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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Mehrkosten in Ziffern ausrechneten, die, gelinde gesagt, keinen ausgebildeten
Sinn für Wahrheit verriethen. Ein Rechenexempel, das in einer Wahlver¬
sammlung von einem dem Herrn v. Varnbüler sehr nahestehenden Mann zum
besten gegeben wurde, und das notorische Unrichtigkeiten enthielt, machte, von
officiösen Flügeln getragen, die Runde durch alle Wochenblättchen des Reichs.
Ueber das maßvolle Wahlprogramm der deutschen Partei herrschte in den
höchsten Kreisen eine solche Erbitterung, daß man Unterzeichner desselben bis
vor den König citirte. Nicht blos die gefürchteten Führer der nationalen
Partei, die Römer und Hölder, wurden, wie billig, von der Regierung be¬
kämpft, sondern ganz ebenso die gemäßigtsten, zum Theil im öffentlichen Leben
noch unversuchten Männer, wenn sie nur auf der keineswegs exclusiver Liste
der deutschen Partei standen. Auch dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer,
Weber, glaubte die Regierung einen Gegenkandidaten entgegenstellen zu
müssen. Selbst den Director der hohenheimer Akademie, Werner, wußte man
zum Rücktritt zu bewegen, damit er einem intimen Freund der Minister Platz
mache. Als dann auch die Ultramontanen und die Volkspartei auf den
Kampfplatz traten, um die nationale Partei zu bekämpfen, erschienen sie auf
der ganzen Linie als die natürlichen Verbündeten der Regierung. Aus Vor¬
gängen in einzelnen Wahlbezirken mußte man schließen, daß förmliche Com-
promisse unter den Führern dieser Coalition abgeschlossen seien. Man stellte,
wie gerade die Aussichten in den Wahlkreisen waren, gegen die deutsche
Partei hier einen Demokraten, dort einen Ultramontanen, am dritten Ort
einen Minister auf. In Stuttgart rief die Regierungspartei ausdrücklich
unter ihre Fahne: "Alle, die mit dem Wahlvorschlag der deutschen Partei
nicht einverstanden sind." Damit war die Coalition mit allen antinationalen
Elementen ebenso offen eingestanden, wie die Unfähigkeit, das Programm
dieser Coalition positiv zu formuliren. Einen Augenblick schien allerdings
die Negierung über solche Bundesgenossenschaft doch etwas betreten. Wenig¬
stens suchte sie sich den Anschein zu geben, als sei ihre Stellung genau
zwischen der deutschen und der Volkspartei, und weise sie die Candidaten der
einen wie der andern zurück. Der Staatsanzeiger nahm sogar den Anlauf
zu einer kleinen Polemik gegen extreme Gegner Preußens, wie Moritz Mohl
und Prof. Schäffle. Allein der schüchterne Versuch ward nicht fortgesetzt.
Im Ganzen wurde dadurch nichts mehr geändert. Die Parteistellung blieb
dieselbe. Die deutsche Partei ist gegen einen übermächtigen dreifachen Gegner,
dem der Einfluß der Regierungsbeamten, die Disciplin der Ultramontanen
und die Rührigkeit der Demokratie zu Gebote steht, einzig auf sich selbst
angewiesen, auf die Macht ihrer Gründe, auf den Rest von nationaler Ge¬
si /. nnung, der auch im würtembergischen Volk noch nicht ertödtet ist.




Mehrkosten in Ziffern ausrechneten, die, gelinde gesagt, keinen ausgebildeten
Sinn für Wahrheit verriethen. Ein Rechenexempel, das in einer Wahlver¬
sammlung von einem dem Herrn v. Varnbüler sehr nahestehenden Mann zum
besten gegeben wurde, und das notorische Unrichtigkeiten enthielt, machte, von
officiösen Flügeln getragen, die Runde durch alle Wochenblättchen des Reichs.
Ueber das maßvolle Wahlprogramm der deutschen Partei herrschte in den
höchsten Kreisen eine solche Erbitterung, daß man Unterzeichner desselben bis
vor den König citirte. Nicht blos die gefürchteten Führer der nationalen
Partei, die Römer und Hölder, wurden, wie billig, von der Regierung be¬
kämpft, sondern ganz ebenso die gemäßigtsten, zum Theil im öffentlichen Leben
noch unversuchten Männer, wenn sie nur auf der keineswegs exclusiver Liste
der deutschen Partei standen. Auch dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer,
Weber, glaubte die Regierung einen Gegenkandidaten entgegenstellen zu
müssen. Selbst den Director der hohenheimer Akademie, Werner, wußte man
zum Rücktritt zu bewegen, damit er einem intimen Freund der Minister Platz
mache. Als dann auch die Ultramontanen und die Volkspartei auf den
Kampfplatz traten, um die nationale Partei zu bekämpfen, erschienen sie auf
der ganzen Linie als die natürlichen Verbündeten der Regierung. Aus Vor¬
gängen in einzelnen Wahlbezirken mußte man schließen, daß förmliche Com-
promisse unter den Führern dieser Coalition abgeschlossen seien. Man stellte,
wie gerade die Aussichten in den Wahlkreisen waren, gegen die deutsche
Partei hier einen Demokraten, dort einen Ultramontanen, am dritten Ort
einen Minister auf. In Stuttgart rief die Regierungspartei ausdrücklich
unter ihre Fahne: „Alle, die mit dem Wahlvorschlag der deutschen Partei
nicht einverstanden sind." Damit war die Coalition mit allen antinationalen
Elementen ebenso offen eingestanden, wie die Unfähigkeit, das Programm
dieser Coalition positiv zu formuliren. Einen Augenblick schien allerdings
die Negierung über solche Bundesgenossenschaft doch etwas betreten. Wenig¬
stens suchte sie sich den Anschein zu geben, als sei ihre Stellung genau
zwischen der deutschen und der Volkspartei, und weise sie die Candidaten der
einen wie der andern zurück. Der Staatsanzeiger nahm sogar den Anlauf
zu einer kleinen Polemik gegen extreme Gegner Preußens, wie Moritz Mohl
und Prof. Schäffle. Allein der schüchterne Versuch ward nicht fortgesetzt.
Im Ganzen wurde dadurch nichts mehr geändert. Die Parteistellung blieb
dieselbe. Die deutsche Partei ist gegen einen übermächtigen dreifachen Gegner,
dem der Einfluß der Regierungsbeamten, die Disciplin der Ultramontanen
und die Rührigkeit der Demokratie zu Gebote steht, einzig auf sich selbst
angewiesen, auf die Macht ihrer Gründe, auf den Rest von nationaler Ge¬
si /. nnung, der auch im würtembergischen Volk noch nicht ertödtet ist.




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[0443] Mehrkosten in Ziffern ausrechneten, die, gelinde gesagt, keinen ausgebildeten Sinn für Wahrheit verriethen. Ein Rechenexempel, das in einer Wahlver¬ sammlung von einem dem Herrn v. Varnbüler sehr nahestehenden Mann zum besten gegeben wurde, und das notorische Unrichtigkeiten enthielt, machte, von officiösen Flügeln getragen, die Runde durch alle Wochenblättchen des Reichs. Ueber das maßvolle Wahlprogramm der deutschen Partei herrschte in den höchsten Kreisen eine solche Erbitterung, daß man Unterzeichner desselben bis vor den König citirte. Nicht blos die gefürchteten Führer der nationalen Partei, die Römer und Hölder, wurden, wie billig, von der Regierung be¬ kämpft, sondern ganz ebenso die gemäßigtsten, zum Theil im öffentlichen Leben noch unversuchten Männer, wenn sie nur auf der keineswegs exclusiver Liste der deutschen Partei standen. Auch dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Weber, glaubte die Regierung einen Gegenkandidaten entgegenstellen zu müssen. Selbst den Director der hohenheimer Akademie, Werner, wußte man zum Rücktritt zu bewegen, damit er einem intimen Freund der Minister Platz mache. Als dann auch die Ultramontanen und die Volkspartei auf den Kampfplatz traten, um die nationale Partei zu bekämpfen, erschienen sie auf der ganzen Linie als die natürlichen Verbündeten der Regierung. Aus Vor¬ gängen in einzelnen Wahlbezirken mußte man schließen, daß förmliche Com- promisse unter den Führern dieser Coalition abgeschlossen seien. Man stellte, wie gerade die Aussichten in den Wahlkreisen waren, gegen die deutsche Partei hier einen Demokraten, dort einen Ultramontanen, am dritten Ort einen Minister auf. In Stuttgart rief die Regierungspartei ausdrücklich unter ihre Fahne: „Alle, die mit dem Wahlvorschlag der deutschen Partei nicht einverstanden sind." Damit war die Coalition mit allen antinationalen Elementen ebenso offen eingestanden, wie die Unfähigkeit, das Programm dieser Coalition positiv zu formuliren. Einen Augenblick schien allerdings die Negierung über solche Bundesgenossenschaft doch etwas betreten. Wenig¬ stens suchte sie sich den Anschein zu geben, als sei ihre Stellung genau zwischen der deutschen und der Volkspartei, und weise sie die Candidaten der einen wie der andern zurück. Der Staatsanzeiger nahm sogar den Anlauf zu einer kleinen Polemik gegen extreme Gegner Preußens, wie Moritz Mohl und Prof. Schäffle. Allein der schüchterne Versuch ward nicht fortgesetzt. Im Ganzen wurde dadurch nichts mehr geändert. Die Parteistellung blieb dieselbe. Die deutsche Partei ist gegen einen übermächtigen dreifachen Gegner, dem der Einfluß der Regierungsbeamten, die Disciplin der Ultramontanen und die Rührigkeit der Demokratie zu Gebote steht, einzig auf sich selbst angewiesen, auf die Macht ihrer Gründe, auf den Rest von nationaler Ge¬ si /. nnung, der auch im würtembergischen Volk noch nicht ertödtet ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/443>, abgerufen am 01.07.2024.