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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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alten Leser der Grenzboten einige Bemerkungen dazu gestatten, wozu er
vielleicht vor andern Mitgliedern des Landtages sich aufgefordert sieht, einmal
weil er, wie dort beiläufig erwähnt wird, bei der Discussion sich lebhaft be¬
theiligte, und dann weil er theilweise der in Rede stehenden Provinz, ande¬
rerseits aber keiner der bestehenden Fractionen des Landtages angehört, also
ein mindestens durch vorgefaßte provinzielle oder Parteistandpunkte nicht be¬
fangenes Urtheil sich bewahrt zu haben glaubt. --

Ihr Korrespondent legt der vorliegenden Frage eine ganz außerordent¬
liche politische Tragweite bei. "Der Pr'ovinzialfonds ist (ihm) eine Frage,
welche wie keine andere ein Criterium für die Gesundheit der von den ver¬
schiedenen Parteien befolgten inneren Politik bot", "welche für die gesammte
Organisation der neuen Provinzen und des neuen Staates präjudicirlich ist";
"ohne ihre prinzipielle Entscheidung ist jeder Versuch zu einer heilsamen Re¬
organisation der Verwaltung in den neuen Provinzen vergeblich." --

Ja, noch mehr! -- Es soll sich um die Frage handeln, "inwieweit
die Ordnungen des alten preußischen Staates für den neuen
deutschen Staat maßgebend sein" -- "ob Deutschland in Preußen
aufgehen, oder Preußen mit Deutschland zu einem neuen Staatsorganismus
verbunden werden sollte." -- ..Von ihrer glücklichen Lösung ist die Zukunft
der gesammten deutschen Frage wesentlich mitbedingt."

Ich habe mir erlaubt, diese Aussprüche, wie sie an verschiedenen Stellen
der Ausführung sich finden, zu einem Gesammtausspruche zusammenzuziehen;
aber vergebens habe ich dabei mich umgesehen nach einer näheren Darlegung
und Begründung einer so schwerwiegenden Charakteristik der vorliegenden
Frage. Worum handelte es sich denn in Wirklichkeit?

Die alten Provinzen des Staates besaßen zum Theil seit etwa 40 Jahren
mannigfache Anstalten sür provinzielle Zwecke: Landarmenhäuser, Corrections-
anstalten, Pflegeanstalten für verwahrloset? Kinder, Kranken-, Irren-, Taub¬
stummen-, Blindenanstalten; zum Theil auch provinzielle Fonds, daneben in
vielen Kreisen Kreisverpflichtungen und Gemeindeverpflichtungen für den
Wegebau. Die Mittel zur Errichtung und Unterhaltung dieser Einrichtungen
waren und werden noch heute zum weit überwiegenden Theile nur aus den
Mitteln der Provinzen und deren Unterabtheilungen bestritten; ihre Ver¬
waltung führt nicht der Staat, sondern die bezüglichen Vertretungen.

In der jetzigen Provinz Hannover verhielt es sich damit anders. Eine
Selbstverwaltung der bezeichneten Wohlthätigkeitsanstalten durch gewählte
Vertretungen bestand überhaupt nicht; dagegen wurden von den Ständen
die Mittel zu deren Unterhaltung durch den Staat im Staatshaushaltsetat
gewährt. Für den Wegebau bestand eine besondere Verwaltung und Be¬
steuerung durch die Amtswegeverbände unter Controle und wesentlicher Mit-


alten Leser der Grenzboten einige Bemerkungen dazu gestatten, wozu er
vielleicht vor andern Mitgliedern des Landtages sich aufgefordert sieht, einmal
weil er, wie dort beiläufig erwähnt wird, bei der Discussion sich lebhaft be¬
theiligte, und dann weil er theilweise der in Rede stehenden Provinz, ande¬
rerseits aber keiner der bestehenden Fractionen des Landtages angehört, also
ein mindestens durch vorgefaßte provinzielle oder Parteistandpunkte nicht be¬
fangenes Urtheil sich bewahrt zu haben glaubt. —

Ihr Korrespondent legt der vorliegenden Frage eine ganz außerordent¬
liche politische Tragweite bei. „Der Pr'ovinzialfonds ist (ihm) eine Frage,
welche wie keine andere ein Criterium für die Gesundheit der von den ver¬
schiedenen Parteien befolgten inneren Politik bot", „welche für die gesammte
Organisation der neuen Provinzen und des neuen Staates präjudicirlich ist";
„ohne ihre prinzipielle Entscheidung ist jeder Versuch zu einer heilsamen Re¬
organisation der Verwaltung in den neuen Provinzen vergeblich." —

Ja, noch mehr! — Es soll sich um die Frage handeln, „inwieweit
die Ordnungen des alten preußischen Staates für den neuen
deutschen Staat maßgebend sein" — „ob Deutschland in Preußen
aufgehen, oder Preußen mit Deutschland zu einem neuen Staatsorganismus
verbunden werden sollte." — ..Von ihrer glücklichen Lösung ist die Zukunft
der gesammten deutschen Frage wesentlich mitbedingt."

Ich habe mir erlaubt, diese Aussprüche, wie sie an verschiedenen Stellen
der Ausführung sich finden, zu einem Gesammtausspruche zusammenzuziehen;
aber vergebens habe ich dabei mich umgesehen nach einer näheren Darlegung
und Begründung einer so schwerwiegenden Charakteristik der vorliegenden
Frage. Worum handelte es sich denn in Wirklichkeit?

Die alten Provinzen des Staates besaßen zum Theil seit etwa 40 Jahren
mannigfache Anstalten sür provinzielle Zwecke: Landarmenhäuser, Corrections-
anstalten, Pflegeanstalten für verwahrloset? Kinder, Kranken-, Irren-, Taub¬
stummen-, Blindenanstalten; zum Theil auch provinzielle Fonds, daneben in
vielen Kreisen Kreisverpflichtungen und Gemeindeverpflichtungen für den
Wegebau. Die Mittel zur Errichtung und Unterhaltung dieser Einrichtungen
waren und werden noch heute zum weit überwiegenden Theile nur aus den
Mitteln der Provinzen und deren Unterabtheilungen bestritten; ihre Ver¬
waltung führt nicht der Staat, sondern die bezüglichen Vertretungen.

In der jetzigen Provinz Hannover verhielt es sich damit anders. Eine
Selbstverwaltung der bezeichneten Wohlthätigkeitsanstalten durch gewählte
Vertretungen bestand überhaupt nicht; dagegen wurden von den Ständen
die Mittel zu deren Unterhaltung durch den Staat im Staatshaushaltsetat
gewährt. Für den Wegebau bestand eine besondere Verwaltung und Be¬
steuerung durch die Amtswegeverbände unter Controle und wesentlicher Mit-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/512>, abgerufen am 01.07.2024.