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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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des Gebirges den Stoff zu allerhand Fabrikationen wie z. B. der von Möbeln.
Schwefelhölzern und Holzpapier her, die freilich bisher nur soweit sich ent-
wickeln konnten, als der gute Wille der Forstverwaltung ihnen mit Abgabe
des Rohstoffs hinlänglich entgegenkam.

Die Vorurtheile, welche sich der Zulassung von Industrie im modernen
Sinne des Worts bei uns ihrer Zeit vielfach entgegenstemmten, konnten in
einem kleinen Staate wie Hannover besonders leicht sich eines maßgebenden
Einflusses auf die Regierungsgewalt bemächtigen. In der flachen Hauptmasse
des Landes sollten nur Ackerbau und Viehzucht blühen; am Harze galt der
von Alters her überlieferte eigentliche Bergbau lange Zeit als allein berech¬
tigt. Selbst den Handel sah man nur insoweit gern, als er den Absatz der
erzeugten Rohproducte und die Zufuhr der im Inlande nicht hervorzubrin¬
genden Consumtionsartikel vermittelte. Die Industrie dagegen wurde als gefähr¬
liche unheimliche Neuerung angesehen, welche Gutsherrn und Gemeinden mit
der Sorge für ein massenhaftes Proletariat, Gesetzgebung und Verwaltung
mit neuen kitzlichen Aufgaben, die herrschende Klasse mit der Nebenbuhler¬
schaft eines frischen Standes gebildeter bürgerlicher Besitzer bedrohe. Als
Aristokraten scheuten die Beherrscher des von seinen Fürsten lange sich selbst
überlassenen Landes die sociale Ueberlegenheit erfolgreicher Fabrikunternehmer,
als Bureaukraten fürchteten sie sich vor deren politischem Ehrgeiz. Sie wollten
allein und ungestört bleiben -- auf dem Harze mit ihren gehorsamen Berg¬
leuten, im übrigen Lande mit Tagelöhnern und Bauern. So lange wie mög¬
lich wurde daher das Eindringen der Industrie ganz abgewehrt. Als das
nicht länger durchführbar war, schlug man sie, was den Harz insbesondere
anbetrifft, in die Fesseln der Abhängigkeit von generellen und speciellen ad¬
ministrativen Concessionen.

Natürlich hat dieser Widerstand sich nicht lange aufrechterhalten lassen.
Von einem Extrem ging man dann ins andere über; die Eisenbahnen, welche
man erst ganz zurückgewiesen hatte, nahm man später in ausschließliche
Staatspflege, und hart neben dem Fleck, wo auf abgetretenen hannöverschew
Boden das blühende Bremerhaven entstanden war, wurde für Millionen
der ziemlich zwecklose Geestemünder Hafen erbaut. Des Harzes hatte sich
dieser neue Geist noch kaum zu bemächtigen begonnen, als Hannover an
Preußen fiel. Im Jahre 1865 und dann zu Anfang des Jahres 1866
verhandelte der nicht einsichtslose Finanzminister Erxleben mit kundigen libe¬
ralen Ständemitgliedern wie z. B. Miquel und König über eine Reihe ein¬
greifender Reformen, welche mit dem Harze vorzunehmen sein möchten und
nur eine derselben hatte er noch Zeit selbst auszuführen. Das war die ab¬
solute Trennung des Forsthaushaltes am Harze von der Hütten- und GrU"
benverwaltung, die Einführung der Regel, daß die letztere der ersteren das


des Gebirges den Stoff zu allerhand Fabrikationen wie z. B. der von Möbeln.
Schwefelhölzern und Holzpapier her, die freilich bisher nur soweit sich ent-
wickeln konnten, als der gute Wille der Forstverwaltung ihnen mit Abgabe
des Rohstoffs hinlänglich entgegenkam.

Die Vorurtheile, welche sich der Zulassung von Industrie im modernen
Sinne des Worts bei uns ihrer Zeit vielfach entgegenstemmten, konnten in
einem kleinen Staate wie Hannover besonders leicht sich eines maßgebenden
Einflusses auf die Regierungsgewalt bemächtigen. In der flachen Hauptmasse
des Landes sollten nur Ackerbau und Viehzucht blühen; am Harze galt der
von Alters her überlieferte eigentliche Bergbau lange Zeit als allein berech¬
tigt. Selbst den Handel sah man nur insoweit gern, als er den Absatz der
erzeugten Rohproducte und die Zufuhr der im Inlande nicht hervorzubrin¬
genden Consumtionsartikel vermittelte. Die Industrie dagegen wurde als gefähr¬
liche unheimliche Neuerung angesehen, welche Gutsherrn und Gemeinden mit
der Sorge für ein massenhaftes Proletariat, Gesetzgebung und Verwaltung
mit neuen kitzlichen Aufgaben, die herrschende Klasse mit der Nebenbuhler¬
schaft eines frischen Standes gebildeter bürgerlicher Besitzer bedrohe. Als
Aristokraten scheuten die Beherrscher des von seinen Fürsten lange sich selbst
überlassenen Landes die sociale Ueberlegenheit erfolgreicher Fabrikunternehmer,
als Bureaukraten fürchteten sie sich vor deren politischem Ehrgeiz. Sie wollten
allein und ungestört bleiben — auf dem Harze mit ihren gehorsamen Berg¬
leuten, im übrigen Lande mit Tagelöhnern und Bauern. So lange wie mög¬
lich wurde daher das Eindringen der Industrie ganz abgewehrt. Als das
nicht länger durchführbar war, schlug man sie, was den Harz insbesondere
anbetrifft, in die Fesseln der Abhängigkeit von generellen und speciellen ad¬
ministrativen Concessionen.

Natürlich hat dieser Widerstand sich nicht lange aufrechterhalten lassen.
Von einem Extrem ging man dann ins andere über; die Eisenbahnen, welche
man erst ganz zurückgewiesen hatte, nahm man später in ausschließliche
Staatspflege, und hart neben dem Fleck, wo auf abgetretenen hannöverschew
Boden das blühende Bremerhaven entstanden war, wurde für Millionen
der ziemlich zwecklose Geestemünder Hafen erbaut. Des Harzes hatte sich
dieser neue Geist noch kaum zu bemächtigen begonnen, als Hannover an
Preußen fiel. Im Jahre 1865 und dann zu Anfang des Jahres 1866
verhandelte der nicht einsichtslose Finanzminister Erxleben mit kundigen libe¬
ralen Ständemitgliedern wie z. B. Miquel und König über eine Reihe ein¬
greifender Reformen, welche mit dem Harze vorzunehmen sein möchten und
nur eine derselben hatte er noch Zeit selbst auszuführen. Das war die ab¬
solute Trennung des Forsthaushaltes am Harze von der Hütten- und GrU"
benverwaltung, die Einführung der Regel, daß die letztere der ersteren das


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[0368] des Gebirges den Stoff zu allerhand Fabrikationen wie z. B. der von Möbeln. Schwefelhölzern und Holzpapier her, die freilich bisher nur soweit sich ent- wickeln konnten, als der gute Wille der Forstverwaltung ihnen mit Abgabe des Rohstoffs hinlänglich entgegenkam. Die Vorurtheile, welche sich der Zulassung von Industrie im modernen Sinne des Worts bei uns ihrer Zeit vielfach entgegenstemmten, konnten in einem kleinen Staate wie Hannover besonders leicht sich eines maßgebenden Einflusses auf die Regierungsgewalt bemächtigen. In der flachen Hauptmasse des Landes sollten nur Ackerbau und Viehzucht blühen; am Harze galt der von Alters her überlieferte eigentliche Bergbau lange Zeit als allein berech¬ tigt. Selbst den Handel sah man nur insoweit gern, als er den Absatz der erzeugten Rohproducte und die Zufuhr der im Inlande nicht hervorzubrin¬ genden Consumtionsartikel vermittelte. Die Industrie dagegen wurde als gefähr¬ liche unheimliche Neuerung angesehen, welche Gutsherrn und Gemeinden mit der Sorge für ein massenhaftes Proletariat, Gesetzgebung und Verwaltung mit neuen kitzlichen Aufgaben, die herrschende Klasse mit der Nebenbuhler¬ schaft eines frischen Standes gebildeter bürgerlicher Besitzer bedrohe. Als Aristokraten scheuten die Beherrscher des von seinen Fürsten lange sich selbst überlassenen Landes die sociale Ueberlegenheit erfolgreicher Fabrikunternehmer, als Bureaukraten fürchteten sie sich vor deren politischem Ehrgeiz. Sie wollten allein und ungestört bleiben — auf dem Harze mit ihren gehorsamen Berg¬ leuten, im übrigen Lande mit Tagelöhnern und Bauern. So lange wie mög¬ lich wurde daher das Eindringen der Industrie ganz abgewehrt. Als das nicht länger durchführbar war, schlug man sie, was den Harz insbesondere anbetrifft, in die Fesseln der Abhängigkeit von generellen und speciellen ad¬ ministrativen Concessionen. Natürlich hat dieser Widerstand sich nicht lange aufrechterhalten lassen. Von einem Extrem ging man dann ins andere über; die Eisenbahnen, welche man erst ganz zurückgewiesen hatte, nahm man später in ausschließliche Staatspflege, und hart neben dem Fleck, wo auf abgetretenen hannöverschew Boden das blühende Bremerhaven entstanden war, wurde für Millionen der ziemlich zwecklose Geestemünder Hafen erbaut. Des Harzes hatte sich dieser neue Geist noch kaum zu bemächtigen begonnen, als Hannover an Preußen fiel. Im Jahre 1865 und dann zu Anfang des Jahres 1866 verhandelte der nicht einsichtslose Finanzminister Erxleben mit kundigen libe¬ ralen Ständemitgliedern wie z. B. Miquel und König über eine Reihe ein¬ greifender Reformen, welche mit dem Harze vorzunehmen sein möchten und nur eine derselben hatte er noch Zeit selbst auszuführen. Das war die ab¬ solute Trennung des Forsthaushaltes am Harze von der Hütten- und GrU" benverwaltung, die Einführung der Regel, daß die letztere der ersteren das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/368>, abgerufen am 04.07.2024.