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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Privilegiums auf den ausschließlichen Besitz gewisser Rittergüter, Abschaffung
der Deportation nach Sibirien (die "auf dem Verwaltungswege" eingeführt
worden war), Trennung der Schule von der Kirchenverwaltung (Domcapitel),
periodische Wiedereinberufung der Stände u. s. w. aus: außerdem hatten
43 Mitglieder Adressen an den Kaiser und den Landtag beschlossen, welche
die Gleichstellung der finnischen Sprache mit der schwedischen und Einführung
derselben in die höheren Schulen, die Gerichtshöfe und Verwaltungsstellen
beantragten.

Erst im September 1863 trat der Landtag zusammen; er fiel in einen
Zeitpunkt, der an und für sich höchst ungünstig war, denn wenige Monate
früher war der polnisch-lithauische Aufstand ausgebrochen und das russische
Nationalgefühl zu einem beleidigenden Mißtrauen gegen die nicht-russischen
Unterthanen seines Monarchen gereizt worden. Die Moskaner Presse erhob
schon im Frühsommer 186? gegen Finnland die Anklage auf separatistische Be¬
strebungen, und verschiedene andere russische Journale suchten durch die Ver¬
öffentlichung finnischer Klageschriften über die schwedische Gewaltherrschaft den
Gegensatz zwischen der herrschenden und der beherrschten Classe ebenso zu
schüren, wie in den Ostseeprovinzen und in Lithauen; dazu kam, daß einzelne
Conflicte zwischen den Offizieren der in Finnland stehenden russischen Armee
und den Einwohnern stattgefunden und einige Helsingforser Journale sich im
Vollgefühl ihrer constitutionellen Herrlichkeit unvorsichtiger Aeußerungen da¬
rüber schuldig gemacht hatten, daß Finnland im Fall eines Krieges zwischen
Rußland und den die Polen unterstützenden Westmächten neutral bleiben
müsse. Die Sprache der russischen Presse gegen Finnland wurde immer
drohender. Die Neigung ein russisch-finnisches Bündniß gegen das Schweden-
thum abzuschließen trat namentlich in den Spalten der vanslawistischen Or-
gane immer deutlicher hervor.

Noth und Klugheit geboten, den Gefahren welche der Selbständigkeit
des Vaterlandes einerseits durch zuweitgehende konstitutionelle Forderungen,
andererseits durch Verletzung der Ansprüche der Fennomanen bereitet werden
konnten, rechtzeitig zuvor zu kommen. Man begnügte sich damit, auf dem
Landtage die dringendsten Forderungen der Zeit zu befriedigen und verzichtete
aus weitergehende Pläne; das Finnenthum wußte man durch großmüthige
Concessionen, die über das Maß der Forderungen hinausgingen, vollständig
zu entwaffnen.

Noch bevor der Landtag zusammentrat erließ der finnländische Senat
ein an sämmtliche Gerichte und Verwaltungsstellen gerichtetes Circularschrei-
ben, welches die bedingungslose Entgegennahme finnisch abgefaßter Satzschrif¬
ten und Gesuche anordnete. Der Landtag ging noch weiter, indem er nicht
nur die volle Parität beider Sprachen aussprach, sondern als Princip alter-


Privilegiums auf den ausschließlichen Besitz gewisser Rittergüter, Abschaffung
der Deportation nach Sibirien (die „auf dem Verwaltungswege" eingeführt
worden war), Trennung der Schule von der Kirchenverwaltung (Domcapitel),
periodische Wiedereinberufung der Stände u. s. w. aus: außerdem hatten
43 Mitglieder Adressen an den Kaiser und den Landtag beschlossen, welche
die Gleichstellung der finnischen Sprache mit der schwedischen und Einführung
derselben in die höheren Schulen, die Gerichtshöfe und Verwaltungsstellen
beantragten.

Erst im September 1863 trat der Landtag zusammen; er fiel in einen
Zeitpunkt, der an und für sich höchst ungünstig war, denn wenige Monate
früher war der polnisch-lithauische Aufstand ausgebrochen und das russische
Nationalgefühl zu einem beleidigenden Mißtrauen gegen die nicht-russischen
Unterthanen seines Monarchen gereizt worden. Die Moskaner Presse erhob
schon im Frühsommer 186? gegen Finnland die Anklage auf separatistische Be¬
strebungen, und verschiedene andere russische Journale suchten durch die Ver¬
öffentlichung finnischer Klageschriften über die schwedische Gewaltherrschaft den
Gegensatz zwischen der herrschenden und der beherrschten Classe ebenso zu
schüren, wie in den Ostseeprovinzen und in Lithauen; dazu kam, daß einzelne
Conflicte zwischen den Offizieren der in Finnland stehenden russischen Armee
und den Einwohnern stattgefunden und einige Helsingforser Journale sich im
Vollgefühl ihrer constitutionellen Herrlichkeit unvorsichtiger Aeußerungen da¬
rüber schuldig gemacht hatten, daß Finnland im Fall eines Krieges zwischen
Rußland und den die Polen unterstützenden Westmächten neutral bleiben
müsse. Die Sprache der russischen Presse gegen Finnland wurde immer
drohender. Die Neigung ein russisch-finnisches Bündniß gegen das Schweden-
thum abzuschließen trat namentlich in den Spalten der vanslawistischen Or-
gane immer deutlicher hervor.

Noth und Klugheit geboten, den Gefahren welche der Selbständigkeit
des Vaterlandes einerseits durch zuweitgehende konstitutionelle Forderungen,
andererseits durch Verletzung der Ansprüche der Fennomanen bereitet werden
konnten, rechtzeitig zuvor zu kommen. Man begnügte sich damit, auf dem
Landtage die dringendsten Forderungen der Zeit zu befriedigen und verzichtete
aus weitergehende Pläne; das Finnenthum wußte man durch großmüthige
Concessionen, die über das Maß der Forderungen hinausgingen, vollständig
zu entwaffnen.

Noch bevor der Landtag zusammentrat erließ der finnländische Senat
ein an sämmtliche Gerichte und Verwaltungsstellen gerichtetes Circularschrei-
ben, welches die bedingungslose Entgegennahme finnisch abgefaßter Satzschrif¬
ten und Gesuche anordnete. Der Landtag ging noch weiter, indem er nicht
nur die volle Parität beider Sprachen aussprach, sondern als Princip alter-


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[0341] Privilegiums auf den ausschließlichen Besitz gewisser Rittergüter, Abschaffung der Deportation nach Sibirien (die „auf dem Verwaltungswege" eingeführt worden war), Trennung der Schule von der Kirchenverwaltung (Domcapitel), periodische Wiedereinberufung der Stände u. s. w. aus: außerdem hatten 43 Mitglieder Adressen an den Kaiser und den Landtag beschlossen, welche die Gleichstellung der finnischen Sprache mit der schwedischen und Einführung derselben in die höheren Schulen, die Gerichtshöfe und Verwaltungsstellen beantragten. Erst im September 1863 trat der Landtag zusammen; er fiel in einen Zeitpunkt, der an und für sich höchst ungünstig war, denn wenige Monate früher war der polnisch-lithauische Aufstand ausgebrochen und das russische Nationalgefühl zu einem beleidigenden Mißtrauen gegen die nicht-russischen Unterthanen seines Monarchen gereizt worden. Die Moskaner Presse erhob schon im Frühsommer 186? gegen Finnland die Anklage auf separatistische Be¬ strebungen, und verschiedene andere russische Journale suchten durch die Ver¬ öffentlichung finnischer Klageschriften über die schwedische Gewaltherrschaft den Gegensatz zwischen der herrschenden und der beherrschten Classe ebenso zu schüren, wie in den Ostseeprovinzen und in Lithauen; dazu kam, daß einzelne Conflicte zwischen den Offizieren der in Finnland stehenden russischen Armee und den Einwohnern stattgefunden und einige Helsingforser Journale sich im Vollgefühl ihrer constitutionellen Herrlichkeit unvorsichtiger Aeußerungen da¬ rüber schuldig gemacht hatten, daß Finnland im Fall eines Krieges zwischen Rußland und den die Polen unterstützenden Westmächten neutral bleiben müsse. Die Sprache der russischen Presse gegen Finnland wurde immer drohender. Die Neigung ein russisch-finnisches Bündniß gegen das Schweden- thum abzuschließen trat namentlich in den Spalten der vanslawistischen Or- gane immer deutlicher hervor. Noth und Klugheit geboten, den Gefahren welche der Selbständigkeit des Vaterlandes einerseits durch zuweitgehende konstitutionelle Forderungen, andererseits durch Verletzung der Ansprüche der Fennomanen bereitet werden konnten, rechtzeitig zuvor zu kommen. Man begnügte sich damit, auf dem Landtage die dringendsten Forderungen der Zeit zu befriedigen und verzichtete aus weitergehende Pläne; das Finnenthum wußte man durch großmüthige Concessionen, die über das Maß der Forderungen hinausgingen, vollständig zu entwaffnen. Noch bevor der Landtag zusammentrat erließ der finnländische Senat ein an sämmtliche Gerichte und Verwaltungsstellen gerichtetes Circularschrei- ben, welches die bedingungslose Entgegennahme finnisch abgefaßter Satzschrif¬ ten und Gesuche anordnete. Der Landtag ging noch weiter, indem er nicht nur die volle Parität beider Sprachen aussprach, sondern als Princip alter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/341>, abgerufen am 02.07.2024.