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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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bestand, daß die Hoffnungen einer Wiedereroberung der alten Herrschaft in
Italien in den Regierungskreisen so gut wie verschwunden und auch am Hofe
beträchtlich vermindert waren, vorausgesetzt, daß nicht die Verschlimmerung
der inneren Lage des Königreichs diese Hoffnungen wieder aufweckte. Die
einzige ernstliche Schwierigkeit bestand in der Erwägung, daß die östreichische
Macht in erster Linie auf dem Heere ruhe, und daß man die militärischen
Stellungen, für welche diese Armee Ströme Blutes vergossen hatte, nicht auf¬
geben konnte ohne diesen so einflußreichen Stand tief zu kränken. Zweitens aber:
wenn für Oestreich die venetianische Frage zu einer Frage der militärischen
Ehre erklärt war, so konnte man zwar nicht die Hoffnung einer Lösung nähren,
welche die Nothwendigkeit des Kampfes beseitigte; allein dieser Kampf konnte
dann mehr denCharakter eines militärischen Du eilf hab en, als
den eines hartnäckigen Krieges, da Oestreich in der Sache bereits auf
den Verlust Venetiens vorbereitet war. Diese Verhandlungen endigten im
November 1866; ohne Zweifel blieben sie in Berlin nicht völlig unbekannt,
und schon aus diesem Grunde, meint Jacini, waren sie für Italien nützlich.

Inzwischen hatten im October 1865 die allgemeinen Wahlen in Italien
stattgefunden. Sie fielen ungünstig für das Ministerium aus, und das gegen
den Finanzminister Sella gerichtete Votum der neuen Kammer vom 19. Decem¬
ber führte zu einer Ministerkrisis. Wenn Lamarmora jetzt trotz dieses Mi߬
trauensvotums am Ruder blieb und nur eine theilweise Modification des
Ministeriums vornahm, so wirkte dazu eben die Rücksicht auf den Stand der
Dinge in Deutschland mit. Gegen Ende dieses Jahres hatte sich die Lage
in den Herzogthümern wieder verschlimmert, d. h. für Italien aussichts¬
voller gestaltet. Freilich konnte man nicht wissen, ob nicht diese Aussicht
wieder schwinden werde oder ob nicht wenigstens ihre Verwirklichung Monate,
vielleicht Jahre lang auf sich warten lasse. Und nun fand Lamarmora, der
das Cabinet wieder herstellen sollte, keinen Finanzminister, der nicht im In¬
teresse der immer bedrohlicher sich verfinsternden Finanzlage des Königreichs
auf umfassenden Reductionen im Heerwesen bestand. Lamarmora sah sich
genöthigt, wohl oder übel wenigstens in etwas entgegenzukommen. Er wil¬
ligte ein, daß die Aushebung dieses Jahres verzögert und eine Anzahl Pferde
verkauft würden. Damit war wenigstens ein Theil der Forderungen der
Finanzwelt zugestanden, ohne daß im Fall eines bevorstehenden Kriegs das
Heer wirklich geschwächt worden wäre. Zugleich war diese Maßregel für den
eventuellen Alliirten ein sehr verständlicher Fingerzeig, daß Italien an einem
Punkte angelangt war, wo es unmöglich lange Zeit bewaffneten Arms stehen
bleiben konnte, und daß, wenn man sich nicht beeilte mit ihm sich zu verstän¬
digen, infolge des Stands der italienischen Finanzen ein Versuch zu gemein¬
schaftlicher Action leicht zu spät kam.


Grenzboten III. 18K8. 47

bestand, daß die Hoffnungen einer Wiedereroberung der alten Herrschaft in
Italien in den Regierungskreisen so gut wie verschwunden und auch am Hofe
beträchtlich vermindert waren, vorausgesetzt, daß nicht die Verschlimmerung
der inneren Lage des Königreichs diese Hoffnungen wieder aufweckte. Die
einzige ernstliche Schwierigkeit bestand in der Erwägung, daß die östreichische
Macht in erster Linie auf dem Heere ruhe, und daß man die militärischen
Stellungen, für welche diese Armee Ströme Blutes vergossen hatte, nicht auf¬
geben konnte ohne diesen so einflußreichen Stand tief zu kränken. Zweitens aber:
wenn für Oestreich die venetianische Frage zu einer Frage der militärischen
Ehre erklärt war, so konnte man zwar nicht die Hoffnung einer Lösung nähren,
welche die Nothwendigkeit des Kampfes beseitigte; allein dieser Kampf konnte
dann mehr denCharakter eines militärischen Du eilf hab en, als
den eines hartnäckigen Krieges, da Oestreich in der Sache bereits auf
den Verlust Venetiens vorbereitet war. Diese Verhandlungen endigten im
November 1866; ohne Zweifel blieben sie in Berlin nicht völlig unbekannt,
und schon aus diesem Grunde, meint Jacini, waren sie für Italien nützlich.

Inzwischen hatten im October 1865 die allgemeinen Wahlen in Italien
stattgefunden. Sie fielen ungünstig für das Ministerium aus, und das gegen
den Finanzminister Sella gerichtete Votum der neuen Kammer vom 19. Decem¬
ber führte zu einer Ministerkrisis. Wenn Lamarmora jetzt trotz dieses Mi߬
trauensvotums am Ruder blieb und nur eine theilweise Modification des
Ministeriums vornahm, so wirkte dazu eben die Rücksicht auf den Stand der
Dinge in Deutschland mit. Gegen Ende dieses Jahres hatte sich die Lage
in den Herzogthümern wieder verschlimmert, d. h. für Italien aussichts¬
voller gestaltet. Freilich konnte man nicht wissen, ob nicht diese Aussicht
wieder schwinden werde oder ob nicht wenigstens ihre Verwirklichung Monate,
vielleicht Jahre lang auf sich warten lasse. Und nun fand Lamarmora, der
das Cabinet wieder herstellen sollte, keinen Finanzminister, der nicht im In¬
teresse der immer bedrohlicher sich verfinsternden Finanzlage des Königreichs
auf umfassenden Reductionen im Heerwesen bestand. Lamarmora sah sich
genöthigt, wohl oder übel wenigstens in etwas entgegenzukommen. Er wil¬
ligte ein, daß die Aushebung dieses Jahres verzögert und eine Anzahl Pferde
verkauft würden. Damit war wenigstens ein Theil der Forderungen der
Finanzwelt zugestanden, ohne daß im Fall eines bevorstehenden Kriegs das
Heer wirklich geschwächt worden wäre. Zugleich war diese Maßregel für den
eventuellen Alliirten ein sehr verständlicher Fingerzeig, daß Italien an einem
Punkte angelangt war, wo es unmöglich lange Zeit bewaffneten Arms stehen
bleiben konnte, und daß, wenn man sich nicht beeilte mit ihm sich zu verstän¬
digen, infolge des Stands der italienischen Finanzen ein Versuch zu gemein¬
schaftlicher Action leicht zu spät kam.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/397>, abgerufen am 04.07.2024.