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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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gelegt. Im Gefühl, daß ihr die Schöpferkraft fehlte, stellte sie sich keine
neuen und großen Aufgaben, verzichtete auf Originalität der Auffassung und
strebte vor allem nach Correctheit der Formgebung, Eleganz der Darstellung
und Meisterschaft der Technik. Mit Bewußtsein wandte sie sich nach der
vollendeten Kunst früherer Zeiten zurück, und, wiewohl sie mit dem Eclecti-
cismus einer verfeinerten Bildung verschiedenen Richtungen nachzugehen nicht
verschmähte, so entnahm sie doch mit Vorliebe der attischen Kunst die Vor¬
bilder, welche man theils mit mehr oder weniger Freiheit und Geist nach¬
bildete, theils zum Gegenstand des Studiums für Formgebung und Technik
machte. Wenn in dieser Zeit des correcten Atticismus uns ein bedeutendes
Werk der Sculptur in vollem Farbenschmuck entgegentritt, so dürfen wir mit
Sicherheit annehmen, daß wir es nicht mit einer vereinzelten Curiosität, nicht
mit einer Neuerung zu thun haben, sondern daß wir darin die Tradition
der früheren, namentlich auch der attischen Kunst erkennen müssen.

Besonders sind aber auch die reichlich und deutlich erhaltenen Farbenspuren
dieser Statuen von großer Wichtigkeit. Denn so sicher auch das Factum
der polychromen Sculptur im Allgemeinen erwiesen ist, so wenig sind wir
über das System derselben, sowohl was die Ausdehnung als die Art und
Weise der Färbung anlangt, näher unterrichtet.

Die Tunica des Augustus ist carmoisinroth, der Mantel purpurroth,
die Franzen des Harnisches gelb; an den nackten Körpertheilen sind keine
Farbenspuren bemerkbar, mit Ausnahme der schon angeführten Bezeichnung
der Pupille durch gelbliche Farbe; auch das Haar läßt keine Farbe erkennen.
Mit besonderer Sorgfalt sind aber die Reliefverzierungen des Harnisches,
dessen Grundfläche farblos geblieben ist, colorire. Die Schulterblätter sind
jedes mit einer Sphinx verziert, unter welcher an einer Rosette ein Ring
befestigt ist. Die Vorstellung auf dem Brustharnisch, eine mit übersichtlicher
Symmetrie gefällig angeordnete Composition, sondert sich in drei Reihen.
Zu oberst ragt aus blauen Wellen oder Wolken mit nacktem Oberleib
die bärtige Gestalt des Himmelsgottes hervor, der mit beiden ausge¬
streckten Händen ein purpurfarbiges Gewand, das sich im Bogen über seinem
Haupte wölbt, gefaßt hält. Darunter lenkt der Sonnengott im langen
Gewände der griechischen Wagenlenker auf carmoisinrothen Wagen ein
wüthiges Viergespann; vor ihm schwebt eine Frau mit ausgebreiteten blauen
Flügeln, ein Gießgefäß in der Linken; sie trägt auf ihrem Rücken eine Frau
Mit bogenförmig wallendem Schleier und einer großen Fackel in der Linken
^die Göttinnen des Morgen than s und der Mo r gen rothe. Entsprechend
diesen Luftgottheiten ist ganz unten die Erdgöttin gelagert, einen Aehren-
kranz im blonden Haar; neben ihr sproßt Getreide und Mohn auf; mit der
Rechten stützt sie ein gefülltes Fruchthorn auf, links ihr zur Seite sitzen, an


gelegt. Im Gefühl, daß ihr die Schöpferkraft fehlte, stellte sie sich keine
neuen und großen Aufgaben, verzichtete auf Originalität der Auffassung und
strebte vor allem nach Correctheit der Formgebung, Eleganz der Darstellung
und Meisterschaft der Technik. Mit Bewußtsein wandte sie sich nach der
vollendeten Kunst früherer Zeiten zurück, und, wiewohl sie mit dem Eclecti-
cismus einer verfeinerten Bildung verschiedenen Richtungen nachzugehen nicht
verschmähte, so entnahm sie doch mit Vorliebe der attischen Kunst die Vor¬
bilder, welche man theils mit mehr oder weniger Freiheit und Geist nach¬
bildete, theils zum Gegenstand des Studiums für Formgebung und Technik
machte. Wenn in dieser Zeit des correcten Atticismus uns ein bedeutendes
Werk der Sculptur in vollem Farbenschmuck entgegentritt, so dürfen wir mit
Sicherheit annehmen, daß wir es nicht mit einer vereinzelten Curiosität, nicht
mit einer Neuerung zu thun haben, sondern daß wir darin die Tradition
der früheren, namentlich auch der attischen Kunst erkennen müssen.

Besonders sind aber auch die reichlich und deutlich erhaltenen Farbenspuren
dieser Statuen von großer Wichtigkeit. Denn so sicher auch das Factum
der polychromen Sculptur im Allgemeinen erwiesen ist, so wenig sind wir
über das System derselben, sowohl was die Ausdehnung als die Art und
Weise der Färbung anlangt, näher unterrichtet.

Die Tunica des Augustus ist carmoisinroth, der Mantel purpurroth,
die Franzen des Harnisches gelb; an den nackten Körpertheilen sind keine
Farbenspuren bemerkbar, mit Ausnahme der schon angeführten Bezeichnung
der Pupille durch gelbliche Farbe; auch das Haar läßt keine Farbe erkennen.
Mit besonderer Sorgfalt sind aber die Reliefverzierungen des Harnisches,
dessen Grundfläche farblos geblieben ist, colorire. Die Schulterblätter sind
jedes mit einer Sphinx verziert, unter welcher an einer Rosette ein Ring
befestigt ist. Die Vorstellung auf dem Brustharnisch, eine mit übersichtlicher
Symmetrie gefällig angeordnete Composition, sondert sich in drei Reihen.
Zu oberst ragt aus blauen Wellen oder Wolken mit nacktem Oberleib
die bärtige Gestalt des Himmelsgottes hervor, der mit beiden ausge¬
streckten Händen ein purpurfarbiges Gewand, das sich im Bogen über seinem
Haupte wölbt, gefaßt hält. Darunter lenkt der Sonnengott im langen
Gewände der griechischen Wagenlenker auf carmoisinrothen Wagen ein
wüthiges Viergespann; vor ihm schwebt eine Frau mit ausgebreiteten blauen
Flügeln, ein Gießgefäß in der Linken; sie trägt auf ihrem Rücken eine Frau
Mit bogenförmig wallendem Schleier und einer großen Fackel in der Linken
^die Göttinnen des Morgen than s und der Mo r gen rothe. Entsprechend
diesen Luftgottheiten ist ganz unten die Erdgöttin gelagert, einen Aehren-
kranz im blonden Haar; neben ihr sproßt Getreide und Mohn auf; mit der
Rechten stützt sie ein gefülltes Fruchthorn auf, links ihr zur Seite sitzen, an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/93>, abgerufen am 05.02.2025.