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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Wie es den würtembergischen Juristen verboten ist, nordwärts zu
blicken ohne Genehmigung des Justizministers, so ist es der Bundesregierung
und dem Reichstag untersagt, innerhalb seiner unzweifelhaften Competenz
Gesetze zu erlassen, -- ohne die Zustimmung des preußischen Herrenhauses.

Die Jungradicalen in Stuttgart und die Altconservativen in Berlin
verstehen einander. Das war in Stuttgart der erste Tag am Wendekreis
des Krebses. Und auch der zweite Tag ermangelte nicht des Ruhmes.

Am Tage nach der Apostrophe des Justizministers erfolgte nämlich eine
Rede des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, Herrn von Varnbüler,
welche jene an Deutlichkeit bedeutend übertraf und daher von den Zeitungen
ausführlich wiedergegeben wurde, was bei der des Justizministers jenseits
der schwarzrothen Grenzpfähle nicht der Fall war. Varnbülers Diatribe gegen
den norddeutschen Bund und dessen Verfassung leistete im östreichischen Sinne
alles mögliche; namentlich erging sie sich für den Fall des Beitritts von
Würtemberg in Prophezeiungen, die an düsterer Wahrheit den kassandrischen
Weisagungen Moriz Mohls nichts nachgaben; und sie erschien um so auf¬
fallender, als die Verhandlungen gar keine Veranlassung dazu gaben, vielmehr
die Sache geradezu vom Zaune gebrochen war.

Es handelte sich nämlich um die Anforderung der Besoldung für einen
würtembergischen Gesandten in Florenz; und der Umstand, daß einige Ab¬
geordnete einen solchen Posten für ein Ländchen von nur 1,700,000 Ein¬
wohnern und nicht allzustarker Finanzkraft überflüssig fanden, reizte den
Premier so sehr, daß er Würtembergs Eintritt in den norddeutschen Bund
mit den schwärzesten Farben malte und im Gegensatze zu der diplomatischen
Regel, daß man niemals ^niemals" sagen solle, und daß man, um zu reussi-
ren, nicht zu viel Eifer zeigen dürfe, sein "Niemals! -- Niemals! -- Nie¬
mals!" mit einem solchen Eifer in die Welt rief, daß jeder Zuhörer die
Ueberzeugung gewann, es sei ihm 1867 mit seinem "Niemals" ebenso bluti¬
ger und heiliger Ernst, wie 1866 mit seinem: Vae piceis!"

Er erklärte, er werde jede Kammer auflösen, welche sich für den Beitritt
ausspreche.

Während des Redens schien jedoch ihm selbst eine trübe Reminiscenz
an das. was seinem "Wehe den Besiegten" gefolgt ist, aufzublitzen. Wie
der Regen dem Donner, so folgte die Wehmuth dem drohenden Zorn; und
der mächtige Minister schloß fast sentimental: "dem Geschicke, das man ja
nicht voraussehen könne, müsse man sich freilich unterwerfen; und auch das
Schicksal Würtembergs müßte man schließlich doch der Vorsehung anheim¬
geben." Diese Worte, welche so elegisch anklangen an das hannoversche
"Ende aller Dinge", fehlen in den Zeitungsberichten. Ich bringe sie
hier in dem Feuilleton in Sicherheit, damit sie der Nachwelt nicht ver-


Wie es den würtembergischen Juristen verboten ist, nordwärts zu
blicken ohne Genehmigung des Justizministers, so ist es der Bundesregierung
und dem Reichstag untersagt, innerhalb seiner unzweifelhaften Competenz
Gesetze zu erlassen, — ohne die Zustimmung des preußischen Herrenhauses.

Die Jungradicalen in Stuttgart und die Altconservativen in Berlin
verstehen einander. Das war in Stuttgart der erste Tag am Wendekreis
des Krebses. Und auch der zweite Tag ermangelte nicht des Ruhmes.

Am Tage nach der Apostrophe des Justizministers erfolgte nämlich eine
Rede des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, Herrn von Varnbüler,
welche jene an Deutlichkeit bedeutend übertraf und daher von den Zeitungen
ausführlich wiedergegeben wurde, was bei der des Justizministers jenseits
der schwarzrothen Grenzpfähle nicht der Fall war. Varnbülers Diatribe gegen
den norddeutschen Bund und dessen Verfassung leistete im östreichischen Sinne
alles mögliche; namentlich erging sie sich für den Fall des Beitritts von
Würtemberg in Prophezeiungen, die an düsterer Wahrheit den kassandrischen
Weisagungen Moriz Mohls nichts nachgaben; und sie erschien um so auf¬
fallender, als die Verhandlungen gar keine Veranlassung dazu gaben, vielmehr
die Sache geradezu vom Zaune gebrochen war.

Es handelte sich nämlich um die Anforderung der Besoldung für einen
würtembergischen Gesandten in Florenz; und der Umstand, daß einige Ab¬
geordnete einen solchen Posten für ein Ländchen von nur 1,700,000 Ein¬
wohnern und nicht allzustarker Finanzkraft überflüssig fanden, reizte den
Premier so sehr, daß er Würtembergs Eintritt in den norddeutschen Bund
mit den schwärzesten Farben malte und im Gegensatze zu der diplomatischen
Regel, daß man niemals ^niemals" sagen solle, und daß man, um zu reussi-
ren, nicht zu viel Eifer zeigen dürfe, sein „Niemals! — Niemals! — Nie¬
mals!" mit einem solchen Eifer in die Welt rief, daß jeder Zuhörer die
Ueberzeugung gewann, es sei ihm 1867 mit seinem „Niemals" ebenso bluti¬
ger und heiliger Ernst, wie 1866 mit seinem: Vae piceis!"

Er erklärte, er werde jede Kammer auflösen, welche sich für den Beitritt
ausspreche.

Während des Redens schien jedoch ihm selbst eine trübe Reminiscenz
an das. was seinem „Wehe den Besiegten" gefolgt ist, aufzublitzen. Wie
der Regen dem Donner, so folgte die Wehmuth dem drohenden Zorn; und
der mächtige Minister schloß fast sentimental: „dem Geschicke, das man ja
nicht voraussehen könne, müsse man sich freilich unterwerfen; und auch das
Schicksal Würtembergs müßte man schließlich doch der Vorsehung anheim¬
geben." Diese Worte, welche so elegisch anklangen an das hannoversche
„Ende aller Dinge", fehlen in den Zeitungsberichten. Ich bringe sie
hier in dem Feuilleton in Sicherheit, damit sie der Nachwelt nicht ver-


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[0069] Wie es den würtembergischen Juristen verboten ist, nordwärts zu blicken ohne Genehmigung des Justizministers, so ist es der Bundesregierung und dem Reichstag untersagt, innerhalb seiner unzweifelhaften Competenz Gesetze zu erlassen, — ohne die Zustimmung des preußischen Herrenhauses. Die Jungradicalen in Stuttgart und die Altconservativen in Berlin verstehen einander. Das war in Stuttgart der erste Tag am Wendekreis des Krebses. Und auch der zweite Tag ermangelte nicht des Ruhmes. Am Tage nach der Apostrophe des Justizministers erfolgte nämlich eine Rede des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, Herrn von Varnbüler, welche jene an Deutlichkeit bedeutend übertraf und daher von den Zeitungen ausführlich wiedergegeben wurde, was bei der des Justizministers jenseits der schwarzrothen Grenzpfähle nicht der Fall war. Varnbülers Diatribe gegen den norddeutschen Bund und dessen Verfassung leistete im östreichischen Sinne alles mögliche; namentlich erging sie sich für den Fall des Beitritts von Würtemberg in Prophezeiungen, die an düsterer Wahrheit den kassandrischen Weisagungen Moriz Mohls nichts nachgaben; und sie erschien um so auf¬ fallender, als die Verhandlungen gar keine Veranlassung dazu gaben, vielmehr die Sache geradezu vom Zaune gebrochen war. Es handelte sich nämlich um die Anforderung der Besoldung für einen würtembergischen Gesandten in Florenz; und der Umstand, daß einige Ab¬ geordnete einen solchen Posten für ein Ländchen von nur 1,700,000 Ein¬ wohnern und nicht allzustarker Finanzkraft überflüssig fanden, reizte den Premier so sehr, daß er Würtembergs Eintritt in den norddeutschen Bund mit den schwärzesten Farben malte und im Gegensatze zu der diplomatischen Regel, daß man niemals ^niemals" sagen solle, und daß man, um zu reussi- ren, nicht zu viel Eifer zeigen dürfe, sein „Niemals! — Niemals! — Nie¬ mals!" mit einem solchen Eifer in die Welt rief, daß jeder Zuhörer die Ueberzeugung gewann, es sei ihm 1867 mit seinem „Niemals" ebenso bluti¬ ger und heiliger Ernst, wie 1866 mit seinem: Vae piceis!" Er erklärte, er werde jede Kammer auflösen, welche sich für den Beitritt ausspreche. Während des Redens schien jedoch ihm selbst eine trübe Reminiscenz an das. was seinem „Wehe den Besiegten" gefolgt ist, aufzublitzen. Wie der Regen dem Donner, so folgte die Wehmuth dem drohenden Zorn; und der mächtige Minister schloß fast sentimental: „dem Geschicke, das man ja nicht voraussehen könne, müsse man sich freilich unterwerfen; und auch das Schicksal Würtembergs müßte man schließlich doch der Vorsehung anheim¬ geben." Diese Worte, welche so elegisch anklangen an das hannoversche „Ende aller Dinge", fehlen in den Zeitungsberichten. Ich bringe sie hier in dem Feuilleton in Sicherheit, damit sie der Nachwelt nicht ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/69>, abgerufen am 02.10.2024.