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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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daß er sofort nach England gehen möge, nur die Freundschaft des Krön-
Prinzen habe seine Entlassung verhindert. Er verließ Rom nach langjährigem
Aufenthalt: "Komm, laß uns ein andres Capitol suchen," sagte er zu Frances.

Bunsen betrat den englischen Boden zum erstenmale im August 1838.
aber er war dort kein Fremder, seine Frau war Engländerin und in Rom
hatte er zahlreiche Verbindungen mit bedeutenden Männern des Landes an¬
geknüpft. Der Streit, in dem er mit Rom verwickelt gewesen, machte ihn
außerdem zum Märtyrer der protestantischen Sache. Mit großem Eifer nahm
er denn diese Sache auch in England auf, vertheidigte die preußische
Regierung gegen die Angriffe O'Connells und der hochkirchlichen Kryp.
tokatholiken, wobei er einer der ersten war, welcher die Tendenz Newmans,
von den Traditionen der Reform abzulenken, denuncirte. Mit dem ganzen
Enthusiasmus seiner Natur nahm Bunsen die Eindrücke Englands in sich
auf, zum erstenmal fügte er sich in den Willen eines freien Volkes. Bisher
hatte er in der Zelle des Gelehrten, in der Zurückgezogenheit des Capitols
und am Hofe Berlins gelebt, England erweckte alle feine Sympathien und
er fand sich bald in einem Kreise warmer Freunde und Bewunderer. Jeder
Tag brachte Neues, Interessantes und Angenehmes, in London, Oxford oder
auf dem Lande. Besondere Beachtung verdient, was er über seinen ersten
Besuch im Parlament schreibt, kurz nachdem er dessen Eröffnung durch die
jugendliche Königin gesehen: -- "Ich wollte, ich könnte es schildern,
welche Macht die Anschauung des englischen Lebens auf mich übt. Im Par-
lament gestern sah ich zum erstenmale den Menschen, das Glied eines wahr¬
haft germanischen Staates, an seinem höchsten rechten Platz, die Interessen
der Menschheit mit gewaltiger Rede vertheidigen, mit den Armen des Geistes
ringen, ich sah vor mir dies Weltreich regiert und die übrige Welt contro-
lirt und gerichtet durch diese Versammlung, und ich fühlte, daß. wäre ich in
England geboren, ich lieber tod sein möchte, als nicht unter ihnen zu sitzen
und zu sprechen. Ich dachte an mein Vaterland und dankte Gott, daß ich
ihm danken konnte, ein Deutscher zu sein, aber ich fühlte auch, daß wir auf
diesem Felde alle Kinder seien verglichen mit den Engländern. Wie viel
vermögen sie mit ihrer Zucht an Leib, Geist und Herz zu erreichen, bei mä¬
ßigem Genius und selbst bei bloßem Talent!" -- Bunsen äußert übrigens
entschiedene Abneigung gegen die Whigs, welche er rein negativ-kritisch fand,
nur nützlich, um die Tories in Athem zu halten. Vor allem schloß er sich
lebhaft an Gladstone an, dessen Buch über Kirche und Staat soeben erschie¬
nen war und seine vollste Bewunderung erregte; er schickte sein Exemplar
voll von Randglossen an den Kronprinzen und erklärte, daß Gladstone der
bedeutendste Kopf Englands sei, während er sich gegenüber der Kritik
Hallam^ lMZ, den glänzenden Gaben Maeaulays in Wort und Schrift kühl ver-


> Grenzboten til. 1368. 15

daß er sofort nach England gehen möge, nur die Freundschaft des Krön-
Prinzen habe seine Entlassung verhindert. Er verließ Rom nach langjährigem
Aufenthalt: „Komm, laß uns ein andres Capitol suchen," sagte er zu Frances.

Bunsen betrat den englischen Boden zum erstenmale im August 1838.
aber er war dort kein Fremder, seine Frau war Engländerin und in Rom
hatte er zahlreiche Verbindungen mit bedeutenden Männern des Landes an¬
geknüpft. Der Streit, in dem er mit Rom verwickelt gewesen, machte ihn
außerdem zum Märtyrer der protestantischen Sache. Mit großem Eifer nahm
er denn diese Sache auch in England auf, vertheidigte die preußische
Regierung gegen die Angriffe O'Connells und der hochkirchlichen Kryp.
tokatholiken, wobei er einer der ersten war, welcher die Tendenz Newmans,
von den Traditionen der Reform abzulenken, denuncirte. Mit dem ganzen
Enthusiasmus seiner Natur nahm Bunsen die Eindrücke Englands in sich
auf, zum erstenmal fügte er sich in den Willen eines freien Volkes. Bisher
hatte er in der Zelle des Gelehrten, in der Zurückgezogenheit des Capitols
und am Hofe Berlins gelebt, England erweckte alle feine Sympathien und
er fand sich bald in einem Kreise warmer Freunde und Bewunderer. Jeder
Tag brachte Neues, Interessantes und Angenehmes, in London, Oxford oder
auf dem Lande. Besondere Beachtung verdient, was er über seinen ersten
Besuch im Parlament schreibt, kurz nachdem er dessen Eröffnung durch die
jugendliche Königin gesehen: — „Ich wollte, ich könnte es schildern,
welche Macht die Anschauung des englischen Lebens auf mich übt. Im Par-
lament gestern sah ich zum erstenmale den Menschen, das Glied eines wahr¬
haft germanischen Staates, an seinem höchsten rechten Platz, die Interessen
der Menschheit mit gewaltiger Rede vertheidigen, mit den Armen des Geistes
ringen, ich sah vor mir dies Weltreich regiert und die übrige Welt contro-
lirt und gerichtet durch diese Versammlung, und ich fühlte, daß. wäre ich in
England geboren, ich lieber tod sein möchte, als nicht unter ihnen zu sitzen
und zu sprechen. Ich dachte an mein Vaterland und dankte Gott, daß ich
ihm danken konnte, ein Deutscher zu sein, aber ich fühlte auch, daß wir auf
diesem Felde alle Kinder seien verglichen mit den Engländern. Wie viel
vermögen sie mit ihrer Zucht an Leib, Geist und Herz zu erreichen, bei mä¬
ßigem Genius und selbst bei bloßem Talent!" — Bunsen äußert übrigens
entschiedene Abneigung gegen die Whigs, welche er rein negativ-kritisch fand,
nur nützlich, um die Tories in Athem zu halten. Vor allem schloß er sich
lebhaft an Gladstone an, dessen Buch über Kirche und Staat soeben erschie¬
nen war und seine vollste Bewunderung erregte; er schickte sein Exemplar
voll von Randglossen an den Kronprinzen und erklärte, daß Gladstone der
bedeutendste Kopf Englands sei, während er sich gegenüber der Kritik
Hallam^ lMZ, den glänzenden Gaben Maeaulays in Wort und Schrift kühl ver-


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[0127] daß er sofort nach England gehen möge, nur die Freundschaft des Krön- Prinzen habe seine Entlassung verhindert. Er verließ Rom nach langjährigem Aufenthalt: „Komm, laß uns ein andres Capitol suchen," sagte er zu Frances. Bunsen betrat den englischen Boden zum erstenmale im August 1838. aber er war dort kein Fremder, seine Frau war Engländerin und in Rom hatte er zahlreiche Verbindungen mit bedeutenden Männern des Landes an¬ geknüpft. Der Streit, in dem er mit Rom verwickelt gewesen, machte ihn außerdem zum Märtyrer der protestantischen Sache. Mit großem Eifer nahm er denn diese Sache auch in England auf, vertheidigte die preußische Regierung gegen die Angriffe O'Connells und der hochkirchlichen Kryp. tokatholiken, wobei er einer der ersten war, welcher die Tendenz Newmans, von den Traditionen der Reform abzulenken, denuncirte. Mit dem ganzen Enthusiasmus seiner Natur nahm Bunsen die Eindrücke Englands in sich auf, zum erstenmal fügte er sich in den Willen eines freien Volkes. Bisher hatte er in der Zelle des Gelehrten, in der Zurückgezogenheit des Capitols und am Hofe Berlins gelebt, England erweckte alle feine Sympathien und er fand sich bald in einem Kreise warmer Freunde und Bewunderer. Jeder Tag brachte Neues, Interessantes und Angenehmes, in London, Oxford oder auf dem Lande. Besondere Beachtung verdient, was er über seinen ersten Besuch im Parlament schreibt, kurz nachdem er dessen Eröffnung durch die jugendliche Königin gesehen: — „Ich wollte, ich könnte es schildern, welche Macht die Anschauung des englischen Lebens auf mich übt. Im Par- lament gestern sah ich zum erstenmale den Menschen, das Glied eines wahr¬ haft germanischen Staates, an seinem höchsten rechten Platz, die Interessen der Menschheit mit gewaltiger Rede vertheidigen, mit den Armen des Geistes ringen, ich sah vor mir dies Weltreich regiert und die übrige Welt contro- lirt und gerichtet durch diese Versammlung, und ich fühlte, daß. wäre ich in England geboren, ich lieber tod sein möchte, als nicht unter ihnen zu sitzen und zu sprechen. Ich dachte an mein Vaterland und dankte Gott, daß ich ihm danken konnte, ein Deutscher zu sein, aber ich fühlte auch, daß wir auf diesem Felde alle Kinder seien verglichen mit den Engländern. Wie viel vermögen sie mit ihrer Zucht an Leib, Geist und Herz zu erreichen, bei mä¬ ßigem Genius und selbst bei bloßem Talent!" — Bunsen äußert übrigens entschiedene Abneigung gegen die Whigs, welche er rein negativ-kritisch fand, nur nützlich, um die Tories in Athem zu halten. Vor allem schloß er sich lebhaft an Gladstone an, dessen Buch über Kirche und Staat soeben erschie¬ nen war und seine vollste Bewunderung erregte; er schickte sein Exemplar voll von Randglossen an den Kronprinzen und erklärte, daß Gladstone der bedeutendste Kopf Englands sei, während er sich gegenüber der Kritik Hallam^ lMZ, den glänzenden Gaben Maeaulays in Wort und Schrift kühl ver- > Grenzboten til. 1368. 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/127>, abgerufen am 30.06.2024.