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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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sitzt, seinen Schiffen folglich den bequemsten, allezeit offenen Ausgang
ins Weltmeer versperren kann. Außerdem verstärkt eine nordische Union
unvermeidlich die Mittel der Politik, welche in Stockholm aus theuren
alten Ueberlieferungen und fortdauernden Interessen unaufhörlich neu ent¬
steht; diese Politik aber hat im Herzen Finnland noch nicht aufgegeben,
und könnte durch eigne Erfolge oder russische Bedrängnisse gar leicht verleitet
werden, das Werk der letzten zwei Jahrhunderte noch weiter ungeschehen zu
denken, sich zu erinnern, daß Petersburg auf einstmals schwedischen Boden
erbaut ist. Wenn aber kein schwedischer Politiker daran denken kann, auf
dem Wege der künftigen Machtentwickelung, des berechtigten politischen Ehr¬
geizes seines Vaterlandes Rußland jemals anders als im Lichte eines Tod¬
feindes anzusehen, so gilt nicht dasselbe von der emporsteigenden norddeutschen
Macht. Für diese ist die Erhaltung der Zersplitterung im Norden keine
Lebensfrage, denn es hat außer der Ostsee noch die freie Nordsee. Gelüste auf
Pommern, Mecklenburg oder Bremer-Verden fürchtet sie nicht im entferntesten
jemals in Schweden wieder erwachen zu sehen, denn ausschließlich Deutsche sind
es, von denen diese Gebiete bewohnt werden, und der unbändigste Eroberungs--
trieb eines schwedischen Feldherrn oder Staatsmannes müßte für lange an
dem Raube genug haben, der sich, soviel näher gelegen und zum Theil stamm¬
verwandt, Rußland eventuell wieder abjagen ließe. Daher ist Norddeutsch¬
land nicht ein nothwendiger Feind Schwedens, wenn dieses einmal seinem
Expansivdrange nachgibt. Es würde nur dann in gleicher Linie mit Nu߬
land zu stellen sein, wenn man in Stockholm so thöricht wäre, sich die Politik
des werdenden oder gewordenen nordischen Bundes von Kopenhagen her
dictiren zu lassen. Davon aber ist einstweilen noch keine Rede. Man wird
natürlich Dänemark gern so groß wie möglich wünschen und es wird als keine
angenehme Zugabe betrachtet werden, wenn eine Anzahl Dänen fortfahren
sollte unter preußischem Scepter zu leben. Allein ehe man sich durch eine
fanatisch-sentimentale Auffassung dieser Einzelfrage zu Rußlands Widerspruch
auch die Feindschaft des norddeutschen Bundes noch auf den Hals zieht, wird
man sich doch zweimal besinnen, und lieber auf den schwedischen Schmerzens-
schrei jenseits des Bodenlöcher Busens als auf den dänischen jenseits der
Königsau und des Kleinen Betts lauschen.

Im übrigen ist die Stärke der in Schweden herrschenden Kriegstendenzen
nicht allzuhoch anzuschlagen. Mit dem alten historischen Großmachtsbewußtsein
der Dynastie, des Adels und des Heeres liegen die gewerblichen und land-
wirthschaftlichen Erwerbsinteressen in einem ähnlichen stillen Kampf wie in
Frankreich. Die verhältnißmäßig rasche Entwicklung der Eisenbahnen, deren
das weiterstreckte dünnbevölkerte Land so dringend bedürfte, hat dem wirth-
schaftlichen Vorwärtsstreben seit einigen Jahren einen mächtigen Anstoß ver--


sitzt, seinen Schiffen folglich den bequemsten, allezeit offenen Ausgang
ins Weltmeer versperren kann. Außerdem verstärkt eine nordische Union
unvermeidlich die Mittel der Politik, welche in Stockholm aus theuren
alten Ueberlieferungen und fortdauernden Interessen unaufhörlich neu ent¬
steht; diese Politik aber hat im Herzen Finnland noch nicht aufgegeben,
und könnte durch eigne Erfolge oder russische Bedrängnisse gar leicht verleitet
werden, das Werk der letzten zwei Jahrhunderte noch weiter ungeschehen zu
denken, sich zu erinnern, daß Petersburg auf einstmals schwedischen Boden
erbaut ist. Wenn aber kein schwedischer Politiker daran denken kann, auf
dem Wege der künftigen Machtentwickelung, des berechtigten politischen Ehr¬
geizes seines Vaterlandes Rußland jemals anders als im Lichte eines Tod¬
feindes anzusehen, so gilt nicht dasselbe von der emporsteigenden norddeutschen
Macht. Für diese ist die Erhaltung der Zersplitterung im Norden keine
Lebensfrage, denn es hat außer der Ostsee noch die freie Nordsee. Gelüste auf
Pommern, Mecklenburg oder Bremer-Verden fürchtet sie nicht im entferntesten
jemals in Schweden wieder erwachen zu sehen, denn ausschließlich Deutsche sind
es, von denen diese Gebiete bewohnt werden, und der unbändigste Eroberungs--
trieb eines schwedischen Feldherrn oder Staatsmannes müßte für lange an
dem Raube genug haben, der sich, soviel näher gelegen und zum Theil stamm¬
verwandt, Rußland eventuell wieder abjagen ließe. Daher ist Norddeutsch¬
land nicht ein nothwendiger Feind Schwedens, wenn dieses einmal seinem
Expansivdrange nachgibt. Es würde nur dann in gleicher Linie mit Nu߬
land zu stellen sein, wenn man in Stockholm so thöricht wäre, sich die Politik
des werdenden oder gewordenen nordischen Bundes von Kopenhagen her
dictiren zu lassen. Davon aber ist einstweilen noch keine Rede. Man wird
natürlich Dänemark gern so groß wie möglich wünschen und es wird als keine
angenehme Zugabe betrachtet werden, wenn eine Anzahl Dänen fortfahren
sollte unter preußischem Scepter zu leben. Allein ehe man sich durch eine
fanatisch-sentimentale Auffassung dieser Einzelfrage zu Rußlands Widerspruch
auch die Feindschaft des norddeutschen Bundes noch auf den Hals zieht, wird
man sich doch zweimal besinnen, und lieber auf den schwedischen Schmerzens-
schrei jenseits des Bodenlöcher Busens als auf den dänischen jenseits der
Königsau und des Kleinen Betts lauschen.

Im übrigen ist die Stärke der in Schweden herrschenden Kriegstendenzen
nicht allzuhoch anzuschlagen. Mit dem alten historischen Großmachtsbewußtsein
der Dynastie, des Adels und des Heeres liegen die gewerblichen und land-
wirthschaftlichen Erwerbsinteressen in einem ähnlichen stillen Kampf wie in
Frankreich. Die verhältnißmäßig rasche Entwicklung der Eisenbahnen, deren
das weiterstreckte dünnbevölkerte Land so dringend bedürfte, hat dem wirth-
schaftlichen Vorwärtsstreben seit einigen Jahren einen mächtigen Anstoß ver--


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/224>, abgerufen am 02.07.2024.