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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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den meisten Fällen blieb sie unbeachtet, oder ward doch nicht überliefert, auch
wurden wohl die Farbenspuren als eine unwillkommene Geschmacklosigkeit
getilgt. So war es möglich, daß man auch die zahlreichen Stellen der alten
Schriftsteller aus den verschiedensten Zeiten, welche bald von der Farben¬
wirkung der Sculptur als etwas sich von selbst verstehenden im Vorbeigehen
reden, bald dieselbe als ein eigenthümliches und bedeutendes Moment her¬
vorheben, theils unbeachtet ließ, theils, weil die richtige Anschauung fehlte,
verkehrt deutete. Erst neuerdings hat sorgfältige, mit lebendigem Interesse
für diese Erscheinung vorgenommene Untersuchung an den Monumenten die
Farben, oder die deutlichen Spuren der Farben nachgewiesen. Denn sehr
häufig hinterläßt die auf den Stein aufgetragene Farbe, auch nachdem sie
verschwunden ist, eine eigenthümlich veränderte Oberfläche, welche für Ansicht
und Gefühl den unzweifelhaften Beweis ehemaliger Färbung herstellt. So
ist nach und nach eine zusammenhängende Reihe von Thatsachen gewonnen,
welche die Anwendung der polychromen Sculptur Schritt für Schritt gegen
die ihr das Terrain streitig machende Tradition in immer größerer Ausdehnung
nachwiesen. Daß die Sculptur, soweit sie mit der Architektur in organischem
Zusammenhang stand, Friese, Metopen, Giebelfelder schmückte, sich dem dort
durchgebildeten System der Farbengebung nicht entziehen konnte, ist nicht
allein ein Postulat der künstlerischen Consequenz, sondern durch eine reiche
Induction der Tempelsculpturen von Selinunt, Aegina, Olympia, Athen,
Hcilikarnaß -- um nur die Spitzen zu streifen -- gerade für die echt griechi¬
sche Kunst vollständig erwiesen. Damit ist aber für die eigentlichen Tempel-
dilder die gleiche Forderung unabweisbar geworden. Darf man schon von
vornherein erwarten, daß ein künstlerisch empfindendes Volk, welches den
Tempel der im Bilde vertretenen Gottheit zur Wohnung gab. dieses Götterbild
auch als einen wesentlichen Theil des durch die Kunst geschmückten Raumes
ansehen und mit dem Charakter dieses Schmucks in Einklang setzen werde,
so fehlt es auch hier nicht an deutlich redenden Thatsachen. Die alte, aber
noch bis in späte Zeiten festgehaltene Sitte, das Cultusbild namentlich an
den Festtagen mit wirklichen Gewändern zu bekleiden und mit mancherlei
Schmuckgegenständen zu putzen, ließ dasselbe auch in bunten Farben erschei¬
nen und führte von selbst die Aufgabe für die Sculptur mit sich, bei der
genauen Nachbildung so bekleideter Idole auch die Farben wiederzugeben.
Dazu kam. daß die Stoffe, deren sich die älteste Kunst bediente, Holz und
Thon, einen Ueberzug von Farbe nothwendig machten, der nun auch auf
die Sculptur in Stein ganz naturgemäß überging. Frühzeitig wandte
man verschiedenartige Stoffe zusammen an, indem gewisse Theile aus
Stein oder Metall, andere aus Holz gebildet wurden; schon diese Zusam¬
mensetzung beruhte auf einem System der Polychromie, sie machte, um Ein-


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den meisten Fällen blieb sie unbeachtet, oder ward doch nicht überliefert, auch
wurden wohl die Farbenspuren als eine unwillkommene Geschmacklosigkeit
getilgt. So war es möglich, daß man auch die zahlreichen Stellen der alten
Schriftsteller aus den verschiedensten Zeiten, welche bald von der Farben¬
wirkung der Sculptur als etwas sich von selbst verstehenden im Vorbeigehen
reden, bald dieselbe als ein eigenthümliches und bedeutendes Moment her¬
vorheben, theils unbeachtet ließ, theils, weil die richtige Anschauung fehlte,
verkehrt deutete. Erst neuerdings hat sorgfältige, mit lebendigem Interesse
für diese Erscheinung vorgenommene Untersuchung an den Monumenten die
Farben, oder die deutlichen Spuren der Farben nachgewiesen. Denn sehr
häufig hinterläßt die auf den Stein aufgetragene Farbe, auch nachdem sie
verschwunden ist, eine eigenthümlich veränderte Oberfläche, welche für Ansicht
und Gefühl den unzweifelhaften Beweis ehemaliger Färbung herstellt. So
ist nach und nach eine zusammenhängende Reihe von Thatsachen gewonnen,
welche die Anwendung der polychromen Sculptur Schritt für Schritt gegen
die ihr das Terrain streitig machende Tradition in immer größerer Ausdehnung
nachwiesen. Daß die Sculptur, soweit sie mit der Architektur in organischem
Zusammenhang stand, Friese, Metopen, Giebelfelder schmückte, sich dem dort
durchgebildeten System der Farbengebung nicht entziehen konnte, ist nicht
allein ein Postulat der künstlerischen Consequenz, sondern durch eine reiche
Induction der Tempelsculpturen von Selinunt, Aegina, Olympia, Athen,
Hcilikarnaß — um nur die Spitzen zu streifen — gerade für die echt griechi¬
sche Kunst vollständig erwiesen. Damit ist aber für die eigentlichen Tempel-
dilder die gleiche Forderung unabweisbar geworden. Darf man schon von
vornherein erwarten, daß ein künstlerisch empfindendes Volk, welches den
Tempel der im Bilde vertretenen Gottheit zur Wohnung gab. dieses Götterbild
auch als einen wesentlichen Theil des durch die Kunst geschmückten Raumes
ansehen und mit dem Charakter dieses Schmucks in Einklang setzen werde,
so fehlt es auch hier nicht an deutlich redenden Thatsachen. Die alte, aber
noch bis in späte Zeiten festgehaltene Sitte, das Cultusbild namentlich an
den Festtagen mit wirklichen Gewändern zu bekleiden und mit mancherlei
Schmuckgegenständen zu putzen, ließ dasselbe auch in bunten Farben erschei¬
nen und führte von selbst die Aufgabe für die Sculptur mit sich, bei der
genauen Nachbildung so bekleideter Idole auch die Farben wiederzugeben.
Dazu kam. daß die Stoffe, deren sich die älteste Kunst bediente, Holz und
Thon, einen Ueberzug von Farbe nothwendig machten, der nun auch auf
die Sculptur in Stein ganz naturgemäß überging. Frühzeitig wandte
man verschiedenartige Stoffe zusammen an, indem gewisse Theile aus
Stein oder Metall, andere aus Holz gebildet wurden; schon diese Zusam¬
mensetzung beruhte auf einem System der Polychromie, sie machte, um Ein-


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[0091] den meisten Fällen blieb sie unbeachtet, oder ward doch nicht überliefert, auch wurden wohl die Farbenspuren als eine unwillkommene Geschmacklosigkeit getilgt. So war es möglich, daß man auch die zahlreichen Stellen der alten Schriftsteller aus den verschiedensten Zeiten, welche bald von der Farben¬ wirkung der Sculptur als etwas sich von selbst verstehenden im Vorbeigehen reden, bald dieselbe als ein eigenthümliches und bedeutendes Moment her¬ vorheben, theils unbeachtet ließ, theils, weil die richtige Anschauung fehlte, verkehrt deutete. Erst neuerdings hat sorgfältige, mit lebendigem Interesse für diese Erscheinung vorgenommene Untersuchung an den Monumenten die Farben, oder die deutlichen Spuren der Farben nachgewiesen. Denn sehr häufig hinterläßt die auf den Stein aufgetragene Farbe, auch nachdem sie verschwunden ist, eine eigenthümlich veränderte Oberfläche, welche für Ansicht und Gefühl den unzweifelhaften Beweis ehemaliger Färbung herstellt. So ist nach und nach eine zusammenhängende Reihe von Thatsachen gewonnen, welche die Anwendung der polychromen Sculptur Schritt für Schritt gegen die ihr das Terrain streitig machende Tradition in immer größerer Ausdehnung nachwiesen. Daß die Sculptur, soweit sie mit der Architektur in organischem Zusammenhang stand, Friese, Metopen, Giebelfelder schmückte, sich dem dort durchgebildeten System der Farbengebung nicht entziehen konnte, ist nicht allein ein Postulat der künstlerischen Consequenz, sondern durch eine reiche Induction der Tempelsculpturen von Selinunt, Aegina, Olympia, Athen, Hcilikarnaß — um nur die Spitzen zu streifen — gerade für die echt griechi¬ sche Kunst vollständig erwiesen. Damit ist aber für die eigentlichen Tempel- dilder die gleiche Forderung unabweisbar geworden. Darf man schon von vornherein erwarten, daß ein künstlerisch empfindendes Volk, welches den Tempel der im Bilde vertretenen Gottheit zur Wohnung gab. dieses Götterbild auch als einen wesentlichen Theil des durch die Kunst geschmückten Raumes ansehen und mit dem Charakter dieses Schmucks in Einklang setzen werde, so fehlt es auch hier nicht an deutlich redenden Thatsachen. Die alte, aber noch bis in späte Zeiten festgehaltene Sitte, das Cultusbild namentlich an den Festtagen mit wirklichen Gewändern zu bekleiden und mit mancherlei Schmuckgegenständen zu putzen, ließ dasselbe auch in bunten Farben erschei¬ nen und führte von selbst die Aufgabe für die Sculptur mit sich, bei der genauen Nachbildung so bekleideter Idole auch die Farben wiederzugeben. Dazu kam. daß die Stoffe, deren sich die älteste Kunst bediente, Holz und Thon, einen Ueberzug von Farbe nothwendig machten, der nun auch auf die Sculptur in Stein ganz naturgemäß überging. Frühzeitig wandte man verschiedenartige Stoffe zusammen an, indem gewisse Theile aus Stein oder Metall, andere aus Holz gebildet wurden; schon diese Zusam¬ mensetzung beruhte auf einem System der Polychromie, sie machte, um Ein- 11*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/91>, abgerufen am 05.02.2025.