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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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liehen, die Abneigung gegen militärische Abenteuer und eine halsbrechende
Zukunfcspolitik in allen Volsschichten erhöht. Die Art Nationalgefühl an¬
dererseits, welche den Schweden zu dem Norweger und dem Dänen hinzieht,
ihn empfänglich macht für die Schmerzen und Bedürfnisse dieser seiner Nach,
barn, ist doch nicht entfernt von der unaufhaltsamen Wucht jenes Dranges,
welcher Italien und Deutschland einig gemacht hat. Der überlieferte Zu¬
stand der Trennung entspricht einstweilen noch dem Volksbewußtsein. und
keine nahe, sichtbare, handgreifliche Gefahr treibt, ihn zu verlassen, um in
einem einmaligen gewaltigen Wagniß höhere Sicherheit zu suchen. Daher
werden die Schweden wohl noch auf lange Zeit hinaus Geduld genug be¬
sitzen, abzuwarten, daß zuvorkommende Ereignisse und fremder guter Wille
ihnen die Frucht der Führung des geeinigten Nordens mehr oder weniger
in den Schooß werfe, anstatt dafür voreilig das Schwert zu ziehen und zu
Schiffe zu steigen. Wenn sie jemals anders als auf gütlichem und friedlichem
Wege danach trachten, wird es im Einverständniß und nicht im Gegensatz
zu Deutschland geschehen.

Die Norweger waren durch die Begebenheiten von 1864 lebhafter und
allgemeiner auf Dänemarks Seite gezogen worden; allein es scheint, daß die
gewaltigen Vorgänge von 1866 diese Wirkung wiederum so ziemlich ausge¬
glichen haben. Wenigstens hielt der Führer der norwegischen Seandinavisten
Professor Broch es vor ein paar Monaten für nöthig, gegen die Ausbrei¬
tung "pangermanischer Ideen" zu agitiren; er bedachte sich nicht, es in
einem öffentlichen Vortrage zu thun, d. h. denen, die noch nicht davon wußten,
die Existenz solcher politischen Sympathien mit Deutschland zu verrathen.
Graf Bismarck's erfolgreicher staatsmännischer Muth hat, wie es hiernach den
Anschein gewinnt, selbst unter den leidenschaftlichsten und entschlossensten
Feinden alles Junkerthums. den norwegischen Bauern, Propaganda gemacht.
-Auch läßt sich annehmen. daß auf Norwegens öffentliche Meinung der Um¬
schwung in der englischen Presse mitbestimmend einwirke. Für eine politische
Veränderung ins Feld zu rücken, sind diese sparsamen und gegen den Ruhm
völlig gleichgültigen Republikaner im monarchischen Gewände aber ohnehin
nicht aufgelegt, Sie werden sich besten Falls mitschleppen lassen, aber sicher¬
lich nie die Initiative ergreifen.

Bleiben unsere guten Freunde, die Dänen! Selbst bei diesen darf die
Volksstimmung durchaus nicht nach der rothglühenden Leidenschaft der
kopenhagener Presse beurtheilt werden.' Es ist bekannt, was diese Stadr,
die sür den jetzigen Umfang des Staates viel zu groß ist. die sich zutraut
einem viel größeren Gemeinwesen die Beamten, Geistlichen, Lehrer, Aerzte,
Advokaten, kurz den öffentlichen Geist und die leitenden Talente zu liefern,
in der Geschichte der deutsch-dänischen Auseinandersetzung bedeutet. Indem


liehen, die Abneigung gegen militärische Abenteuer und eine halsbrechende
Zukunfcspolitik in allen Volsschichten erhöht. Die Art Nationalgefühl an¬
dererseits, welche den Schweden zu dem Norweger und dem Dänen hinzieht,
ihn empfänglich macht für die Schmerzen und Bedürfnisse dieser seiner Nach,
barn, ist doch nicht entfernt von der unaufhaltsamen Wucht jenes Dranges,
welcher Italien und Deutschland einig gemacht hat. Der überlieferte Zu¬
stand der Trennung entspricht einstweilen noch dem Volksbewußtsein. und
keine nahe, sichtbare, handgreifliche Gefahr treibt, ihn zu verlassen, um in
einem einmaligen gewaltigen Wagniß höhere Sicherheit zu suchen. Daher
werden die Schweden wohl noch auf lange Zeit hinaus Geduld genug be¬
sitzen, abzuwarten, daß zuvorkommende Ereignisse und fremder guter Wille
ihnen die Frucht der Führung des geeinigten Nordens mehr oder weniger
in den Schooß werfe, anstatt dafür voreilig das Schwert zu ziehen und zu
Schiffe zu steigen. Wenn sie jemals anders als auf gütlichem und friedlichem
Wege danach trachten, wird es im Einverständniß und nicht im Gegensatz
zu Deutschland geschehen.

Die Norweger waren durch die Begebenheiten von 1864 lebhafter und
allgemeiner auf Dänemarks Seite gezogen worden; allein es scheint, daß die
gewaltigen Vorgänge von 1866 diese Wirkung wiederum so ziemlich ausge¬
glichen haben. Wenigstens hielt der Führer der norwegischen Seandinavisten
Professor Broch es vor ein paar Monaten für nöthig, gegen die Ausbrei¬
tung „pangermanischer Ideen" zu agitiren; er bedachte sich nicht, es in
einem öffentlichen Vortrage zu thun, d. h. denen, die noch nicht davon wußten,
die Existenz solcher politischen Sympathien mit Deutschland zu verrathen.
Graf Bismarck's erfolgreicher staatsmännischer Muth hat, wie es hiernach den
Anschein gewinnt, selbst unter den leidenschaftlichsten und entschlossensten
Feinden alles Junkerthums. den norwegischen Bauern, Propaganda gemacht.
-Auch läßt sich annehmen. daß auf Norwegens öffentliche Meinung der Um¬
schwung in der englischen Presse mitbestimmend einwirke. Für eine politische
Veränderung ins Feld zu rücken, sind diese sparsamen und gegen den Ruhm
völlig gleichgültigen Republikaner im monarchischen Gewände aber ohnehin
nicht aufgelegt, Sie werden sich besten Falls mitschleppen lassen, aber sicher¬
lich nie die Initiative ergreifen.

Bleiben unsere guten Freunde, die Dänen! Selbst bei diesen darf die
Volksstimmung durchaus nicht nach der rothglühenden Leidenschaft der
kopenhagener Presse beurtheilt werden.' Es ist bekannt, was diese Stadr,
die sür den jetzigen Umfang des Staates viel zu groß ist. die sich zutraut
einem viel größeren Gemeinwesen die Beamten, Geistlichen, Lehrer, Aerzte,
Advokaten, kurz den öffentlichen Geist und die leitenden Talente zu liefern,
in der Geschichte der deutsch-dänischen Auseinandersetzung bedeutet. Indem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/225>, abgerufen am 02.07.2024.