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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Schäfte zu widmen, das Uebermaß der Cultur zu bekämpfen." -- In eine
solche Renitenz faßt, derselbe Mann seine Lebensaufgabe zusammen, dessen
politische Einsicht und Thatkraft, dessen staatsmännisches Talent wir bewun¬
dern! Er war ohne Verständniß für die Mächte, welche die Geister vorwärts
trieben, geschweige denn, daß er eine Verständigung mit ihnen unternahm.
Er und die Seinigen standen fremd und einzeln der allgemeinen Volkskraft
gegenüber; sie kämpften nur für sich, nicht für ein Allgemeines, für keine
sittliche Macht, und daher unterlagen sie.

Ohne je durch das Gefühl einer edlen Pflicht gestärkt und geläutert zu
sein, war Gentz durch das Leben gegangen. Niemals hatte er aus innerem
Drange für das Glück Anderer, für die allgemeine Wohlfahrt sein Selbst rück¬
sichtslos eingesetzt oder zu Dienst gegeben. Seine Ehe hatte er früh und
freventlich gebrochen. Nirgends bestand für ihn eine Offenbarung des Idealen,
an welcher er sich gemessen und begeistert hätte. Die Werke der Kunst machten
nur flachen Eindruck auf ihn. "Sogenannte Kunstschätze" waren ihm gleich-
giltig, Bauwerke wie die Dome von Köln und Mailand werden nur obenhin
in seinen Briefen erwähnt. Nur die Natur vermochte- seine Seele zu be¬
wältigen, aber, was für ihn charakteristisch ist, eine in ihren gewaltigsten und
erhabensten Formen. Eine anmuthige, freundliche Gegend war ihm wider¬
wärtig, die Umgegend von Johannisberg fand er eintönig und formlos, eine
einzige Stelle im Salzachthal sei ihm lieber als die ganze Natur des Rhein¬
gaus. Allerdings, die Alpenlandschaften hat er fast mit jedem Jahre wieder
in begeisterter und schöner Schilderung gepriesen. Er bedürfte aber eines
bewältigenden Eindrucks, einer überlegenen Größe, um in Thätigkeit oder .
Stimmung zu kommen. Es ist bekannt, welche Furcht ihm Gewitter ein¬
flößten. Er zählte ihre Schläge, verfolgte ihren Gang, berechnete ihren Aus¬
bruch, und ängstigte sich schon im Voraus bei den Anzeichen,, die er peinlich
beobachtete. Er wird dessen nicht müde und bedenkt sich nicht, in seinen
Briefen die umständlichsten Beschreibungen und die offenherzigste Beichte seiner
^ugst zu geben. -- Vor einer idealen Macht wenigstens liebte es Gentz, Ehr¬
furcht zu heucheln: vor der Religion. Man kann ihm keinen Borwurf daraus
wachen, daß er nicht kirchlich gläubig war: er hatte zu viel von philosophi¬
scher Aufklärung in jungen Jahren in sich aufgenommen, hatte zu früh in
der scharfen Zugluft des profanen Lebens gestanden, und sich viel zu leicht
diesem Treiben der Welt anbequemt, um einen confessionellen Standpunkt
M bewahren. Mit seinem Uebertritt in östreichische Dienste und mit der
Verfechtung metternichscher Staatskunst verflüchtigte sich aber selbst das, was
^ von ernster Erwägung religiöser Gedanken noch in sich trug, in auffallen¬
der Weise: denn in seiner Vergleichung der "sogenannten Reformation mit
der Büchse der Pandora, die den letzten Ruin über die zuvor hinlänglich


Grenzboten I. 1868. 58

Schäfte zu widmen, das Uebermaß der Cultur zu bekämpfen." — In eine
solche Renitenz faßt, derselbe Mann seine Lebensaufgabe zusammen, dessen
politische Einsicht und Thatkraft, dessen staatsmännisches Talent wir bewun¬
dern! Er war ohne Verständniß für die Mächte, welche die Geister vorwärts
trieben, geschweige denn, daß er eine Verständigung mit ihnen unternahm.
Er und die Seinigen standen fremd und einzeln der allgemeinen Volkskraft
gegenüber; sie kämpften nur für sich, nicht für ein Allgemeines, für keine
sittliche Macht, und daher unterlagen sie.

Ohne je durch das Gefühl einer edlen Pflicht gestärkt und geläutert zu
sein, war Gentz durch das Leben gegangen. Niemals hatte er aus innerem
Drange für das Glück Anderer, für die allgemeine Wohlfahrt sein Selbst rück¬
sichtslos eingesetzt oder zu Dienst gegeben. Seine Ehe hatte er früh und
freventlich gebrochen. Nirgends bestand für ihn eine Offenbarung des Idealen,
an welcher er sich gemessen und begeistert hätte. Die Werke der Kunst machten
nur flachen Eindruck auf ihn. „Sogenannte Kunstschätze" waren ihm gleich-
giltig, Bauwerke wie die Dome von Köln und Mailand werden nur obenhin
in seinen Briefen erwähnt. Nur die Natur vermochte- seine Seele zu be¬
wältigen, aber, was für ihn charakteristisch ist, eine in ihren gewaltigsten und
erhabensten Formen. Eine anmuthige, freundliche Gegend war ihm wider¬
wärtig, die Umgegend von Johannisberg fand er eintönig und formlos, eine
einzige Stelle im Salzachthal sei ihm lieber als die ganze Natur des Rhein¬
gaus. Allerdings, die Alpenlandschaften hat er fast mit jedem Jahre wieder
in begeisterter und schöner Schilderung gepriesen. Er bedürfte aber eines
bewältigenden Eindrucks, einer überlegenen Größe, um in Thätigkeit oder .
Stimmung zu kommen. Es ist bekannt, welche Furcht ihm Gewitter ein¬
flößten. Er zählte ihre Schläge, verfolgte ihren Gang, berechnete ihren Aus¬
bruch, und ängstigte sich schon im Voraus bei den Anzeichen,, die er peinlich
beobachtete. Er wird dessen nicht müde und bedenkt sich nicht, in seinen
Briefen die umständlichsten Beschreibungen und die offenherzigste Beichte seiner
^ugst zu geben. — Vor einer idealen Macht wenigstens liebte es Gentz, Ehr¬
furcht zu heucheln: vor der Religion. Man kann ihm keinen Borwurf daraus
wachen, daß er nicht kirchlich gläubig war: er hatte zu viel von philosophi¬
scher Aufklärung in jungen Jahren in sich aufgenommen, hatte zu früh in
der scharfen Zugluft des profanen Lebens gestanden, und sich viel zu leicht
diesem Treiben der Welt anbequemt, um einen confessionellen Standpunkt
M bewahren. Mit seinem Uebertritt in östreichische Dienste und mit der
Verfechtung metternichscher Staatskunst verflüchtigte sich aber selbst das, was
^ von ernster Erwägung religiöser Gedanken noch in sich trug, in auffallen¬
der Weise: denn in seiner Vergleichung der „sogenannten Reformation mit
der Büchse der Pandora, die den letzten Ruin über die zuvor hinlänglich


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[0467] Schäfte zu widmen, das Uebermaß der Cultur zu bekämpfen." — In eine solche Renitenz faßt, derselbe Mann seine Lebensaufgabe zusammen, dessen politische Einsicht und Thatkraft, dessen staatsmännisches Talent wir bewun¬ dern! Er war ohne Verständniß für die Mächte, welche die Geister vorwärts trieben, geschweige denn, daß er eine Verständigung mit ihnen unternahm. Er und die Seinigen standen fremd und einzeln der allgemeinen Volkskraft gegenüber; sie kämpften nur für sich, nicht für ein Allgemeines, für keine sittliche Macht, und daher unterlagen sie. Ohne je durch das Gefühl einer edlen Pflicht gestärkt und geläutert zu sein, war Gentz durch das Leben gegangen. Niemals hatte er aus innerem Drange für das Glück Anderer, für die allgemeine Wohlfahrt sein Selbst rück¬ sichtslos eingesetzt oder zu Dienst gegeben. Seine Ehe hatte er früh und freventlich gebrochen. Nirgends bestand für ihn eine Offenbarung des Idealen, an welcher er sich gemessen und begeistert hätte. Die Werke der Kunst machten nur flachen Eindruck auf ihn. „Sogenannte Kunstschätze" waren ihm gleich- giltig, Bauwerke wie die Dome von Köln und Mailand werden nur obenhin in seinen Briefen erwähnt. Nur die Natur vermochte- seine Seele zu be¬ wältigen, aber, was für ihn charakteristisch ist, eine in ihren gewaltigsten und erhabensten Formen. Eine anmuthige, freundliche Gegend war ihm wider¬ wärtig, die Umgegend von Johannisberg fand er eintönig und formlos, eine einzige Stelle im Salzachthal sei ihm lieber als die ganze Natur des Rhein¬ gaus. Allerdings, die Alpenlandschaften hat er fast mit jedem Jahre wieder in begeisterter und schöner Schilderung gepriesen. Er bedürfte aber eines bewältigenden Eindrucks, einer überlegenen Größe, um in Thätigkeit oder . Stimmung zu kommen. Es ist bekannt, welche Furcht ihm Gewitter ein¬ flößten. Er zählte ihre Schläge, verfolgte ihren Gang, berechnete ihren Aus¬ bruch, und ängstigte sich schon im Voraus bei den Anzeichen,, die er peinlich beobachtete. Er wird dessen nicht müde und bedenkt sich nicht, in seinen Briefen die umständlichsten Beschreibungen und die offenherzigste Beichte seiner ^ugst zu geben. — Vor einer idealen Macht wenigstens liebte es Gentz, Ehr¬ furcht zu heucheln: vor der Religion. Man kann ihm keinen Borwurf daraus wachen, daß er nicht kirchlich gläubig war: er hatte zu viel von philosophi¬ scher Aufklärung in jungen Jahren in sich aufgenommen, hatte zu früh in der scharfen Zugluft des profanen Lebens gestanden, und sich viel zu leicht diesem Treiben der Welt anbequemt, um einen confessionellen Standpunkt M bewahren. Mit seinem Uebertritt in östreichische Dienste und mit der Verfechtung metternichscher Staatskunst verflüchtigte sich aber selbst das, was ^ von ernster Erwägung religiöser Gedanken noch in sich trug, in auffallen¬ der Weise: denn in seiner Vergleichung der „sogenannten Reformation mit der Büchse der Pandora, die den letzten Ruin über die zuvor hinlänglich Grenzboten I. 1868. 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/467>, abgerufen am 22.07.2024.