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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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neuen Religionsgesellschaft wesentlich an dem Punkt der Messicmität Jesu
hängt, so muß man vor Allem wissen, welche Vorstellungen in den Augen
des Volks sich an diese Idee knüpften, als Jesus sich dieselbe aneignete; kann
man es hier zu festen Resultaten bringen, so hat man an ihnen einen histo¬
rischen Ausgangspunkt für die Fragen, wie Jesus selbst sich mit dieser Idee
identificiren und wie die Jünger in ihm den Messias anerkennen konnten,
Fragen über welche die Untersuchung noch keineswegs geschlossen ist.

Wie dieser erste Band die Zeit Jesu behandelt, so wird sich der zweite
Band über die apostolische und nachapostolische Zeit verbreiten. Dem Lauf
des Christenthums folgend werden wir aus den Zuständen Judäas heraus¬
geführt werden in die Zustände der Heidenwelt, aus der Geschichte einer
Provinz in die Universalgeschichte. Man darf dem folgenden Band um so
mehr mit Interesse entgegensehen, als die Ausgabe die ihm gestellt ist, noch
weniger der Gegenstand ausführlicher Darstellungen gewesen ist und der Ei¬
genthümlichkeit des Schriftstellers einen freieren Spielraum gewährt. Und
zugleich ist geschichtlich betrachtet, diese Seite mindestens so wichtig als die
andere. Denn wenn das Christenthum seine Wiege hat im Judenthum, so
hat es doch diese Wiege frühzeitig verlassen und ist eingegangen in die Cul¬
turbewegung des Westens. Als selbständige Macht hat es sich erst erfaßt
als es definitiv brach mit dem Judenthum, und es errang sich den Sieg
allerdings im Kampf mit der griechisch-römischen Bildung, aber zugleich
indem es dieselbe absorbirte. Die bloße Thatsache, daß noch heute das
Judenthum existirt neben dem Christenthum, während das hellenisch-römisch¬
germanische Heidenthum aufgegangen ist in den Strom der christlichen Kultur,
ist der sprechendste Beweis dafür, daß diese eine weit unmittelbarere Fort-
setzung der Kultur des Alterthums ist und in dieser ungleich mehr verwandte
Elemente und Anknüpfungspunkte gefunden hat, als die herkömmliche Mei¬
nung zulassen will. Und so wird jede erneute Durchforschung dieses Ueber¬
gangszeitalters dazu dienen, die Ueberzeugung zu befestigen, daß auch die
Entstehung des Christenthums nicht außerhalb des geschichtlichen Zusammen¬
hangs steht und daß zu ihrer Erklärung die Gesetze ausreichen, welche die
allgemeingiltigen sind für alle Geschichte.


W. Lang.


38*

neuen Religionsgesellschaft wesentlich an dem Punkt der Messicmität Jesu
hängt, so muß man vor Allem wissen, welche Vorstellungen in den Augen
des Volks sich an diese Idee knüpften, als Jesus sich dieselbe aneignete; kann
man es hier zu festen Resultaten bringen, so hat man an ihnen einen histo¬
rischen Ausgangspunkt für die Fragen, wie Jesus selbst sich mit dieser Idee
identificiren und wie die Jünger in ihm den Messias anerkennen konnten,
Fragen über welche die Untersuchung noch keineswegs geschlossen ist.

Wie dieser erste Band die Zeit Jesu behandelt, so wird sich der zweite
Band über die apostolische und nachapostolische Zeit verbreiten. Dem Lauf
des Christenthums folgend werden wir aus den Zuständen Judäas heraus¬
geführt werden in die Zustände der Heidenwelt, aus der Geschichte einer
Provinz in die Universalgeschichte. Man darf dem folgenden Band um so
mehr mit Interesse entgegensehen, als die Ausgabe die ihm gestellt ist, noch
weniger der Gegenstand ausführlicher Darstellungen gewesen ist und der Ei¬
genthümlichkeit des Schriftstellers einen freieren Spielraum gewährt. Und
zugleich ist geschichtlich betrachtet, diese Seite mindestens so wichtig als die
andere. Denn wenn das Christenthum seine Wiege hat im Judenthum, so
hat es doch diese Wiege frühzeitig verlassen und ist eingegangen in die Cul¬
turbewegung des Westens. Als selbständige Macht hat es sich erst erfaßt
als es definitiv brach mit dem Judenthum, und es errang sich den Sieg
allerdings im Kampf mit der griechisch-römischen Bildung, aber zugleich
indem es dieselbe absorbirte. Die bloße Thatsache, daß noch heute das
Judenthum existirt neben dem Christenthum, während das hellenisch-römisch¬
germanische Heidenthum aufgegangen ist in den Strom der christlichen Kultur,
ist der sprechendste Beweis dafür, daß diese eine weit unmittelbarere Fort-
setzung der Kultur des Alterthums ist und in dieser ungleich mehr verwandte
Elemente und Anknüpfungspunkte gefunden hat, als die herkömmliche Mei¬
nung zulassen will. Und so wird jede erneute Durchforschung dieses Ueber¬
gangszeitalters dazu dienen, die Ueberzeugung zu befestigen, daß auch die
Entstehung des Christenthums nicht außerhalb des geschichtlichen Zusammen¬
hangs steht und daß zu ihrer Erklärung die Gesetze ausreichen, welche die
allgemeingiltigen sind für alle Geschichte.


W. Lang.


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[0323] neuen Religionsgesellschaft wesentlich an dem Punkt der Messicmität Jesu hängt, so muß man vor Allem wissen, welche Vorstellungen in den Augen des Volks sich an diese Idee knüpften, als Jesus sich dieselbe aneignete; kann man es hier zu festen Resultaten bringen, so hat man an ihnen einen histo¬ rischen Ausgangspunkt für die Fragen, wie Jesus selbst sich mit dieser Idee identificiren und wie die Jünger in ihm den Messias anerkennen konnten, Fragen über welche die Untersuchung noch keineswegs geschlossen ist. Wie dieser erste Band die Zeit Jesu behandelt, so wird sich der zweite Band über die apostolische und nachapostolische Zeit verbreiten. Dem Lauf des Christenthums folgend werden wir aus den Zuständen Judäas heraus¬ geführt werden in die Zustände der Heidenwelt, aus der Geschichte einer Provinz in die Universalgeschichte. Man darf dem folgenden Band um so mehr mit Interesse entgegensehen, als die Ausgabe die ihm gestellt ist, noch weniger der Gegenstand ausführlicher Darstellungen gewesen ist und der Ei¬ genthümlichkeit des Schriftstellers einen freieren Spielraum gewährt. Und zugleich ist geschichtlich betrachtet, diese Seite mindestens so wichtig als die andere. Denn wenn das Christenthum seine Wiege hat im Judenthum, so hat es doch diese Wiege frühzeitig verlassen und ist eingegangen in die Cul¬ turbewegung des Westens. Als selbständige Macht hat es sich erst erfaßt als es definitiv brach mit dem Judenthum, und es errang sich den Sieg allerdings im Kampf mit der griechisch-römischen Bildung, aber zugleich indem es dieselbe absorbirte. Die bloße Thatsache, daß noch heute das Judenthum existirt neben dem Christenthum, während das hellenisch-römisch¬ germanische Heidenthum aufgegangen ist in den Strom der christlichen Kultur, ist der sprechendste Beweis dafür, daß diese eine weit unmittelbarere Fort- setzung der Kultur des Alterthums ist und in dieser ungleich mehr verwandte Elemente und Anknüpfungspunkte gefunden hat, als die herkömmliche Mei¬ nung zulassen will. Und so wird jede erneute Durchforschung dieses Ueber¬ gangszeitalters dazu dienen, die Ueberzeugung zu befestigen, daß auch die Entstehung des Christenthums nicht außerhalb des geschichtlichen Zusammen¬ hangs steht und daß zu ihrer Erklärung die Gesetze ausreichen, welche die allgemeingiltigen sind für alle Geschichte. W. Lang. 38*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/323>, abgerufen am 01.07.2024.