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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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neues enthaltend, außer da, wo es unumgänglich nothwendig ist, um die so¬
ciale Stellung und den Einfluß des Künstlers zu bezeichnen. Da ist z. B.
gleich der erste Saal derartig mit den lächerlichsten "ervütes" angefüllt, daß
die Absicht der Jury unverkennbar ist, das Publikum nach ernsthaftem Sehen
auch einmal mit dem Ausschuß dessen, was noch den Namen Kunstwerk ver¬
dient, zu belustigen; denn selten sah man so viel unfreiwillig Carrikirtes
nebeneinander! -- Hier ein Sonnenuntergang wie eine Bombe, in Farben-
gluth von Chrom und Zinnober erplodirend -- dort Gott-Vater in riesiger
Dimension mit seinem Strafengel, der ein zwergartiges Menschenpaar, vor
dem sich ein Regenwurm (wahrscheinlich die Schlange) ängstlich krümmt, aus
dem Paradiese jagt. Einer hat die Perspective seines Zimmers, in einer
Quecksilberkugel verrenkt, abgespiegelt, ein anderer die drei Menschenalter in
einem grünen, einem reifen und einem verfaulten Apfel symbolisirt, welche
tiefsinnige Parabel wir schwerlich gefaßt hätten, wäre uns die getreue Nach¬
bildung einer ^örra-Lott-z, darunter nicht zu Hilfe gekommen, die ein Knäb-
chen im Fallhut, einen Athleten im Mannesalter, der 1000 Pfund hebt,
und einen invaliden Greis am Stäbe zeigt. Uns blieb dabei vom Räthsel
der Sphynx nur die Frage übrig, ob der Schöpfer dieser Bizarrerie der
ersten oder zweiten Kindheitsstufe angehöre. Das ergreifende Drama in
der russischen Abtheilung der Weltausstellung vorigen Jahres "die Prinzessin
Tarakanoff in ihrem Kerker ertrinkend" von Flavitzky hatte denn auch in Ma¬
dame T eine allzukühne Nachahmerin gefunden. Dort rettet eine wunder¬
schöne Frau in rothem Sammtgewande, erschlafft und verzweifelt, sich mit
einer Schaar von Mäusen zugleich auf ihr ärmliches Lager, das die zum
Fenster hereinstürzende Fluth schon umspült -- hier im Pendant sehen wir
eine Megäre, die in einer Art Veitstanz die Wand hinan zu klimmen ver¬
sucht. "Schreckliche Strafe einer Frau, welche den Hahn ihres Badezimmers
zu vier vergessen" bezeichnet es I<z monde xour rirs. Desgleichen sehen wir
auch noch die böse Jesabel, die in Convulsionen von ihrem Söller gestürzt
wird (wobei ihr natürlich die Krone vom Kopfe fällt) während unten schon
die Hundemente auf sie wartet. Daneben zwei Schwestern, welche wie Lenau's
Anna ihre Schatten durch Zauberkraft eingebüßt zu haben scheinen; item
einen Vater, der in einem Anfall von tolle sich und sein Kind mit einem
ellenlangen Schwert erstochen hat, und nun gräßlich aufwacht (uns nicht zur
Freude), endlich einen verruchten Mörder, der sich die blutigen Hände in
einem Waldbach wäscht, -- kurz wir meinten wahrlich für einen Augenblick
in das "eliÄillber ok dorrors" der Madame Tussaud in London gerathen zu
sein. Sollen wir es der Kunstjury danken, daß sie uns durch das laisses
passer für so viel Naiv-Groteskes, ein gesundes Lachen verschafft? -- Wir
möchten ihr eher einen betrübenden Mangel an Wohlwollen vorwerfen, daß


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neues enthaltend, außer da, wo es unumgänglich nothwendig ist, um die so¬
ciale Stellung und den Einfluß des Künstlers zu bezeichnen. Da ist z. B.
gleich der erste Saal derartig mit den lächerlichsten „ervütes" angefüllt, daß
die Absicht der Jury unverkennbar ist, das Publikum nach ernsthaftem Sehen
auch einmal mit dem Ausschuß dessen, was noch den Namen Kunstwerk ver¬
dient, zu belustigen; denn selten sah man so viel unfreiwillig Carrikirtes
nebeneinander! — Hier ein Sonnenuntergang wie eine Bombe, in Farben-
gluth von Chrom und Zinnober erplodirend — dort Gott-Vater in riesiger
Dimension mit seinem Strafengel, der ein zwergartiges Menschenpaar, vor
dem sich ein Regenwurm (wahrscheinlich die Schlange) ängstlich krümmt, aus
dem Paradiese jagt. Einer hat die Perspective seines Zimmers, in einer
Quecksilberkugel verrenkt, abgespiegelt, ein anderer die drei Menschenalter in
einem grünen, einem reifen und einem verfaulten Apfel symbolisirt, welche
tiefsinnige Parabel wir schwerlich gefaßt hätten, wäre uns die getreue Nach¬
bildung einer ^örra-Lott-z, darunter nicht zu Hilfe gekommen, die ein Knäb-
chen im Fallhut, einen Athleten im Mannesalter, der 1000 Pfund hebt,
und einen invaliden Greis am Stäbe zeigt. Uns blieb dabei vom Räthsel
der Sphynx nur die Frage übrig, ob der Schöpfer dieser Bizarrerie der
ersten oder zweiten Kindheitsstufe angehöre. Das ergreifende Drama in
der russischen Abtheilung der Weltausstellung vorigen Jahres „die Prinzessin
Tarakanoff in ihrem Kerker ertrinkend" von Flavitzky hatte denn auch in Ma¬
dame T eine allzukühne Nachahmerin gefunden. Dort rettet eine wunder¬
schöne Frau in rothem Sammtgewande, erschlafft und verzweifelt, sich mit
einer Schaar von Mäusen zugleich auf ihr ärmliches Lager, das die zum
Fenster hereinstürzende Fluth schon umspült — hier im Pendant sehen wir
eine Megäre, die in einer Art Veitstanz die Wand hinan zu klimmen ver¬
sucht. „Schreckliche Strafe einer Frau, welche den Hahn ihres Badezimmers
zu vier vergessen" bezeichnet es I<z monde xour rirs. Desgleichen sehen wir
auch noch die böse Jesabel, die in Convulsionen von ihrem Söller gestürzt
wird (wobei ihr natürlich die Krone vom Kopfe fällt) während unten schon
die Hundemente auf sie wartet. Daneben zwei Schwestern, welche wie Lenau's
Anna ihre Schatten durch Zauberkraft eingebüßt zu haben scheinen; item
einen Vater, der in einem Anfall von tolle sich und sein Kind mit einem
ellenlangen Schwert erstochen hat, und nun gräßlich aufwacht (uns nicht zur
Freude), endlich einen verruchten Mörder, der sich die blutigen Hände in
einem Waldbach wäscht, — kurz wir meinten wahrlich für einen Augenblick
in das „eliÄillber ok dorrors" der Madame Tussaud in London gerathen zu
sein. Sollen wir es der Kunstjury danken, daß sie uns durch das laisses
passer für so viel Naiv-Groteskes, ein gesundes Lachen verschafft? — Wir
möchten ihr eher einen betrübenden Mangel an Wohlwollen vorwerfen, daß


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[0306] . neues enthaltend, außer da, wo es unumgänglich nothwendig ist, um die so¬ ciale Stellung und den Einfluß des Künstlers zu bezeichnen. Da ist z. B. gleich der erste Saal derartig mit den lächerlichsten „ervütes" angefüllt, daß die Absicht der Jury unverkennbar ist, das Publikum nach ernsthaftem Sehen auch einmal mit dem Ausschuß dessen, was noch den Namen Kunstwerk ver¬ dient, zu belustigen; denn selten sah man so viel unfreiwillig Carrikirtes nebeneinander! — Hier ein Sonnenuntergang wie eine Bombe, in Farben- gluth von Chrom und Zinnober erplodirend — dort Gott-Vater in riesiger Dimension mit seinem Strafengel, der ein zwergartiges Menschenpaar, vor dem sich ein Regenwurm (wahrscheinlich die Schlange) ängstlich krümmt, aus dem Paradiese jagt. Einer hat die Perspective seines Zimmers, in einer Quecksilberkugel verrenkt, abgespiegelt, ein anderer die drei Menschenalter in einem grünen, einem reifen und einem verfaulten Apfel symbolisirt, welche tiefsinnige Parabel wir schwerlich gefaßt hätten, wäre uns die getreue Nach¬ bildung einer ^örra-Lott-z, darunter nicht zu Hilfe gekommen, die ein Knäb- chen im Fallhut, einen Athleten im Mannesalter, der 1000 Pfund hebt, und einen invaliden Greis am Stäbe zeigt. Uns blieb dabei vom Räthsel der Sphynx nur die Frage übrig, ob der Schöpfer dieser Bizarrerie der ersten oder zweiten Kindheitsstufe angehöre. Das ergreifende Drama in der russischen Abtheilung der Weltausstellung vorigen Jahres „die Prinzessin Tarakanoff in ihrem Kerker ertrinkend" von Flavitzky hatte denn auch in Ma¬ dame T eine allzukühne Nachahmerin gefunden. Dort rettet eine wunder¬ schöne Frau in rothem Sammtgewande, erschlafft und verzweifelt, sich mit einer Schaar von Mäusen zugleich auf ihr ärmliches Lager, das die zum Fenster hereinstürzende Fluth schon umspült — hier im Pendant sehen wir eine Megäre, die in einer Art Veitstanz die Wand hinan zu klimmen ver¬ sucht. „Schreckliche Strafe einer Frau, welche den Hahn ihres Badezimmers zu vier vergessen" bezeichnet es I<z monde xour rirs. Desgleichen sehen wir auch noch die böse Jesabel, die in Convulsionen von ihrem Söller gestürzt wird (wobei ihr natürlich die Krone vom Kopfe fällt) während unten schon die Hundemente auf sie wartet. Daneben zwei Schwestern, welche wie Lenau's Anna ihre Schatten durch Zauberkraft eingebüßt zu haben scheinen; item einen Vater, der in einem Anfall von tolle sich und sein Kind mit einem ellenlangen Schwert erstochen hat, und nun gräßlich aufwacht (uns nicht zur Freude), endlich einen verruchten Mörder, der sich die blutigen Hände in einem Waldbach wäscht, — kurz wir meinten wahrlich für einen Augenblick in das „eliÄillber ok dorrors" der Madame Tussaud in London gerathen zu sein. Sollen wir es der Kunstjury danken, daß sie uns durch das laisses passer für so viel Naiv-Groteskes, ein gesundes Lachen verschafft? — Wir möchten ihr eher einen betrübenden Mangel an Wohlwollen vorwerfen, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/306>, abgerufen am 04.07.2024.