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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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ringsum prahlen. Hier, wie in Göthe's Gedichten, "ist kein Ständchen, kein
Lichteffect zu viel", "ein Schatten mehr, ein Strahl dort nicht, hätt' namen¬
losen Reiz zerstört" möchten wir mit Byron sagen. Und dennoch hält Bre¬
ton uns nur den Spiegel vor, in dem wir das Leben einfacher Menschen be¬
lauschen, aber seine Landmädchen haben in ihrem strengen Stil, in ihrer
frischen robusten Natur all den Adel und die Majestät, womit Homer die
griechischen Königstöchter bei ihren häuslichen Beschäftigungen umkleidet. Wie
grazös naiv ist sein zweites Bild: Ein Gärtnermädchen in zerlumpten erd¬
farbenem Kleide kniet vor dem Heliotroge, der soeben seine Blüthen erschlossen,
und saugt den feinen Duft in tiefen Zügen ein. Auch für sie, die Aermste
scheint die Sonne, athmen die Blumen. -- Mit diesem Zauber der Einfach¬
heit wirkt Breton, und was er spendet ist hier doppelt erquicklich.

Aber wenn wir ihm so ungetheiltes Lob zugesprochen, so dürfen wir
auch August Bonheur nicht vergessen, der so reich begabt in die Fußstapfen
seiner berühmten Schwester tritt. Es ist auch nichts mehr, als eine fried¬
liche Schafheerde, die dieser vielleicht größte Animalist unserer Zeit, uns am
sandigen Abhang vor dem großen Meeresspiegel weidend zeigt, über dem eine
lichte Gewitterwolke steht; aber mit welcher Liebe und Sorgfalt ist jeder
Halm, jeder Schatten des hügeligen Terrains behandelt! Wie intensiv grün
legt die transparente Welle ihre Schaumkrone am Strande nieder, wie fein
gestuft und wahr bewegt ist die schwankende, unendliche Wasserfläche, wäh¬
rend die Luft so klar und ruhig ist', "daß man selbst Gott im Himmel sieht."
-- Zufrieden stolz blickt der schwarze Widder im Mittelgrunde auf seinen
Harem, indessen das neugeborene Lamm im Sonnenschein liebkosend neben
der Mutter dingete. Nur wer selbst Thiere gemalt, wird die Sorgfalt völlig
würdigen, mit welcher jedes Wollflöckchen gekräuselt sein muß, um vom
modellirenden Licht, die zarten gelb- oder grauröthlichen Nuancen zu empfan¬
gen, unter welchen allein der Muskel gerundet hervortritt und das Leben
scheinbar arbeitet. Und wie wenig zahlt der Blick des rasch vorüberschweifen¬
den Beschauers, selbst das begeisterte Lob der Kunstkundigen, die namenlosen
Mühen, das ernste Studium, die solcher Leistung vorausgehen mußten.

Wenn wir das überaus vortreffliche Bild von Ed. Mopse, "Rabbiner
im Sande'drin (am 4. Febr. 1810 zur Feststellung der Rechte der Juden
in Frankreich versammelt"), welches gleich geschickt in der Vertheilung des
Lichts, individuell im Typus und würdig in der Gruppirung gehalten ist,
eine Versammlung von Denkern, gleich eloqueut in der Demonstration, wie
im sinnenden Schweigen, -- wenn wir ferner den Versuch I. Beaume's
gelten lassen wollen, mit dem unglücklichen Sohn Ludwig XVI., der bis zum
Skelet abgezehrt, sich einen Augenblick frei träumt, weil sein grausamer
Wächter entschlafen ist -- ein trübes Schattenbild der Geschichte herauszurufen,


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ringsum prahlen. Hier, wie in Göthe's Gedichten, „ist kein Ständchen, kein
Lichteffect zu viel", „ein Schatten mehr, ein Strahl dort nicht, hätt' namen¬
losen Reiz zerstört" möchten wir mit Byron sagen. Und dennoch hält Bre¬
ton uns nur den Spiegel vor, in dem wir das Leben einfacher Menschen be¬
lauschen, aber seine Landmädchen haben in ihrem strengen Stil, in ihrer
frischen robusten Natur all den Adel und die Majestät, womit Homer die
griechischen Königstöchter bei ihren häuslichen Beschäftigungen umkleidet. Wie
grazös naiv ist sein zweites Bild: Ein Gärtnermädchen in zerlumpten erd¬
farbenem Kleide kniet vor dem Heliotroge, der soeben seine Blüthen erschlossen,
und saugt den feinen Duft in tiefen Zügen ein. Auch für sie, die Aermste
scheint die Sonne, athmen die Blumen. — Mit diesem Zauber der Einfach¬
heit wirkt Breton, und was er spendet ist hier doppelt erquicklich.

Aber wenn wir ihm so ungetheiltes Lob zugesprochen, so dürfen wir
auch August Bonheur nicht vergessen, der so reich begabt in die Fußstapfen
seiner berühmten Schwester tritt. Es ist auch nichts mehr, als eine fried¬
liche Schafheerde, die dieser vielleicht größte Animalist unserer Zeit, uns am
sandigen Abhang vor dem großen Meeresspiegel weidend zeigt, über dem eine
lichte Gewitterwolke steht; aber mit welcher Liebe und Sorgfalt ist jeder
Halm, jeder Schatten des hügeligen Terrains behandelt! Wie intensiv grün
legt die transparente Welle ihre Schaumkrone am Strande nieder, wie fein
gestuft und wahr bewegt ist die schwankende, unendliche Wasserfläche, wäh¬
rend die Luft so klar und ruhig ist', „daß man selbst Gott im Himmel sieht."
— Zufrieden stolz blickt der schwarze Widder im Mittelgrunde auf seinen
Harem, indessen das neugeborene Lamm im Sonnenschein liebkosend neben
der Mutter dingete. Nur wer selbst Thiere gemalt, wird die Sorgfalt völlig
würdigen, mit welcher jedes Wollflöckchen gekräuselt sein muß, um vom
modellirenden Licht, die zarten gelb- oder grauröthlichen Nuancen zu empfan¬
gen, unter welchen allein der Muskel gerundet hervortritt und das Leben
scheinbar arbeitet. Und wie wenig zahlt der Blick des rasch vorüberschweifen¬
den Beschauers, selbst das begeisterte Lob der Kunstkundigen, die namenlosen
Mühen, das ernste Studium, die solcher Leistung vorausgehen mußten.

Wenn wir das überaus vortreffliche Bild von Ed. Mopse, „Rabbiner
im Sande'drin (am 4. Febr. 1810 zur Feststellung der Rechte der Juden
in Frankreich versammelt"), welches gleich geschickt in der Vertheilung des
Lichts, individuell im Typus und würdig in der Gruppirung gehalten ist,
eine Versammlung von Denkern, gleich eloqueut in der Demonstration, wie
im sinnenden Schweigen, — wenn wir ferner den Versuch I. Beaume's
gelten lassen wollen, mit dem unglücklichen Sohn Ludwig XVI., der bis zum
Skelet abgezehrt, sich einen Augenblick frei träumt, weil sein grausamer
Wächter entschlafen ist — ein trübes Schattenbild der Geschichte herauszurufen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/315>, abgerufen am 04.07.2024.