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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Literatur.

Der norddeutsche Bund und dessen Uebergang zu einem deutschen Reiche, von Graf
Münster. Leipzig, 1868.

Wir haben diese neueste Schrift des wackern hannoverschen Patrioten mit ge¬
theilten Empfindungen gelesen, mit dem Ziele wissen wir uns einverstanden, über
die Wege zum Ziele scheint derselbe sich starken Illusionen hinzugeben.

Graf Münster geht, wie dies alle practischen Politiker thun müssen, von der
Ansicht aus, daß der gegenwärtige Zustand in Deutschland nur als ein rein provi¬
sorischer betrachtet werden könne. Der Krieg von 1866 war in der Absicht unter¬
nommen, Oestreich aus dem Bunde zu verdrängen und die übrigen deutschen Staa¬
ten unter eine gewisse Abhängigkeit von Preußen zu bringen, die Annexion von
Hannover, Hessen, Nassau und Frankfurt war nicht beabsichtigt gewesen und nur
eine Frucht der überraschenden Erfolge, aber sie wurde mit der Mainlinie erkauft,
welche bei Formulirung der preußischen Grundzüge zur Reform des deutschen Bundes nicht
statuirt war, wenigstens nur insoweit, daß das Bundesheer in eine Nord- und Südarmee
getheilt werden sollte. Sollte nach Königgrätz an der Bundesidee festgehalten werden, so
dürfte die Mainlinie nicht angenommen werden; nur die Bildung eines starken ein¬
heitlichen Staates auf die Preußen in Nikolsburg sein Hauptaugenmerk richtete
konnte diese Concession an Frankreich entschuldigen. Wenn wir gleichwohl nun um
das so vergrößerte Preußen einen Bund gebildet sehen, dessen sämmtliche andere
Glieder etwa '/" des Hauptstaates gleichkommen, so kann das nur eine unwahre
Fiction bleiben, weil eine gewisse innere Gleichberechtigung die Grundlage jedes
Bundesverhältnisses bilden muß. Ein Föderativstaat ist nur bei republikanischer
Staatsform möglich und selbst da wird diese Staatsform bei der naturgemäß centra-
lisirenden Zeitrichtung immer unhaltbarer. Ein Bund von 18 Fürsten und drei
Städten, ein Parlament auf der breitesten Grundlage, dem gegenüber eine ins
Dunkel des Jncognito gehüllte Centralgewalt steht, dabei das schon so complicirte
^epräsentativsystem der Einzelstaaten, alles das gibt eine auf die Länge unhalt¬
bare Combination; daß die Sache überhaupt bis jetzt noch functionirt hat, liegt
"ur in der persönlichen Stellung des Grafen Bismarck.

Was soll nun also geschehen um haltbare Zustände herzustellen? Graf Mün¬
ster antwortet zunächst, daß die Reform von oben in die Hand genommen werden
^u'sse, die merkwürdige Complication von souveräner, gesetzgeberischer und ausüben¬
der Thätigkeit welche sich im Bundesrath finde müsse beseitigt werden, eine einheit¬
liche starke Executive von wahrhaft monarchischer Organisation an die Stelle treten
und die Fürsten müßten sich bescheiden, als hoher Adel mit den früheren Reichsun-
mittelbaren ein konservatives Oberhaus zu bilden, welches allein ein Gegengewicht
Segen das demokratisch zusammengesetzte Unterhaus gewähren könne; was ihr Ver¬
hältniß zu ihren bisherigen Staaten betrifft, so sollen sie zu erblichen Präsidenten
derselben (die dann also Provinzen sein würden) gemacht werden und als solche
unter dem König von Deutschland stehen. Auf diese Weise würden die Fürsten
dem Vaterlande einen unermeßlichen Dienst leisten, haltbare Zustände schaffen und


Literatur.

Der norddeutsche Bund und dessen Uebergang zu einem deutschen Reiche, von Graf
Münster. Leipzig, 1868.

Wir haben diese neueste Schrift des wackern hannoverschen Patrioten mit ge¬
theilten Empfindungen gelesen, mit dem Ziele wissen wir uns einverstanden, über
die Wege zum Ziele scheint derselbe sich starken Illusionen hinzugeben.

Graf Münster geht, wie dies alle practischen Politiker thun müssen, von der
Ansicht aus, daß der gegenwärtige Zustand in Deutschland nur als ein rein provi¬
sorischer betrachtet werden könne. Der Krieg von 1866 war in der Absicht unter¬
nommen, Oestreich aus dem Bunde zu verdrängen und die übrigen deutschen Staa¬
ten unter eine gewisse Abhängigkeit von Preußen zu bringen, die Annexion von
Hannover, Hessen, Nassau und Frankfurt war nicht beabsichtigt gewesen und nur
eine Frucht der überraschenden Erfolge, aber sie wurde mit der Mainlinie erkauft,
welche bei Formulirung der preußischen Grundzüge zur Reform des deutschen Bundes nicht
statuirt war, wenigstens nur insoweit, daß das Bundesheer in eine Nord- und Südarmee
getheilt werden sollte. Sollte nach Königgrätz an der Bundesidee festgehalten werden, so
dürfte die Mainlinie nicht angenommen werden; nur die Bildung eines starken ein¬
heitlichen Staates auf die Preußen in Nikolsburg sein Hauptaugenmerk richtete
konnte diese Concession an Frankreich entschuldigen. Wenn wir gleichwohl nun um
das so vergrößerte Preußen einen Bund gebildet sehen, dessen sämmtliche andere
Glieder etwa '/» des Hauptstaates gleichkommen, so kann das nur eine unwahre
Fiction bleiben, weil eine gewisse innere Gleichberechtigung die Grundlage jedes
Bundesverhältnisses bilden muß. Ein Föderativstaat ist nur bei republikanischer
Staatsform möglich und selbst da wird diese Staatsform bei der naturgemäß centra-
lisirenden Zeitrichtung immer unhaltbarer. Ein Bund von 18 Fürsten und drei
Städten, ein Parlament auf der breitesten Grundlage, dem gegenüber eine ins
Dunkel des Jncognito gehüllte Centralgewalt steht, dabei das schon so complicirte
^epräsentativsystem der Einzelstaaten, alles das gibt eine auf die Länge unhalt¬
bare Combination; daß die Sache überhaupt bis jetzt noch functionirt hat, liegt
"ur in der persönlichen Stellung des Grafen Bismarck.

Was soll nun also geschehen um haltbare Zustände herzustellen? Graf Mün¬
ster antwortet zunächst, daß die Reform von oben in die Hand genommen werden
^u'sse, die merkwürdige Complication von souveräner, gesetzgeberischer und ausüben¬
der Thätigkeit welche sich im Bundesrath finde müsse beseitigt werden, eine einheit¬
liche starke Executive von wahrhaft monarchischer Organisation an die Stelle treten
und die Fürsten müßten sich bescheiden, als hoher Adel mit den früheren Reichsun-
mittelbaren ein konservatives Oberhaus zu bilden, welches allein ein Gegengewicht
Segen das demokratisch zusammengesetzte Unterhaus gewähren könne; was ihr Ver¬
hältniß zu ihren bisherigen Staaten betrifft, so sollen sie zu erblichen Präsidenten
derselben (die dann also Provinzen sein würden) gemacht werden und als solche
unter dem König von Deutschland stehen. Auf diese Weise würden die Fürsten
dem Vaterlande einen unermeßlichen Dienst leisten, haltbare Zustände schaffen und


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[0385] Literatur. Der norddeutsche Bund und dessen Uebergang zu einem deutschen Reiche, von Graf Münster. Leipzig, 1868. Wir haben diese neueste Schrift des wackern hannoverschen Patrioten mit ge¬ theilten Empfindungen gelesen, mit dem Ziele wissen wir uns einverstanden, über die Wege zum Ziele scheint derselbe sich starken Illusionen hinzugeben. Graf Münster geht, wie dies alle practischen Politiker thun müssen, von der Ansicht aus, daß der gegenwärtige Zustand in Deutschland nur als ein rein provi¬ sorischer betrachtet werden könne. Der Krieg von 1866 war in der Absicht unter¬ nommen, Oestreich aus dem Bunde zu verdrängen und die übrigen deutschen Staa¬ ten unter eine gewisse Abhängigkeit von Preußen zu bringen, die Annexion von Hannover, Hessen, Nassau und Frankfurt war nicht beabsichtigt gewesen und nur eine Frucht der überraschenden Erfolge, aber sie wurde mit der Mainlinie erkauft, welche bei Formulirung der preußischen Grundzüge zur Reform des deutschen Bundes nicht statuirt war, wenigstens nur insoweit, daß das Bundesheer in eine Nord- und Südarmee getheilt werden sollte. Sollte nach Königgrätz an der Bundesidee festgehalten werden, so dürfte die Mainlinie nicht angenommen werden; nur die Bildung eines starken ein¬ heitlichen Staates auf die Preußen in Nikolsburg sein Hauptaugenmerk richtete konnte diese Concession an Frankreich entschuldigen. Wenn wir gleichwohl nun um das so vergrößerte Preußen einen Bund gebildet sehen, dessen sämmtliche andere Glieder etwa '/» des Hauptstaates gleichkommen, so kann das nur eine unwahre Fiction bleiben, weil eine gewisse innere Gleichberechtigung die Grundlage jedes Bundesverhältnisses bilden muß. Ein Föderativstaat ist nur bei republikanischer Staatsform möglich und selbst da wird diese Staatsform bei der naturgemäß centra- lisirenden Zeitrichtung immer unhaltbarer. Ein Bund von 18 Fürsten und drei Städten, ein Parlament auf der breitesten Grundlage, dem gegenüber eine ins Dunkel des Jncognito gehüllte Centralgewalt steht, dabei das schon so complicirte ^epräsentativsystem der Einzelstaaten, alles das gibt eine auf die Länge unhalt¬ bare Combination; daß die Sache überhaupt bis jetzt noch functionirt hat, liegt "ur in der persönlichen Stellung des Grafen Bismarck. Was soll nun also geschehen um haltbare Zustände herzustellen? Graf Mün¬ ster antwortet zunächst, daß die Reform von oben in die Hand genommen werden ^u'sse, die merkwürdige Complication von souveräner, gesetzgeberischer und ausüben¬ der Thätigkeit welche sich im Bundesrath finde müsse beseitigt werden, eine einheit¬ liche starke Executive von wahrhaft monarchischer Organisation an die Stelle treten und die Fürsten müßten sich bescheiden, als hoher Adel mit den früheren Reichsun- mittelbaren ein konservatives Oberhaus zu bilden, welches allein ein Gegengewicht Segen das demokratisch zusammengesetzte Unterhaus gewähren könne; was ihr Ver¬ hältniß zu ihren bisherigen Staaten betrifft, so sollen sie zu erblichen Präsidenten derselben (die dann also Provinzen sein würden) gemacht werden und als solche unter dem König von Deutschland stehen. Auf diese Weise würden die Fürsten dem Vaterlande einen unermeßlichen Dienst leisten, haltbare Zustände schaffen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/385>, abgerufen am 04.07.2024.