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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Edler Schatten, du zürnst? ja, über den lieblosen Bruder,
Der mein modernd Gebein lässet in Frieden nicht ruhn.

Denn diese Lebensbeschreibung beweist in der That, daß Held und Biograph
geistverwandt sein sollten. Hier schiebt der Bruder seine flachen Ansichten
und dürftigen Motive dem großen Manne unter, daß dieser selbst, so geschil¬
dert und so vertheidigt, schwach erscheint. Aber dennoch sind wir Karl
Lessing Dank schuldig, denn nur ein Bruder konnte uns manche seiner Nach¬
richten überliefern.

Während wir demnach so zahlreiche und theilweise vortreffliche Bildnisse
besitzen, hat Herr Fr. Pecht in seiner " Lessing-Gallerie", welche Personen
aus Lessing's Dramen in idealen Gestalten darstellt, auch ein Jdealbildniß
Lessing's gegeben, welches halb Klopstock, halb Capitän Cook ähnlich sieht.

In unserer Zeit der Monumente hat die Sculptur mehrmals Gelegen¬
heit gefunden, sich an Lessings Bildnissen zu erproben. Gottfried Schadow
hat im Jahr 1824 für den Vorsaal des schönen von Schinkel erbauten Con¬
certsaales im Berliner Schauspielhause unter mehreren Büsten der größten
Dichter und Musiker auch eine von Lessing verfertigt, welche, meisterhaft und
geistvoll wie alle seine Arbeiten, doch vielleicht nicht individuell genug ist.
Eine Statuette von Schalter in München mag der Vollständigkeit wegen
erwähnt werden. Im Jahre 1863 ward in Lessing's Vaterstadt Camenz auf
dem Schulplatze eine von Kraner gearbeitete Colossalbüste aufgestellt. Die
von Rietschel in Dresden verfertigte Broncestatue in Braunschweig ist durch
die vielverbreiteten Abgüsse der kleinen, sorgfältig gearbeiteten Wiederholung
allgemein bekannt und beliebt geworden. Man will jedoch die etwas schlanke
Figur in ihrer stattlichen, ja vornehmen Haltung nicht völlig der Tradition
entsprechend finden, welche Lessing als einen nicht eben großen Mann von
breiter Brust und gedrungenem Bau, und seine Haltung immer freundlich,
frei, entgegenkommend schildert. Diesen Ueberlieferungen ist Rauch gefolgt,
welcher ihn auf dem Fußgestell des Denkmals Friedrichs des Großen sehr
lebendig und ansprechend dargestellt hat; er benutzte dazu das erste der drei
Oelgemälde, die Todtenmaske und die Büste danach. Rauch's Statue ist
nicht allein ähnlich, sie entspricht auch der Vorstellung, die man sich von
Lessings Wesen zu machen liebt.

Man hat es als unhistorisch getadelt, daß Lessing an dieser Stelle er-
scheint. Ein namhafter Tagesschriftsteller, der sich auch mit Lessing beschäf¬
tigt, hat in einem, wenn wir nicht irren, Friedrich der Große und Lessing
betitelten Journalaufsatze geäußert, der König hätte von dem bekannten
Streite Lessing's mit Voltaire über eine von Voltaire's Secretär Richier'an
Lessing geliehene Handschrift erfahren, er hätte daher eine üble Meinung von
Lessing behalten, deshalb habe er ihn später nicht anstellen, nichts von ihm


Edler Schatten, du zürnst? ja, über den lieblosen Bruder,
Der mein modernd Gebein lässet in Frieden nicht ruhn.

Denn diese Lebensbeschreibung beweist in der That, daß Held und Biograph
geistverwandt sein sollten. Hier schiebt der Bruder seine flachen Ansichten
und dürftigen Motive dem großen Manne unter, daß dieser selbst, so geschil¬
dert und so vertheidigt, schwach erscheint. Aber dennoch sind wir Karl
Lessing Dank schuldig, denn nur ein Bruder konnte uns manche seiner Nach¬
richten überliefern.

Während wir demnach so zahlreiche und theilweise vortreffliche Bildnisse
besitzen, hat Herr Fr. Pecht in seiner „ Lessing-Gallerie", welche Personen
aus Lessing's Dramen in idealen Gestalten darstellt, auch ein Jdealbildniß
Lessing's gegeben, welches halb Klopstock, halb Capitän Cook ähnlich sieht.

In unserer Zeit der Monumente hat die Sculptur mehrmals Gelegen¬
heit gefunden, sich an Lessings Bildnissen zu erproben. Gottfried Schadow
hat im Jahr 1824 für den Vorsaal des schönen von Schinkel erbauten Con¬
certsaales im Berliner Schauspielhause unter mehreren Büsten der größten
Dichter und Musiker auch eine von Lessing verfertigt, welche, meisterhaft und
geistvoll wie alle seine Arbeiten, doch vielleicht nicht individuell genug ist.
Eine Statuette von Schalter in München mag der Vollständigkeit wegen
erwähnt werden. Im Jahre 1863 ward in Lessing's Vaterstadt Camenz auf
dem Schulplatze eine von Kraner gearbeitete Colossalbüste aufgestellt. Die
von Rietschel in Dresden verfertigte Broncestatue in Braunschweig ist durch
die vielverbreiteten Abgüsse der kleinen, sorgfältig gearbeiteten Wiederholung
allgemein bekannt und beliebt geworden. Man will jedoch die etwas schlanke
Figur in ihrer stattlichen, ja vornehmen Haltung nicht völlig der Tradition
entsprechend finden, welche Lessing als einen nicht eben großen Mann von
breiter Brust und gedrungenem Bau, und seine Haltung immer freundlich,
frei, entgegenkommend schildert. Diesen Ueberlieferungen ist Rauch gefolgt,
welcher ihn auf dem Fußgestell des Denkmals Friedrichs des Großen sehr
lebendig und ansprechend dargestellt hat; er benutzte dazu das erste der drei
Oelgemälde, die Todtenmaske und die Büste danach. Rauch's Statue ist
nicht allein ähnlich, sie entspricht auch der Vorstellung, die man sich von
Lessings Wesen zu machen liebt.

Man hat es als unhistorisch getadelt, daß Lessing an dieser Stelle er-
scheint. Ein namhafter Tagesschriftsteller, der sich auch mit Lessing beschäf¬
tigt, hat in einem, wenn wir nicht irren, Friedrich der Große und Lessing
betitelten Journalaufsatze geäußert, der König hätte von dem bekannten
Streite Lessing's mit Voltaire über eine von Voltaire's Secretär Richier'an
Lessing geliehene Handschrift erfahren, er hätte daher eine üble Meinung von
Lessing behalten, deshalb habe er ihn später nicht anstellen, nichts von ihm


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[0458] Edler Schatten, du zürnst? ja, über den lieblosen Bruder, Der mein modernd Gebein lässet in Frieden nicht ruhn. Denn diese Lebensbeschreibung beweist in der That, daß Held und Biograph geistverwandt sein sollten. Hier schiebt der Bruder seine flachen Ansichten und dürftigen Motive dem großen Manne unter, daß dieser selbst, so geschil¬ dert und so vertheidigt, schwach erscheint. Aber dennoch sind wir Karl Lessing Dank schuldig, denn nur ein Bruder konnte uns manche seiner Nach¬ richten überliefern. Während wir demnach so zahlreiche und theilweise vortreffliche Bildnisse besitzen, hat Herr Fr. Pecht in seiner „ Lessing-Gallerie", welche Personen aus Lessing's Dramen in idealen Gestalten darstellt, auch ein Jdealbildniß Lessing's gegeben, welches halb Klopstock, halb Capitän Cook ähnlich sieht. In unserer Zeit der Monumente hat die Sculptur mehrmals Gelegen¬ heit gefunden, sich an Lessings Bildnissen zu erproben. Gottfried Schadow hat im Jahr 1824 für den Vorsaal des schönen von Schinkel erbauten Con¬ certsaales im Berliner Schauspielhause unter mehreren Büsten der größten Dichter und Musiker auch eine von Lessing verfertigt, welche, meisterhaft und geistvoll wie alle seine Arbeiten, doch vielleicht nicht individuell genug ist. Eine Statuette von Schalter in München mag der Vollständigkeit wegen erwähnt werden. Im Jahre 1863 ward in Lessing's Vaterstadt Camenz auf dem Schulplatze eine von Kraner gearbeitete Colossalbüste aufgestellt. Die von Rietschel in Dresden verfertigte Broncestatue in Braunschweig ist durch die vielverbreiteten Abgüsse der kleinen, sorgfältig gearbeiteten Wiederholung allgemein bekannt und beliebt geworden. Man will jedoch die etwas schlanke Figur in ihrer stattlichen, ja vornehmen Haltung nicht völlig der Tradition entsprechend finden, welche Lessing als einen nicht eben großen Mann von breiter Brust und gedrungenem Bau, und seine Haltung immer freundlich, frei, entgegenkommend schildert. Diesen Ueberlieferungen ist Rauch gefolgt, welcher ihn auf dem Fußgestell des Denkmals Friedrichs des Großen sehr lebendig und ansprechend dargestellt hat; er benutzte dazu das erste der drei Oelgemälde, die Todtenmaske und die Büste danach. Rauch's Statue ist nicht allein ähnlich, sie entspricht auch der Vorstellung, die man sich von Lessings Wesen zu machen liebt. Man hat es als unhistorisch getadelt, daß Lessing an dieser Stelle er- scheint. Ein namhafter Tagesschriftsteller, der sich auch mit Lessing beschäf¬ tigt, hat in einem, wenn wir nicht irren, Friedrich der Große und Lessing betitelten Journalaufsatze geäußert, der König hätte von dem bekannten Streite Lessing's mit Voltaire über eine von Voltaire's Secretär Richier'an Lessing geliehene Handschrift erfahren, er hätte daher eine üble Meinung von Lessing behalten, deshalb habe er ihn später nicht anstellen, nichts von ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/458>, abgerufen am 22.07.2024.