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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Der kleine Knabe, der liebkosend und fragend seine Händchen zwischen
dem unbekannten Vater und der Mutter ausstreckt, die weinenden Gro߬
eltern/ welche vielleicht zu spät das Vorurtheil ihres Stolzes der Rechtschaffen¬
heit opfern (denn das rothe Band im Knopfloch zeugt, daß dies Drama
auf dem Boden guter Gesellschaft spielt) -- links die Zeugen, -- ein Bruder
Offizier, tief in den Ernst des Augenblicks versenkt, die Bewegung des Notars
und des Maire, während man in der lebhaft vorgebeugten Gestalt des
Arztes deutlich die Sorge liest, ob die erbleichende Lippe denn nur auch noch
fähig sein werde, das entscheidende "Ja" des Bündnisses zu sprechen -- das
ist wahr und ergreifend. Außer von Vautier, der dem Sentimentalen immer
auch noch die komische Seite abzugewinnen versteht, und der uns im Salon von
1866 neben der untröstlicher Wittwe, die nach dem Begräbniß bei ihr kaffee¬
trinkenden Gevatterinnen vorführte, in deren Individualitäten man deutlich
die Geschichte ihrer Ehe oder ihres Wittwenstandes ablas -- und außer den
Meisterstücken von Krauß in diesem Genre, wissen wir uns keiner gleich fein
in Farben erzählten Novelle zu erinnern. Herr Vautier, obgleich in der
Schweiz geboren, ist ein Düsseldorfer, aus Jordans Schule und seine Tanz¬
stunde im Dorf ist so lustig, daß sie selbst dem Trübsinnigsten ein Lächeln
abnöthigt. Der alte steifbeinige Vestris mit der Fiedel läßt sichs doch noch
gar sauer werden in seinem Beruf, obgleich er über die Jahre der Grazie
hinaus ist, sonst hätte er wohl das Rasiren des Stoppelfeldes, das ihm im
Gesichte starrt, und das Abnehmen des Hutes vor dieser hübschen Mädchen-
schaar nicht vergessen. Diese, in ihren Bewegungen ungelenk und täppisch,
wie auf dem Trockenen zappelnde Backsische, stehen zwar ernsthaft in Reih'
und Glied, aber doch nicht ganz ä'axlomd. -- Eine ist ausgetreten und
zieht den ungewohnten rebellischen Schuh auf. Die Mutter und die Ahne sehen
kopfschüttelnd, das Brüderchen aber mit gespreizten Beinen, laut lachend
ihren verlegenen Bemühungen zu. Es gilt aber auchl denn die Blüthe der
jungen Mannschaft des Dorfs steht, die Hände in den Hosentaschen, ihnen
kritisch mit Kennerblicken gegenüber. Wer von unsern Lesern nach Berlin
reist, mag sich das hübsche Bild in der Nationalgallerie noch einmal ansehen.
Auch unser Landsmann Georg Saal rangirt diesmal sehr glücklich mit unter
die Humoristen. Antwortete er mir doch, als ich ihm in seinem Atelier das
Bizarre und Unglaubliche einer Skizze "ein Unbescheidener" betitelt, vor¬
warf: "Freilich ist das Wahre nicht immer wahrscheinlich. Dies Blatt er¬
innert an eine heiße Stunde meines Lebens, die ich mitten im norwegischen
Schnee verlebte." Jetzt finden wir das Bild brav ausgeführt, von einer be¬
ständig dicht gedrängten Gruppe von Lachern umringt, im Salon wieder.
Der Künstler selbst, im rothen Kittel, vor einer Feldstaffelei, mitten im Ge¬
birg eifrig malend, wendet uns den Rücken, man sieht das großartige Alpen-


Der kleine Knabe, der liebkosend und fragend seine Händchen zwischen
dem unbekannten Vater und der Mutter ausstreckt, die weinenden Gro߬
eltern/ welche vielleicht zu spät das Vorurtheil ihres Stolzes der Rechtschaffen¬
heit opfern (denn das rothe Band im Knopfloch zeugt, daß dies Drama
auf dem Boden guter Gesellschaft spielt) — links die Zeugen, — ein Bruder
Offizier, tief in den Ernst des Augenblicks versenkt, die Bewegung des Notars
und des Maire, während man in der lebhaft vorgebeugten Gestalt des
Arztes deutlich die Sorge liest, ob die erbleichende Lippe denn nur auch noch
fähig sein werde, das entscheidende „Ja" des Bündnisses zu sprechen — das
ist wahr und ergreifend. Außer von Vautier, der dem Sentimentalen immer
auch noch die komische Seite abzugewinnen versteht, und der uns im Salon von
1866 neben der untröstlicher Wittwe, die nach dem Begräbniß bei ihr kaffee¬
trinkenden Gevatterinnen vorführte, in deren Individualitäten man deutlich
die Geschichte ihrer Ehe oder ihres Wittwenstandes ablas — und außer den
Meisterstücken von Krauß in diesem Genre, wissen wir uns keiner gleich fein
in Farben erzählten Novelle zu erinnern. Herr Vautier, obgleich in der
Schweiz geboren, ist ein Düsseldorfer, aus Jordans Schule und seine Tanz¬
stunde im Dorf ist so lustig, daß sie selbst dem Trübsinnigsten ein Lächeln
abnöthigt. Der alte steifbeinige Vestris mit der Fiedel läßt sichs doch noch
gar sauer werden in seinem Beruf, obgleich er über die Jahre der Grazie
hinaus ist, sonst hätte er wohl das Rasiren des Stoppelfeldes, das ihm im
Gesichte starrt, und das Abnehmen des Hutes vor dieser hübschen Mädchen-
schaar nicht vergessen. Diese, in ihren Bewegungen ungelenk und täppisch,
wie auf dem Trockenen zappelnde Backsische, stehen zwar ernsthaft in Reih'
und Glied, aber doch nicht ganz ä'axlomd. — Eine ist ausgetreten und
zieht den ungewohnten rebellischen Schuh auf. Die Mutter und die Ahne sehen
kopfschüttelnd, das Brüderchen aber mit gespreizten Beinen, laut lachend
ihren verlegenen Bemühungen zu. Es gilt aber auchl denn die Blüthe der
jungen Mannschaft des Dorfs steht, die Hände in den Hosentaschen, ihnen
kritisch mit Kennerblicken gegenüber. Wer von unsern Lesern nach Berlin
reist, mag sich das hübsche Bild in der Nationalgallerie noch einmal ansehen.
Auch unser Landsmann Georg Saal rangirt diesmal sehr glücklich mit unter
die Humoristen. Antwortete er mir doch, als ich ihm in seinem Atelier das
Bizarre und Unglaubliche einer Skizze „ein Unbescheidener" betitelt, vor¬
warf: „Freilich ist das Wahre nicht immer wahrscheinlich. Dies Blatt er¬
innert an eine heiße Stunde meines Lebens, die ich mitten im norwegischen
Schnee verlebte." Jetzt finden wir das Bild brav ausgeführt, von einer be¬
ständig dicht gedrängten Gruppe von Lachern umringt, im Salon wieder.
Der Künstler selbst, im rothen Kittel, vor einer Feldstaffelei, mitten im Ge¬
birg eifrig malend, wendet uns den Rücken, man sieht das großartige Alpen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/308>, abgerufen am 02.10.2024.