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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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wir nicht unbedingt mit in den Klageruf der Pessimisten über den Ruin der
Kunst unserer jetzigen Aera ein. Kunstverständniß und Kunstübung dringen
nur mehr und mehr in die mittleren Volksschichten und üben auch dort ihren
Einfluß auf die Veredlung des Geschmacks. Während unsere deutschen Ma¬
ler an Innigkeit und Höhe des Gedankens, an Tiefe des Symbols, im Poe¬
tischen überhaupt Meister der Franzosen sind, überholen uns diese durch
sorgfältigeres Studium der Kunstgramatik und der alten Meister, ebenso
wie durch die Schlagfertigkeit, den Gedanken klar und begrenzt, präcis und
gefällig wieder zu geben.

Doch es drängt uns zu schließen. -- Portraits, Blumen, Landschaften,
Marine und Stillleben lassen sich ebensowenig beschreiben, wie der Duft un¬
bekannter Blumen oder der Geschmack einer seltenen Frucht. Wir versuchen
aber der Vollständigkeit halber eine Nomenclatur -- und nennen als be¬
wunderten Schöpfer der "nature navrtk" vor Allem Blaize Desgoffe, der
schöne Achatschalen, Krystall und Email, seltnen Schmuck, Blumen, Früchte
und Schmetterlinge' mit vollendeter Grazie der Unordnung vor unserem
Blick durcheinander wirft. Nur verfehlt sein Pinsel, der dem Metall
und Stein jeden transparenten Glanz und Reflex verleiht, hie und da
das organische Leben. Seine Pfirsiche und Trauben, Himbeeren, Winden,
Rosen und Malven, ja selbst die Falter erstarren oft, sobald sein für die
höchste Politur geschulter Pinsel sie berührt. Mächtiger und wahrhaft gro߬
artig hat dagegen Herr Vollon alte Waffen, Harnische und Kunstgeräth aller
Art in natürlicher Größe zu einem reizenden Ensemble geordnet und ihre
leise Farbensprache untereinander mit überaus kräftigem Accent ausgedrückt,
was die Jury durch eine Medaille würdigte. Philipp Rousseau in einem
prachtvollen Mohnbouquet, Maisait in seinen vielbeliebten Rosenvarietäten
befleißigen sich der vollendetsten Horticultur -- Kreyder bietet uns köstliche
Früchte und Trauben, in deren buntem Laub schon alle Gluth des edlen
Rebensaftes wie prophetisch funkelt. Daneben reizt uns Masure's ewig
blaue, zahme See, Theodor Webers "Rettungsboot im Sturm", FrLret's und
Marc Fatio's klares und dennoch stark bewegtes Wasser; sie zählen als eben
so viele Meisterstücke. --

Unter den Portraitmalern streiten Cabanel, Jalabert, Perpignan,
E. Dubuffe, BonnegrAce, Jules Lefebvre, Chaplin. Cellier. Comte, Baron,
Rudolf Lehmann, Henriette Browne, Eh. Landelle (obgleich dieser wie immer
dem Orient und seinem pittoresken Costüm getreu bleibt), endlich auch ein
ganz junges bis jetzt unbekannt gewesenes Mädchen, Ne'lie Jaquemart (viel¬
leicht Lokalgenius des neuesten Paris, weil sie das Bild des Seinepräfekten
ausstellt), um die Palme.

Auch Giacomotti in der streng modellirten Gestalt seiner schönen Ita-


wir nicht unbedingt mit in den Klageruf der Pessimisten über den Ruin der
Kunst unserer jetzigen Aera ein. Kunstverständniß und Kunstübung dringen
nur mehr und mehr in die mittleren Volksschichten und üben auch dort ihren
Einfluß auf die Veredlung des Geschmacks. Während unsere deutschen Ma¬
ler an Innigkeit und Höhe des Gedankens, an Tiefe des Symbols, im Poe¬
tischen überhaupt Meister der Franzosen sind, überholen uns diese durch
sorgfältigeres Studium der Kunstgramatik und der alten Meister, ebenso
wie durch die Schlagfertigkeit, den Gedanken klar und begrenzt, präcis und
gefällig wieder zu geben.

Doch es drängt uns zu schließen. — Portraits, Blumen, Landschaften,
Marine und Stillleben lassen sich ebensowenig beschreiben, wie der Duft un¬
bekannter Blumen oder der Geschmack einer seltenen Frucht. Wir versuchen
aber der Vollständigkeit halber eine Nomenclatur — und nennen als be¬
wunderten Schöpfer der „nature navrtk" vor Allem Blaize Desgoffe, der
schöne Achatschalen, Krystall und Email, seltnen Schmuck, Blumen, Früchte
und Schmetterlinge' mit vollendeter Grazie der Unordnung vor unserem
Blick durcheinander wirft. Nur verfehlt sein Pinsel, der dem Metall
und Stein jeden transparenten Glanz und Reflex verleiht, hie und da
das organische Leben. Seine Pfirsiche und Trauben, Himbeeren, Winden,
Rosen und Malven, ja selbst die Falter erstarren oft, sobald sein für die
höchste Politur geschulter Pinsel sie berührt. Mächtiger und wahrhaft gro߬
artig hat dagegen Herr Vollon alte Waffen, Harnische und Kunstgeräth aller
Art in natürlicher Größe zu einem reizenden Ensemble geordnet und ihre
leise Farbensprache untereinander mit überaus kräftigem Accent ausgedrückt,
was die Jury durch eine Medaille würdigte. Philipp Rousseau in einem
prachtvollen Mohnbouquet, Maisait in seinen vielbeliebten Rosenvarietäten
befleißigen sich der vollendetsten Horticultur — Kreyder bietet uns köstliche
Früchte und Trauben, in deren buntem Laub schon alle Gluth des edlen
Rebensaftes wie prophetisch funkelt. Daneben reizt uns Masure's ewig
blaue, zahme See, Theodor Webers „Rettungsboot im Sturm", FrLret's und
Marc Fatio's klares und dennoch stark bewegtes Wasser; sie zählen als eben
so viele Meisterstücke. —

Unter den Portraitmalern streiten Cabanel, Jalabert, Perpignan,
E. Dubuffe, BonnegrAce, Jules Lefebvre, Chaplin. Cellier. Comte, Baron,
Rudolf Lehmann, Henriette Browne, Eh. Landelle (obgleich dieser wie immer
dem Orient und seinem pittoresken Costüm getreu bleibt), endlich auch ein
ganz junges bis jetzt unbekannt gewesenes Mädchen, Ne'lie Jaquemart (viel¬
leicht Lokalgenius des neuesten Paris, weil sie das Bild des Seinepräfekten
ausstellt), um die Palme.

Auch Giacomotti in der streng modellirten Gestalt seiner schönen Ita-


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[0364] wir nicht unbedingt mit in den Klageruf der Pessimisten über den Ruin der Kunst unserer jetzigen Aera ein. Kunstverständniß und Kunstübung dringen nur mehr und mehr in die mittleren Volksschichten und üben auch dort ihren Einfluß auf die Veredlung des Geschmacks. Während unsere deutschen Ma¬ ler an Innigkeit und Höhe des Gedankens, an Tiefe des Symbols, im Poe¬ tischen überhaupt Meister der Franzosen sind, überholen uns diese durch sorgfältigeres Studium der Kunstgramatik und der alten Meister, ebenso wie durch die Schlagfertigkeit, den Gedanken klar und begrenzt, präcis und gefällig wieder zu geben. Doch es drängt uns zu schließen. — Portraits, Blumen, Landschaften, Marine und Stillleben lassen sich ebensowenig beschreiben, wie der Duft un¬ bekannter Blumen oder der Geschmack einer seltenen Frucht. Wir versuchen aber der Vollständigkeit halber eine Nomenclatur — und nennen als be¬ wunderten Schöpfer der „nature navrtk" vor Allem Blaize Desgoffe, der schöne Achatschalen, Krystall und Email, seltnen Schmuck, Blumen, Früchte und Schmetterlinge' mit vollendeter Grazie der Unordnung vor unserem Blick durcheinander wirft. Nur verfehlt sein Pinsel, der dem Metall und Stein jeden transparenten Glanz und Reflex verleiht, hie und da das organische Leben. Seine Pfirsiche und Trauben, Himbeeren, Winden, Rosen und Malven, ja selbst die Falter erstarren oft, sobald sein für die höchste Politur geschulter Pinsel sie berührt. Mächtiger und wahrhaft gro߬ artig hat dagegen Herr Vollon alte Waffen, Harnische und Kunstgeräth aller Art in natürlicher Größe zu einem reizenden Ensemble geordnet und ihre leise Farbensprache untereinander mit überaus kräftigem Accent ausgedrückt, was die Jury durch eine Medaille würdigte. Philipp Rousseau in einem prachtvollen Mohnbouquet, Maisait in seinen vielbeliebten Rosenvarietäten befleißigen sich der vollendetsten Horticultur — Kreyder bietet uns köstliche Früchte und Trauben, in deren buntem Laub schon alle Gluth des edlen Rebensaftes wie prophetisch funkelt. Daneben reizt uns Masure's ewig blaue, zahme See, Theodor Webers „Rettungsboot im Sturm", FrLret's und Marc Fatio's klares und dennoch stark bewegtes Wasser; sie zählen als eben so viele Meisterstücke. — Unter den Portraitmalern streiten Cabanel, Jalabert, Perpignan, E. Dubuffe, BonnegrAce, Jules Lefebvre, Chaplin. Cellier. Comte, Baron, Rudolf Lehmann, Henriette Browne, Eh. Landelle (obgleich dieser wie immer dem Orient und seinem pittoresken Costüm getreu bleibt), endlich auch ein ganz junges bis jetzt unbekannt gewesenes Mädchen, Ne'lie Jaquemart (viel¬ leicht Lokalgenius des neuesten Paris, weil sie das Bild des Seinepräfekten ausstellt), um die Palme. Auch Giacomotti in der streng modellirten Gestalt seiner schönen Ita-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/364>, abgerufen am 04.07.2024.