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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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holden" und von "Bestialitäten" -- wie Gentz fast alles bezeichnet, was in
gröberem Ton und mit naturkräftiger, durch den Druck gesteigerter Gewalt
aus dem Volke gegen ihn andrängt, -- das behaglichste Dasein zu führen.
Gentz ist der vollkommene Typus dieser pflichtlosen, genußsüchtigen Gesell¬
schaft. Man mag nicht gegen die endlose Reihe üppiger Gelage eifern, deren
rühmende Schilderung fast jeder seiner Briefe enthält. Ebenso wären die
Huldigungen gegen schöne Frauen, und die unsaubern Liebschaften höchst
gleichgiltige Dinge, wenn sie nicht zum Preise für staatsmännische Arbeit
würden. In der That aber legte man dahinein den Werth des Lebens,
und nur, wenn und weil etwas diesem Zustande ruhigen eitlen Genusses
hindernd in den Weg trat, erweckte es zum Handeln. Eine große Zeit stei¬
gerte daher allerdings Gentz zu großartiger Wirksamkeit; er hat unter den
Ersten den Kampf gegen'Napoleons Tyrannei geführt. Daß ihn aber nur
enge selbstsüchtige Beweggründe leiteten, bewies später sein ebenso hartnäckiger
Kampf gegen alles, was die Ruhe des Metternichschen Systems stören wollte.
Diesem frivolen Ziele zugewandt, versinkt er mehr und mehr in Gleichgiltig-
keit, in Blasirtheit, in "öde Resignation". Es ist ein erschreckendes Ende, daß
derselbe Mann, der zuvor im Dienste der Reaction sich gerühmt hatte: "Der
wahre Grund meiner unerschütterlichen Ruhe ist der, daß noch nie eine so
gute, so reine, so fleckenlose Sache wie die unserige mit einer so durchaus
schlechten und schändlichen wie die unserer Gegner im Kampf war," am Schluß
seines Lebens bekannte: "Ich war mir stets bewußt, daß ungeachtet aller
Majestät und Stärke meiner Committenten und ungeachtet aller der einzelnen
Siege, die sie erfochten, der Zeitgeist zuletzt mächtiger bleiben würde, als
wir; daß die Presse, so sehr ich sie in ihren Ausschweifungen verachtete, ihr
furchtbares Uebergewicht über alle unsere Weisheit nicht verlieren würde, und
daß die Kunst der Diplomaten so wenig als die Gewalt dem Weltrade in
die Speichen zu fallen vermag." In einem ausführlichen Briefe, den er
unter dem Eindruck der Julirevolution an den Fürsten Wittgenstein schreibt
(Prokesch-Osten I. 108 ff.) erörtert er die Aussichten auf den Sieg und den
Bestand seines Systems: er sieht es, "nachdem wir durch 16 Jahre mühsam
und beharrlich daran gearbeitet haben, sogut als zerstört. Aus dem unver¬
meidlichen Schiffbruche alles Alten dasjenige zu retten, was uns am nächsten
liegt und was der Erhaltung am würdigsten ist, das allein muß und kann
unser eifriges Bestreben sein." Das "eine Mittel für diesen großen Rettungs"
Prozeß, den Kampf auf Leben und Tod", weist er zurück -- "das andere
liegt in dem wohl berechneten Temporisiren, welches den Stürmen der Zeit
nichts als Besonnenheit und Beharrlichkeit entgegen setzen soll." Er bekenne
sich als entschiedener Anhänger dieses Mittels. Schon 180S erklärte er sich
bestimmt, "sich ganz dem schweren, dem undankbaren, dem gefahrvollen Ge-


holden" und von „Bestialitäten" — wie Gentz fast alles bezeichnet, was in
gröberem Ton und mit naturkräftiger, durch den Druck gesteigerter Gewalt
aus dem Volke gegen ihn andrängt, — das behaglichste Dasein zu führen.
Gentz ist der vollkommene Typus dieser pflichtlosen, genußsüchtigen Gesell¬
schaft. Man mag nicht gegen die endlose Reihe üppiger Gelage eifern, deren
rühmende Schilderung fast jeder seiner Briefe enthält. Ebenso wären die
Huldigungen gegen schöne Frauen, und die unsaubern Liebschaften höchst
gleichgiltige Dinge, wenn sie nicht zum Preise für staatsmännische Arbeit
würden. In der That aber legte man dahinein den Werth des Lebens,
und nur, wenn und weil etwas diesem Zustande ruhigen eitlen Genusses
hindernd in den Weg trat, erweckte es zum Handeln. Eine große Zeit stei¬
gerte daher allerdings Gentz zu großartiger Wirksamkeit; er hat unter den
Ersten den Kampf gegen'Napoleons Tyrannei geführt. Daß ihn aber nur
enge selbstsüchtige Beweggründe leiteten, bewies später sein ebenso hartnäckiger
Kampf gegen alles, was die Ruhe des Metternichschen Systems stören wollte.
Diesem frivolen Ziele zugewandt, versinkt er mehr und mehr in Gleichgiltig-
keit, in Blasirtheit, in „öde Resignation". Es ist ein erschreckendes Ende, daß
derselbe Mann, der zuvor im Dienste der Reaction sich gerühmt hatte: „Der
wahre Grund meiner unerschütterlichen Ruhe ist der, daß noch nie eine so
gute, so reine, so fleckenlose Sache wie die unserige mit einer so durchaus
schlechten und schändlichen wie die unserer Gegner im Kampf war," am Schluß
seines Lebens bekannte: „Ich war mir stets bewußt, daß ungeachtet aller
Majestät und Stärke meiner Committenten und ungeachtet aller der einzelnen
Siege, die sie erfochten, der Zeitgeist zuletzt mächtiger bleiben würde, als
wir; daß die Presse, so sehr ich sie in ihren Ausschweifungen verachtete, ihr
furchtbares Uebergewicht über alle unsere Weisheit nicht verlieren würde, und
daß die Kunst der Diplomaten so wenig als die Gewalt dem Weltrade in
die Speichen zu fallen vermag." In einem ausführlichen Briefe, den er
unter dem Eindruck der Julirevolution an den Fürsten Wittgenstein schreibt
(Prokesch-Osten I. 108 ff.) erörtert er die Aussichten auf den Sieg und den
Bestand seines Systems: er sieht es, „nachdem wir durch 16 Jahre mühsam
und beharrlich daran gearbeitet haben, sogut als zerstört. Aus dem unver¬
meidlichen Schiffbruche alles Alten dasjenige zu retten, was uns am nächsten
liegt und was der Erhaltung am würdigsten ist, das allein muß und kann
unser eifriges Bestreben sein." Das „eine Mittel für diesen großen Rettungs«
Prozeß, den Kampf auf Leben und Tod", weist er zurück — „das andere
liegt in dem wohl berechneten Temporisiren, welches den Stürmen der Zeit
nichts als Besonnenheit und Beharrlichkeit entgegen setzen soll." Er bekenne
sich als entschiedener Anhänger dieses Mittels. Schon 180S erklärte er sich
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[0466] holden" und von „Bestialitäten" — wie Gentz fast alles bezeichnet, was in gröberem Ton und mit naturkräftiger, durch den Druck gesteigerter Gewalt aus dem Volke gegen ihn andrängt, — das behaglichste Dasein zu führen. Gentz ist der vollkommene Typus dieser pflichtlosen, genußsüchtigen Gesell¬ schaft. Man mag nicht gegen die endlose Reihe üppiger Gelage eifern, deren rühmende Schilderung fast jeder seiner Briefe enthält. Ebenso wären die Huldigungen gegen schöne Frauen, und die unsaubern Liebschaften höchst gleichgiltige Dinge, wenn sie nicht zum Preise für staatsmännische Arbeit würden. In der That aber legte man dahinein den Werth des Lebens, und nur, wenn und weil etwas diesem Zustande ruhigen eitlen Genusses hindernd in den Weg trat, erweckte es zum Handeln. Eine große Zeit stei¬ gerte daher allerdings Gentz zu großartiger Wirksamkeit; er hat unter den Ersten den Kampf gegen'Napoleons Tyrannei geführt. Daß ihn aber nur enge selbstsüchtige Beweggründe leiteten, bewies später sein ebenso hartnäckiger Kampf gegen alles, was die Ruhe des Metternichschen Systems stören wollte. Diesem frivolen Ziele zugewandt, versinkt er mehr und mehr in Gleichgiltig- keit, in Blasirtheit, in „öde Resignation". Es ist ein erschreckendes Ende, daß derselbe Mann, der zuvor im Dienste der Reaction sich gerühmt hatte: „Der wahre Grund meiner unerschütterlichen Ruhe ist der, daß noch nie eine so gute, so reine, so fleckenlose Sache wie die unserige mit einer so durchaus schlechten und schändlichen wie die unserer Gegner im Kampf war," am Schluß seines Lebens bekannte: „Ich war mir stets bewußt, daß ungeachtet aller Majestät und Stärke meiner Committenten und ungeachtet aller der einzelnen Siege, die sie erfochten, der Zeitgeist zuletzt mächtiger bleiben würde, als wir; daß die Presse, so sehr ich sie in ihren Ausschweifungen verachtete, ihr furchtbares Uebergewicht über alle unsere Weisheit nicht verlieren würde, und daß die Kunst der Diplomaten so wenig als die Gewalt dem Weltrade in die Speichen zu fallen vermag." In einem ausführlichen Briefe, den er unter dem Eindruck der Julirevolution an den Fürsten Wittgenstein schreibt (Prokesch-Osten I. 108 ff.) erörtert er die Aussichten auf den Sieg und den Bestand seines Systems: er sieht es, „nachdem wir durch 16 Jahre mühsam und beharrlich daran gearbeitet haben, sogut als zerstört. Aus dem unver¬ meidlichen Schiffbruche alles Alten dasjenige zu retten, was uns am nächsten liegt und was der Erhaltung am würdigsten ist, das allein muß und kann unser eifriges Bestreben sein." Das „eine Mittel für diesen großen Rettungs« Prozeß, den Kampf auf Leben und Tod", weist er zurück — „das andere liegt in dem wohl berechneten Temporisiren, welches den Stürmen der Zeit nichts als Besonnenheit und Beharrlichkeit entgegen setzen soll." Er bekenne sich als entschiedener Anhänger dieses Mittels. Schon 180S erklärte er sich bestimmt, „sich ganz dem schweren, dem undankbaren, dem gefahrvollen Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/466>, abgerufen am 22.07.2024.