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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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heimlich waren, daß er erklärte, in einem Zimmer mit einer Büste des Au-
gustus nicht ruhig arbeiten zu können. Ueber der Tunica hat er einen mit
getriebener Arbeit reich verzierten Harnisch angelegt, der Mantel ist von bei¬
den Seiten her über den linken Arm geworfen, so daß er nur den mittleren
Theil des Körpers bedeckt; die Füße sind unbeschuht, das Haupt entblößt.
Zur Rechten steht neben ihm aufgerichtet ein Delphin, auf welchem ein Amor
reitet, als Beiwerk nachlässiger behandelt. In der Statue selbst ist die Hand
eines Meisters unverkennbar, der über alle Mittel der Technik sicher und mit
Geschmack verfügte. Der Faltenwurf ist reich ohne Ueberladung und frei,
der Panzer gibt mit einem raffinirten Realismus in allem Detail die feine
ciselirte Arbeit wieder. Der Kopf ist ein charakteristisch lebendiges Portrait;
die Haare sind einfach aber wirkungsvoll behandelt, die Knochen der Augen¬
brauen scharf markirt, die Augen selbst tiefliegend, die Pupille nicht allein
mit dem Meißel, sondern auch durch Farbe hervorgehoben -- Augustus hatte
ein leuchtendes Auge und einen scharfen Blick, aus dessen Wirkung er sich
etwas zu Gute that.

Was die Statue auf den ersten Blick merkwürdig macht, das ist die
durchgängige Anwendung der allenthalben deutlich erhaltenen Farben. Da¬
durch wird sie ein besonders lehrreiches Beispiel der polychromen Sculp-
tur und, wenn es auch, um die Thatsache zu constatiren, keiner Belege mehr
bedarf, ein sehr willkommnes. Denn das einst giltige ästhetische Dogma,
daß die wahre Sculptur, als die Kunst der reinen Form, die Anwendung
der Farbe nicht zulasse, daß alle classische und ideale Plastik farblos sei,
entbehrt wenigstens der geschichtlichen Begründung. Hat man der mittel¬
alterlichen Sculptur gegenüber ihre Vielfarbigkeit zum Argument ihrer Bar¬
barei gemacht, so muß jetzt als ausgemacht gelten, daß auch für die griechische
Kunst die Polychromie zu allen Zeiten die Regel gewesen ist. Die Ein¬
wirkungen der Luft und noch mehr der Erde auf die Oberfläche des Marmors
zeigen sich besonders der Farbe verderblich, sodaß diese meistens ganz oder
bis auf vereinzelte Spuren verschwunden sind. Und selbst wenn dergleichen
beim Aufgraben noch deutlich erkennbar sind, so verlieren sie sich gewöhnlich
bald an der frischen Luft. Wer in eine neu geöffnete etruskische Grab¬
kammer eintritt, wird überrascht durch den bunten Farbenschmuck, in welchem
die Reliefs der Sarkophage prangen; nach einigen Jahren sind in den Museen
meist nur noch vereinzelte Spuren desselben wahrzunehmen. Die Farben der
Sculpturen vom Maussolleion, welche bei der Ausgrabung klar zu sehen
waren, sind jetzt undeutlich und zweifelhaft geworden. Wer sieht denn heute,
daß die mediceische Venus einst goldene Haare hatte und die Pallas von
Velletri bemalt war? Hier, wie bei einigen anderen Sculpturen, wurde diese
Erscheinung schon in früherer Zeit als eine seltsame Curiosität angemerkt; in


heimlich waren, daß er erklärte, in einem Zimmer mit einer Büste des Au-
gustus nicht ruhig arbeiten zu können. Ueber der Tunica hat er einen mit
getriebener Arbeit reich verzierten Harnisch angelegt, der Mantel ist von bei¬
den Seiten her über den linken Arm geworfen, so daß er nur den mittleren
Theil des Körpers bedeckt; die Füße sind unbeschuht, das Haupt entblößt.
Zur Rechten steht neben ihm aufgerichtet ein Delphin, auf welchem ein Amor
reitet, als Beiwerk nachlässiger behandelt. In der Statue selbst ist die Hand
eines Meisters unverkennbar, der über alle Mittel der Technik sicher und mit
Geschmack verfügte. Der Faltenwurf ist reich ohne Ueberladung und frei,
der Panzer gibt mit einem raffinirten Realismus in allem Detail die feine
ciselirte Arbeit wieder. Der Kopf ist ein charakteristisch lebendiges Portrait;
die Haare sind einfach aber wirkungsvoll behandelt, die Knochen der Augen¬
brauen scharf markirt, die Augen selbst tiefliegend, die Pupille nicht allein
mit dem Meißel, sondern auch durch Farbe hervorgehoben — Augustus hatte
ein leuchtendes Auge und einen scharfen Blick, aus dessen Wirkung er sich
etwas zu Gute that.

Was die Statue auf den ersten Blick merkwürdig macht, das ist die
durchgängige Anwendung der allenthalben deutlich erhaltenen Farben. Da¬
durch wird sie ein besonders lehrreiches Beispiel der polychromen Sculp-
tur und, wenn es auch, um die Thatsache zu constatiren, keiner Belege mehr
bedarf, ein sehr willkommnes. Denn das einst giltige ästhetische Dogma,
daß die wahre Sculptur, als die Kunst der reinen Form, die Anwendung
der Farbe nicht zulasse, daß alle classische und ideale Plastik farblos sei,
entbehrt wenigstens der geschichtlichen Begründung. Hat man der mittel¬
alterlichen Sculptur gegenüber ihre Vielfarbigkeit zum Argument ihrer Bar¬
barei gemacht, so muß jetzt als ausgemacht gelten, daß auch für die griechische
Kunst die Polychromie zu allen Zeiten die Regel gewesen ist. Die Ein¬
wirkungen der Luft und noch mehr der Erde auf die Oberfläche des Marmors
zeigen sich besonders der Farbe verderblich, sodaß diese meistens ganz oder
bis auf vereinzelte Spuren verschwunden sind. Und selbst wenn dergleichen
beim Aufgraben noch deutlich erkennbar sind, so verlieren sie sich gewöhnlich
bald an der frischen Luft. Wer in eine neu geöffnete etruskische Grab¬
kammer eintritt, wird überrascht durch den bunten Farbenschmuck, in welchem
die Reliefs der Sarkophage prangen; nach einigen Jahren sind in den Museen
meist nur noch vereinzelte Spuren desselben wahrzunehmen. Die Farben der
Sculpturen vom Maussolleion, welche bei der Ausgrabung klar zu sehen
waren, sind jetzt undeutlich und zweifelhaft geworden. Wer sieht denn heute,
daß die mediceische Venus einst goldene Haare hatte und die Pallas von
Velletri bemalt war? Hier, wie bei einigen anderen Sculpturen, wurde diese
Erscheinung schon in früherer Zeit als eine seltsame Curiosität angemerkt; in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/90>, abgerufen am 05.02.2025.