke reicher Decoration. Diese Richtung, schon früher allmählich vor-
bereitet, erreichte rasch den unglaublichsten Umfang. Als Alexanders Lieb¬
ling Hephästion gestorben war, gab der König dem Deinokrates, dessen
Athosproject er einst verworfen hatte, den Auftrag, für die Bestattung des
Freundes in Babylon den Scheiterhaufen herzurichten; in den Mitteln war der
hochfliegende Sinn des Architekten ganz unbehindert. So entstand ein Bau
von 400 Fuß ins Gevierte, ganz aus Palmenholz errichtet erhob er sich in
fünf Stockwerken bis zu 200 Fuß, außen auf das Verschwenderischeste mit
goldenen und goldelfenbeinernen Bildwerken, zum Theil von kolossaler Größe,
ausgestattet. Nahezu 20 Millionen Thaler kostete das Werk, das an Größe
.mit den Pyramiden wetteifern konnte, an Pracht dieselben weit übertraf,
^aber bestimmt war, verbrannt zu werden! Es ist das erste, aber auch un¬
übertroffene Beispiel solcher Kunstverschwendung zu rein ephemeren Zwecken.
Dem gegenüber war es fast bescheiden zu nennen, wenn für den Transport
der Leiche des Königs selber von Babylon nach Alexandrien ein Wagen ge¬
baut ward, dessen Grabkammer ein Viereck von 12 zu 18 Fuß bildete, und
welcher von 64 Maulthieren nur mit Mühe fortbewegt werden konnte, nach¬
dem alle erdenklichen Mittel der Technik und Mechanik angewandt worden
waren, -- das Ganze ein Werk zweijähriger Arbeit.

Indessen ward solche Pracht nicht allein an so vergängliche Schöpfungen
gewandt, sondern auch die festen Bauten, Paläste und Häuser, wurden mit
größerem Luxus ausgestattet und namentlich mit reichem Prachtgeräth aus
Marmor und allen edlen Metallen versehen. Das Bedürfniß, auch kleineren
Räumen entsprechenden künstlerischen Schmuck zu verschaffen, begünstigte na¬
mentlich die Entwicklung der bisher nur spärlich geübten Genrekunst, die nun?
in der Plastik wie in der Malerei aufblühe. Wir lesen von Werken, wie
man sie meistens nur in der neueren Kunst zu suchen gewohnt ist, z. B. von
Lichteffecten, die an die holländische Malerei erinnern: Apelles' Nebenbuhler Anti-
philos stellte einen Knaben dar, welcher im dunkeln Zimmer Feuer anbläst, sodaß
sein Mund roth wiederschien und die geschmückten Wände ringsum die Helle zu¬
rückstrahlten. Die Beschäftigungen der verschiedenen Handwerker wurden ein be-


ging man jetzt einen bedeutenden Schreit weiter, indem man solchergestalt
ganz abstracte Reflexionen in Kunstwerke umsetzte. Die Künstler, die das
thun und das Publikum, welches dergleichen Dinge schön und vor Allem
geistreich findet, stehen aber den Aufgaben der Kunst weder naiv gegenüber,
noch sind sie einsichtig genug, die Grenzen der verschiedenen Geistesthätigkeiten
zu berücksichtigen. Wärme doch schon der Zeitgenosse jener Künstler, Aristo¬
teles, man solle von einer bestimmten Kunstgattung nicht jegliche Art von
Genuß, sondern nur den ihr eigenthümlichen verlangen.

Alle Mittel der verschiedenen Kunstzweige wirken endlich zusammen zum
Zwecke reicher Decoration. Diese Richtung, schon früher allmählich vor-
bereitet, erreichte rasch den unglaublichsten Umfang. Als Alexanders Lieb¬
ling Hephästion gestorben war, gab der König dem Deinokrates, dessen
Athosproject er einst verworfen hatte, den Auftrag, für die Bestattung des
Freundes in Babylon den Scheiterhaufen herzurichten; in den Mitteln war der
hochfliegende Sinn des Architekten ganz unbehindert. So entstand ein Bau
von 400 Fuß ins Gevierte, ganz aus Palmenholz errichtet erhob er sich in
fünf Stockwerken bis zu 200 Fuß, außen auf das Verschwenderischeste mit
goldenen und goldelfenbeinernen Bildwerken, zum Theil von kolossaler Größe,
ausgestattet. Nahezu 20 Millionen Thaler kostete das Werk, das an Größe
.mit den Pyramiden wetteifern konnte, an Pracht dieselben weit übertraf,
^aber bestimmt war, verbrannt zu werden! Es ist das erste, aber auch un¬
übertroffene Beispiel solcher Kunstverschwendung zu rein ephemeren Zwecken.
Dem gegenüber war es fast bescheiden zu nennen, wenn für den Transport
der Leiche des Königs selber von Babylon nach Alexandrien ein Wagen ge¬
baut ward, dessen Grabkammer ein Viereck von 12 zu 18 Fuß bildete, und
welcher von 64 Maulthieren nur mit Mühe fortbewegt werden konnte, nach¬
dem alle erdenklichen Mittel der Technik und Mechanik angewandt worden
waren, — das Ganze ein Werk zweijähriger Arbeit.

Indessen ward solche Pracht nicht allein an so vergängliche Schöpfungen
gewandt, sondern auch die festen Bauten, Paläste und Häuser, wurden mit
größerem Luxus ausgestattet und namentlich mit reichem Prachtgeräth aus
Marmor und allen edlen Metallen versehen. Das Bedürfniß, auch kleineren
Räumen entsprechenden künstlerischen Schmuck zu verschaffen, begünstigte na¬
mentlich die Entwicklung der bisher nur spärlich geübten Genrekunst, die nun?
in der Plastik wie in der Malerei aufblühe. Wir lesen von Werken, wie
man sie meistens nur in der neueren Kunst zu suchen gewohnt ist, z. B. von
Lichteffecten, die an die holländische Malerei erinnern: Apelles' Nebenbuhler Anti-
philos stellte einen Knaben dar, welcher im dunkeln Zimmer Feuer anbläst, sodaß
sein Mund roth wiederschien und die geschmückten Wände ringsum die Helle zu¬
rückstrahlten. Die Beschäftigungen der verschiedenen Handwerker wurden ein be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0408" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287120"/>
          <p xml:id="ID_1040" prev="#ID_1039"> ging man jetzt einen bedeutenden Schreit weiter, indem man solchergestalt<lb/>
ganz abstracte Reflexionen in Kunstwerke umsetzte. Die Künstler, die das<lb/>
thun und das Publikum, welches dergleichen Dinge schön und vor Allem<lb/>
geistreich findet, stehen aber den Aufgaben der Kunst weder naiv gegenüber,<lb/>
noch sind sie einsichtig genug, die Grenzen der verschiedenen Geistesthätigkeiten<lb/>
zu berücksichtigen. Wärme doch schon der Zeitgenosse jener Künstler, Aristo¬<lb/>
teles, man solle von einer bestimmten Kunstgattung nicht jegliche Art von<lb/>
Genuß, sondern nur den ihr eigenthümlichen verlangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1041"> Alle Mittel der verschiedenen Kunstzweige wirken endlich zusammen zum<lb/>
Zwecke reicher Decoration. Diese Richtung, schon früher allmählich vor-<lb/>
bereitet, erreichte rasch den unglaublichsten Umfang. Als Alexanders Lieb¬<lb/>
ling Hephästion gestorben war, gab der König dem Deinokrates, dessen<lb/>
Athosproject er einst verworfen hatte, den Auftrag, für die Bestattung des<lb/>
Freundes in Babylon den Scheiterhaufen herzurichten; in den Mitteln war der<lb/>
hochfliegende Sinn des Architekten ganz unbehindert. So entstand ein Bau<lb/>
von 400 Fuß ins Gevierte, ganz aus Palmenholz errichtet erhob er sich in<lb/>
fünf Stockwerken bis zu 200 Fuß, außen auf das Verschwenderischeste mit<lb/>
goldenen und goldelfenbeinernen Bildwerken, zum Theil von kolossaler Größe,<lb/>
ausgestattet. Nahezu 20 Millionen Thaler kostete das Werk, das an Größe<lb/>
.mit den Pyramiden wetteifern konnte, an Pracht dieselben weit übertraf,<lb/>
^aber bestimmt war, verbrannt zu werden! Es ist das erste, aber auch un¬<lb/>
übertroffene Beispiel solcher Kunstverschwendung zu rein ephemeren Zwecken.<lb/>
Dem gegenüber war es fast bescheiden zu nennen, wenn für den Transport<lb/>
der Leiche des Königs selber von Babylon nach Alexandrien ein Wagen ge¬<lb/>
baut ward, dessen Grabkammer ein Viereck von 12 zu 18 Fuß bildete, und<lb/>
welcher von 64 Maulthieren nur mit Mühe fortbewegt werden konnte, nach¬<lb/>
dem alle erdenklichen Mittel der Technik und Mechanik angewandt worden<lb/>
waren, &#x2014; das Ganze ein Werk zweijähriger Arbeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1042" next="#ID_1043"> Indessen ward solche Pracht nicht allein an so vergängliche Schöpfungen<lb/>
gewandt, sondern auch die festen Bauten, Paläste und Häuser, wurden mit<lb/>
größerem Luxus ausgestattet und namentlich mit reichem Prachtgeräth aus<lb/>
Marmor und allen edlen Metallen versehen. Das Bedürfniß, auch kleineren<lb/>
Räumen entsprechenden künstlerischen Schmuck zu verschaffen, begünstigte na¬<lb/>
mentlich die Entwicklung der bisher nur spärlich geübten Genrekunst, die nun?<lb/>
in der Plastik wie in der Malerei aufblühe. Wir lesen von Werken, wie<lb/>
man sie meistens nur in der neueren Kunst zu suchen gewohnt ist, z. B. von<lb/>
Lichteffecten, die an die holländische Malerei erinnern: Apelles' Nebenbuhler Anti-<lb/>
philos stellte einen Knaben dar, welcher im dunkeln Zimmer Feuer anbläst, sodaß<lb/>
sein Mund roth wiederschien und die geschmückten Wände ringsum die Helle zu¬<lb/>
rückstrahlten. Die Beschäftigungen der verschiedenen Handwerker wurden ein be-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0408] ging man jetzt einen bedeutenden Schreit weiter, indem man solchergestalt ganz abstracte Reflexionen in Kunstwerke umsetzte. Die Künstler, die das thun und das Publikum, welches dergleichen Dinge schön und vor Allem geistreich findet, stehen aber den Aufgaben der Kunst weder naiv gegenüber, noch sind sie einsichtig genug, die Grenzen der verschiedenen Geistesthätigkeiten zu berücksichtigen. Wärme doch schon der Zeitgenosse jener Künstler, Aristo¬ teles, man solle von einer bestimmten Kunstgattung nicht jegliche Art von Genuß, sondern nur den ihr eigenthümlichen verlangen. Alle Mittel der verschiedenen Kunstzweige wirken endlich zusammen zum Zwecke reicher Decoration. Diese Richtung, schon früher allmählich vor- bereitet, erreichte rasch den unglaublichsten Umfang. Als Alexanders Lieb¬ ling Hephästion gestorben war, gab der König dem Deinokrates, dessen Athosproject er einst verworfen hatte, den Auftrag, für die Bestattung des Freundes in Babylon den Scheiterhaufen herzurichten; in den Mitteln war der hochfliegende Sinn des Architekten ganz unbehindert. So entstand ein Bau von 400 Fuß ins Gevierte, ganz aus Palmenholz errichtet erhob er sich in fünf Stockwerken bis zu 200 Fuß, außen auf das Verschwenderischeste mit goldenen und goldelfenbeinernen Bildwerken, zum Theil von kolossaler Größe, ausgestattet. Nahezu 20 Millionen Thaler kostete das Werk, das an Größe .mit den Pyramiden wetteifern konnte, an Pracht dieselben weit übertraf, ^aber bestimmt war, verbrannt zu werden! Es ist das erste, aber auch un¬ übertroffene Beispiel solcher Kunstverschwendung zu rein ephemeren Zwecken. Dem gegenüber war es fast bescheiden zu nennen, wenn für den Transport der Leiche des Königs selber von Babylon nach Alexandrien ein Wagen ge¬ baut ward, dessen Grabkammer ein Viereck von 12 zu 18 Fuß bildete, und welcher von 64 Maulthieren nur mit Mühe fortbewegt werden konnte, nach¬ dem alle erdenklichen Mittel der Technik und Mechanik angewandt worden waren, — das Ganze ein Werk zweijähriger Arbeit. Indessen ward solche Pracht nicht allein an so vergängliche Schöpfungen gewandt, sondern auch die festen Bauten, Paläste und Häuser, wurden mit größerem Luxus ausgestattet und namentlich mit reichem Prachtgeräth aus Marmor und allen edlen Metallen versehen. Das Bedürfniß, auch kleineren Räumen entsprechenden künstlerischen Schmuck zu verschaffen, begünstigte na¬ mentlich die Entwicklung der bisher nur spärlich geübten Genrekunst, die nun? in der Plastik wie in der Malerei aufblühe. Wir lesen von Werken, wie man sie meistens nur in der neueren Kunst zu suchen gewohnt ist, z. B. von Lichteffecten, die an die holländische Malerei erinnern: Apelles' Nebenbuhler Anti- philos stellte einen Knaben dar, welcher im dunkeln Zimmer Feuer anbläst, sodaß sein Mund roth wiederschien und die geschmückten Wände ringsum die Helle zu¬ rückstrahlten. Die Beschäftigungen der verschiedenen Handwerker wurden ein be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/408
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/408>, abgerufen am 04.07.2024.