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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Wie deutschen Feste der ersten AnZustuioche

X Nichts gelernt und nichts vergessen zu haben galt seiner Zeit sür das
Privilegium des legitimistischen Junkerthums. Der deutsche Liberale, der
an den Orgien desselben vorüberging, versäumte nicht ein Kreuz zu schla¬
gen und bei sich zu denken: "Ich danke Dir, daß ich nicht bin, wie diese."
Diese Zeiten sind wie es scheint vorüber. Die norddeutschen Tories, der Spie¬
lerei mit verbrauchten Phrasen müde geworden, besinnen sich auf die Pflich¬
ten, denen die Aristokratie eines großen Gemeinwesens gerecht werden muß,
wenn sie auch nur den Schatten ihrer früheren Bedeutung wahren will --
die Rolle der Unverbesserlichen und Unbelehrbaren haben die sogenannten
Volksmänner übernommen, nur mit dem Unterschiede, daß diese weder eine
kleine noch eine mächtige, noch überhaupt eine Partei bilden, sondern sich
und ihre Sache auf eigene Hand und für eigene Rechnung lächerlich, ihr Haupt¬
instrument, das populäre Volksfest, unbrauchbar machen.

Ein solches Volksfest haben wir in voriger Woche erlebt. Die Einzel¬
heiten desselben sind aus den Zeitungen bekannt. An und für sich wäre
gegen das Gebahren der in Wien versammelten Volksmänner von unserem,
dem nationalen Standpunkt nichts einzuwenden--im Gegentheil wir könnten
es uns gefallen lassen, wenn die Führer des Particularismus und der radi¬
kalen und föderativem Demokratie sich so öffentlich an den Pranger stellen,
wie sie es während der beiden letzten Wochen gethan. Volksversammlungen,
welche sich die Aufgabe stellen. Grundlagen eines neuen politischen Programms
zu finden, sind an und für sich wenig gefährlich und wenn es auf denselben
gar dazu kommt, daß die Schreier des idealpolitischen Systems, nach wel¬
chem jede Handbreit deutschen Landes ein souveraines Selbstbestimmungs¬
recht besitzen soll, -- daß diese durch den Ruf "Am liebsten gar keine Politik,
sondern ein kosmopolitisches Brüderbündniß aller europäischen Völker auf
socialistischer Grundlage" zum Schweigen gebracht werden, so kann das seine
pädagogische Wirkung auf die Massen nicht verfehlen. Auch mit der Wirkung,
welches dieses Treiben auf die Deutsch-Oestreicher geübt hat, können wir zu¬
frieden sein. Das Facit der Urtheile, welche die großen wiener Journale


Grciizboten III. 1808. 31
Wie deutschen Feste der ersten AnZustuioche

X Nichts gelernt und nichts vergessen zu haben galt seiner Zeit sür das
Privilegium des legitimistischen Junkerthums. Der deutsche Liberale, der
an den Orgien desselben vorüberging, versäumte nicht ein Kreuz zu schla¬
gen und bei sich zu denken: „Ich danke Dir, daß ich nicht bin, wie diese."
Diese Zeiten sind wie es scheint vorüber. Die norddeutschen Tories, der Spie¬
lerei mit verbrauchten Phrasen müde geworden, besinnen sich auf die Pflich¬
ten, denen die Aristokratie eines großen Gemeinwesens gerecht werden muß,
wenn sie auch nur den Schatten ihrer früheren Bedeutung wahren will —
die Rolle der Unverbesserlichen und Unbelehrbaren haben die sogenannten
Volksmänner übernommen, nur mit dem Unterschiede, daß diese weder eine
kleine noch eine mächtige, noch überhaupt eine Partei bilden, sondern sich
und ihre Sache auf eigene Hand und für eigene Rechnung lächerlich, ihr Haupt¬
instrument, das populäre Volksfest, unbrauchbar machen.

Ein solches Volksfest haben wir in voriger Woche erlebt. Die Einzel¬
heiten desselben sind aus den Zeitungen bekannt. An und für sich wäre
gegen das Gebahren der in Wien versammelten Volksmänner von unserem,
dem nationalen Standpunkt nichts einzuwenden—im Gegentheil wir könnten
es uns gefallen lassen, wenn die Führer des Particularismus und der radi¬
kalen und föderativem Demokratie sich so öffentlich an den Pranger stellen,
wie sie es während der beiden letzten Wochen gethan. Volksversammlungen,
welche sich die Aufgabe stellen. Grundlagen eines neuen politischen Programms
zu finden, sind an und für sich wenig gefährlich und wenn es auf denselben
gar dazu kommt, daß die Schreier des idealpolitischen Systems, nach wel¬
chem jede Handbreit deutschen Landes ein souveraines Selbstbestimmungs¬
recht besitzen soll, — daß diese durch den Ruf „Am liebsten gar keine Politik,
sondern ein kosmopolitisches Brüderbündniß aller europäischen Völker auf
socialistischer Grundlage" zum Schweigen gebracht werden, so kann das seine
pädagogische Wirkung auf die Massen nicht verfehlen. Auch mit der Wirkung,
welches dieses Treiben auf die Deutsch-Oestreicher geübt hat, können wir zu¬
frieden sein. Das Facit der Urtheile, welche die großen wiener Journale


Grciizboten III. 1808. 31
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[0263] Wie deutschen Feste der ersten AnZustuioche X Nichts gelernt und nichts vergessen zu haben galt seiner Zeit sür das Privilegium des legitimistischen Junkerthums. Der deutsche Liberale, der an den Orgien desselben vorüberging, versäumte nicht ein Kreuz zu schla¬ gen und bei sich zu denken: „Ich danke Dir, daß ich nicht bin, wie diese." Diese Zeiten sind wie es scheint vorüber. Die norddeutschen Tories, der Spie¬ lerei mit verbrauchten Phrasen müde geworden, besinnen sich auf die Pflich¬ ten, denen die Aristokratie eines großen Gemeinwesens gerecht werden muß, wenn sie auch nur den Schatten ihrer früheren Bedeutung wahren will — die Rolle der Unverbesserlichen und Unbelehrbaren haben die sogenannten Volksmänner übernommen, nur mit dem Unterschiede, daß diese weder eine kleine noch eine mächtige, noch überhaupt eine Partei bilden, sondern sich und ihre Sache auf eigene Hand und für eigene Rechnung lächerlich, ihr Haupt¬ instrument, das populäre Volksfest, unbrauchbar machen. Ein solches Volksfest haben wir in voriger Woche erlebt. Die Einzel¬ heiten desselben sind aus den Zeitungen bekannt. An und für sich wäre gegen das Gebahren der in Wien versammelten Volksmänner von unserem, dem nationalen Standpunkt nichts einzuwenden—im Gegentheil wir könnten es uns gefallen lassen, wenn die Führer des Particularismus und der radi¬ kalen und föderativem Demokratie sich so öffentlich an den Pranger stellen, wie sie es während der beiden letzten Wochen gethan. Volksversammlungen, welche sich die Aufgabe stellen. Grundlagen eines neuen politischen Programms zu finden, sind an und für sich wenig gefährlich und wenn es auf denselben gar dazu kommt, daß die Schreier des idealpolitischen Systems, nach wel¬ chem jede Handbreit deutschen Landes ein souveraines Selbstbestimmungs¬ recht besitzen soll, — daß diese durch den Ruf „Am liebsten gar keine Politik, sondern ein kosmopolitisches Brüderbündniß aller europäischen Völker auf socialistischer Grundlage" zum Schweigen gebracht werden, so kann das seine pädagogische Wirkung auf die Massen nicht verfehlen. Auch mit der Wirkung, welches dieses Treiben auf die Deutsch-Oestreicher geübt hat, können wir zu¬ frieden sein. Das Facit der Urtheile, welche die großen wiener Journale Grciizboten III. 1808. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/263>, abgerufen am 04.07.2024.