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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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eines allgemein verbreiteten Mißbehagens^ Durch die Aufhebung von sechs
Staaten, durch die neuen Verwaltungsnormen, die neuen Steuersysteme waren
tausend Interessen verletzt; schwere Opfer wurden verlangt ohne daß der Ersatz
für diese Opfer sich noch fühlbar machen konnte. Durch die vorzeitige Ver¬
legung der Hauptstadt -- vorzeitig auch nach der Meinung Jacini's und
seiner College", welche gleichwohl den nicht rückgängig zu machenden Vertrag
durchzuführen sich entschlossen -- war der Schwerpunkt des Staats verrückt,
bevor die neue Ordnung hinreichend sich befestigt hatte, und gleichzeitig
die bisher conservativste Provinz, noch immer Kern und Stütze des Ganzen,
in eine unversöhnliche Opposition gedrängt. Endlich der Rath, einzig dem
innern Ausbau des Staatswesens die Kräfte zu widmen, scheiterte nicht blos
an der Unmöglichkeit, das Heer wesentlich zu reduciren, so lange eine feind¬
liche Macht sich im Festungsviereck hielt, sondern auch an der Unmöglichkeit,
die revolutionären Parteien im Innern zu beschwichtigen, so lange die natio¬
nale Einheit nicht vollendet war. Das Ministerium verhehlte sich nicht den
Ernst dieser Lage; die einzige Rettung schien ihm die Befreiung Venetiens.
War diese erlangt, so war die Periode der Revolution geschlossen: nach außen
und innen war die Einhaltung einer friedlichen, konservativen, reformatori¬
schen Politik möglich.

Während so die Befreiung Venetiens als eine Angelegenheit höchster
Dringlichkeit anerkannt war. thürmten sich gleichzeitig die Wolken zwischen
den beiden deutschen Großmächten auf. Es war im Hinblick auf diese Lage,
daß von Seiten Italiens zuerst das Mittel eines gütlichen Abkommens mit
Oestreich versucht wurde. Lamarmora wandte sich zu diefem Zweck an die
guten Dienste Englands und Frankreichs, jedoch ohne Erfolg. Von da an
wurde aufmerksam der Gang der Dinge in Deutschland verfolgt. Da Italien
nicht daran denken konnte, mit eigenen Kräften Oestreich aus dem Festungs¬
viereck zu vertreiben, so mußte irgend eine Gelegenheit, die Möglichkeit eines
Bündnisses abgewartet werden. Der Beistand Frankreichs war gleichfalls
von vorn herein ausgeschlossen, und so konnte Italien nur die Blicke nach
Deutschland richten, wo eben jetzt verwandte Interessen, die lange Jahre ge¬
schlummert hatten, sich zu regen anfingen und günstige Aussichten eröffneten.
Und diese Anzeichen waren, wie der Italiener nicht vergißt hinzuzufügen,
um so kostbarer, als sie einen Bruch innerhalb des deutschen Bundes ankün¬
digten, der indirect, nämlich als Deckung Oestreichs, wiederholt sich als ein
Haupthinderniß der völligen Unabhängigkeit Italiens gezeigt hatte.

Bis zum Jahre 1866 waren die Beziehungen Italiens und Preußens
keineswegs intim gewesen, wenn auch letzteres das Königreich anerkannt hatte.
Der conservative Charakter der preußischen Politik stimmte nicht mit der trium-
phirenden Revolution in Italien. Als im Winter 1864 auf 1865 der Kron-


eines allgemein verbreiteten Mißbehagens^ Durch die Aufhebung von sechs
Staaten, durch die neuen Verwaltungsnormen, die neuen Steuersysteme waren
tausend Interessen verletzt; schwere Opfer wurden verlangt ohne daß der Ersatz
für diese Opfer sich noch fühlbar machen konnte. Durch die vorzeitige Ver¬
legung der Hauptstadt — vorzeitig auch nach der Meinung Jacini's und
seiner College», welche gleichwohl den nicht rückgängig zu machenden Vertrag
durchzuführen sich entschlossen — war der Schwerpunkt des Staats verrückt,
bevor die neue Ordnung hinreichend sich befestigt hatte, und gleichzeitig
die bisher conservativste Provinz, noch immer Kern und Stütze des Ganzen,
in eine unversöhnliche Opposition gedrängt. Endlich der Rath, einzig dem
innern Ausbau des Staatswesens die Kräfte zu widmen, scheiterte nicht blos
an der Unmöglichkeit, das Heer wesentlich zu reduciren, so lange eine feind¬
liche Macht sich im Festungsviereck hielt, sondern auch an der Unmöglichkeit,
die revolutionären Parteien im Innern zu beschwichtigen, so lange die natio¬
nale Einheit nicht vollendet war. Das Ministerium verhehlte sich nicht den
Ernst dieser Lage; die einzige Rettung schien ihm die Befreiung Venetiens.
War diese erlangt, so war die Periode der Revolution geschlossen: nach außen
und innen war die Einhaltung einer friedlichen, konservativen, reformatori¬
schen Politik möglich.

Während so die Befreiung Venetiens als eine Angelegenheit höchster
Dringlichkeit anerkannt war. thürmten sich gleichzeitig die Wolken zwischen
den beiden deutschen Großmächten auf. Es war im Hinblick auf diese Lage,
daß von Seiten Italiens zuerst das Mittel eines gütlichen Abkommens mit
Oestreich versucht wurde. Lamarmora wandte sich zu diefem Zweck an die
guten Dienste Englands und Frankreichs, jedoch ohne Erfolg. Von da an
wurde aufmerksam der Gang der Dinge in Deutschland verfolgt. Da Italien
nicht daran denken konnte, mit eigenen Kräften Oestreich aus dem Festungs¬
viereck zu vertreiben, so mußte irgend eine Gelegenheit, die Möglichkeit eines
Bündnisses abgewartet werden. Der Beistand Frankreichs war gleichfalls
von vorn herein ausgeschlossen, und so konnte Italien nur die Blicke nach
Deutschland richten, wo eben jetzt verwandte Interessen, die lange Jahre ge¬
schlummert hatten, sich zu regen anfingen und günstige Aussichten eröffneten.
Und diese Anzeichen waren, wie der Italiener nicht vergißt hinzuzufügen,
um so kostbarer, als sie einen Bruch innerhalb des deutschen Bundes ankün¬
digten, der indirect, nämlich als Deckung Oestreichs, wiederholt sich als ein
Haupthinderniß der völligen Unabhängigkeit Italiens gezeigt hatte.

Bis zum Jahre 1866 waren die Beziehungen Italiens und Preußens
keineswegs intim gewesen, wenn auch letzteres das Königreich anerkannt hatte.
Der conservative Charakter der preußischen Politik stimmte nicht mit der trium-
phirenden Revolution in Italien. Als im Winter 1864 auf 1865 der Kron-


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[0392] eines allgemein verbreiteten Mißbehagens^ Durch die Aufhebung von sechs Staaten, durch die neuen Verwaltungsnormen, die neuen Steuersysteme waren tausend Interessen verletzt; schwere Opfer wurden verlangt ohne daß der Ersatz für diese Opfer sich noch fühlbar machen konnte. Durch die vorzeitige Ver¬ legung der Hauptstadt — vorzeitig auch nach der Meinung Jacini's und seiner College», welche gleichwohl den nicht rückgängig zu machenden Vertrag durchzuführen sich entschlossen — war der Schwerpunkt des Staats verrückt, bevor die neue Ordnung hinreichend sich befestigt hatte, und gleichzeitig die bisher conservativste Provinz, noch immer Kern und Stütze des Ganzen, in eine unversöhnliche Opposition gedrängt. Endlich der Rath, einzig dem innern Ausbau des Staatswesens die Kräfte zu widmen, scheiterte nicht blos an der Unmöglichkeit, das Heer wesentlich zu reduciren, so lange eine feind¬ liche Macht sich im Festungsviereck hielt, sondern auch an der Unmöglichkeit, die revolutionären Parteien im Innern zu beschwichtigen, so lange die natio¬ nale Einheit nicht vollendet war. Das Ministerium verhehlte sich nicht den Ernst dieser Lage; die einzige Rettung schien ihm die Befreiung Venetiens. War diese erlangt, so war die Periode der Revolution geschlossen: nach außen und innen war die Einhaltung einer friedlichen, konservativen, reformatori¬ schen Politik möglich. Während so die Befreiung Venetiens als eine Angelegenheit höchster Dringlichkeit anerkannt war. thürmten sich gleichzeitig die Wolken zwischen den beiden deutschen Großmächten auf. Es war im Hinblick auf diese Lage, daß von Seiten Italiens zuerst das Mittel eines gütlichen Abkommens mit Oestreich versucht wurde. Lamarmora wandte sich zu diefem Zweck an die guten Dienste Englands und Frankreichs, jedoch ohne Erfolg. Von da an wurde aufmerksam der Gang der Dinge in Deutschland verfolgt. Da Italien nicht daran denken konnte, mit eigenen Kräften Oestreich aus dem Festungs¬ viereck zu vertreiben, so mußte irgend eine Gelegenheit, die Möglichkeit eines Bündnisses abgewartet werden. Der Beistand Frankreichs war gleichfalls von vorn herein ausgeschlossen, und so konnte Italien nur die Blicke nach Deutschland richten, wo eben jetzt verwandte Interessen, die lange Jahre ge¬ schlummert hatten, sich zu regen anfingen und günstige Aussichten eröffneten. Und diese Anzeichen waren, wie der Italiener nicht vergißt hinzuzufügen, um so kostbarer, als sie einen Bruch innerhalb des deutschen Bundes ankün¬ digten, der indirect, nämlich als Deckung Oestreichs, wiederholt sich als ein Haupthinderniß der völligen Unabhängigkeit Italiens gezeigt hatte. Bis zum Jahre 1866 waren die Beziehungen Italiens und Preußens keineswegs intim gewesen, wenn auch letzteres das Königreich anerkannt hatte. Der conservative Charakter der preußischen Politik stimmte nicht mit der trium- phirenden Revolution in Italien. Als im Winter 1864 auf 1865 der Kron-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/392>, abgerufen am 04.07.2024.