Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Seit dieser Zeit ist der Ausdruck "Wenzelskrone" erst recht beliebt ge¬
worden und auch über die Grenzen Oestreichs hinaus gedrungen. Wenige
sind aber über diesen Begriff vollkommen im klaren. Während die einen
hierunter blos das alterthümliche goldne Reischen verstehen, welches gegen¬
wärtig im prager Schlosse deponirt liegt, verstehen darunter die andern das
Symbol der staatsrechtlichen Individualität Böhmens.

Die böhmische Krone, welche sich jetzt in Prag befindet, rührt bekanntlich
nicht von dem alten Herzoge Böhmens, dem heiligen Wenzel her; man nennt
sie blos aus Pietät die Wenzelskrone. Sie wurde, nachdem im Jahre
1346 Klemens VI. die betreffende Bulle erlassen hatte, im Jahre 1347 an¬
gefertigt. Seitdem trugen alle Könige Böhmens diese Krone auf ihrem
Haupte, von Karl I. (IV.) angefangen bis Ferdinand I. (V.). Nur die beiden
Kaiser-Könige Namens Joseph verschmähten es. sie zu tragen. Bekanntlich
hat auch der jetzt regierende Kaiser von Oestreich versprochen, sich mit dieser
Krone feierlich krönen zu lassen.

Aber es handelt sich nicht um die Kroninstgnien selbst, sondern um
die Bedeutung derselben und um die Beziehung, welche sie zu den Bestre¬
bungen der nationalen Partei in Böhmen hat.

Nun muß vor allem dem Irrthum entgegengetreten werden, als ob die
Böhmen mit der Katastrophe am weißen Berge ihre politischen Rechte voll¬
ständig eingebüßt hätten. Ferdinand II. stilisirte in der Landesordnung vom
10. Mai 1627 den Krönungseid dahin, daß der Regent von Böhmen die
Privilegien der damaligen Volksrepräsentanz, der Stände, handhaben wolle.
In dieser "verneuerten Landesordnung" räumte er den Böhmen das Recht ein.
alle Steuern für und in Böhmen zu bewilligen, und im Falle des Ausster¬
bens der Dynastie eine Neuwahl vorzunehmen.

Ferdinand II. hat überdies mit der Confirmationsurkunde vom 29. Mai
1627 alle Privilegien mit Ausnahme zweier Rudolphinischer Majestate, welche
auf die Religionsübung Bezug nehmen, erneuert. Ebenso blieb die Integrität
der Länder der böhmischen Krone anerkannt, die Zusammengehörigkeit mit dem
incorporirten Mähren und Schlesien; Böhmen behielt auch seine eigene Hofkanzlei.

Die Privilegien Böhmens wurden in den Jahren 1640, 1708, 1720,
1742, 1791, 1806, 1829 und 1836 wiederholt erneuert, sodaß das böhmische
Staatsrecht continuirlich bis in die Gegenwart (1848) hineinreicht. Seit den
ältesten Zeiten wurden in Böhmen in den wichtigsten Landesangelegenheiten
(wie Gebietsabtretungen, neue Gesetze oder Steuern) die sog. gebotenen Land¬
tage lMxovöäiü Lnölvovö) einberufen, zu welchen auch die Abgeordneten aus
Mähren und Schlesien kamen (Generallandtage). Ferdinand II. hat zwar
diese Generallandtage abgeschafft, aber die Gesetzgebung und Verwaltung
blieb in Mähren und Schlesien dieselbe, wie in Böhmen.


Seit dieser Zeit ist der Ausdruck „Wenzelskrone" erst recht beliebt ge¬
worden und auch über die Grenzen Oestreichs hinaus gedrungen. Wenige
sind aber über diesen Begriff vollkommen im klaren. Während die einen
hierunter blos das alterthümliche goldne Reischen verstehen, welches gegen¬
wärtig im prager Schlosse deponirt liegt, verstehen darunter die andern das
Symbol der staatsrechtlichen Individualität Böhmens.

Die böhmische Krone, welche sich jetzt in Prag befindet, rührt bekanntlich
nicht von dem alten Herzoge Böhmens, dem heiligen Wenzel her; man nennt
sie blos aus Pietät die Wenzelskrone. Sie wurde, nachdem im Jahre
1346 Klemens VI. die betreffende Bulle erlassen hatte, im Jahre 1347 an¬
gefertigt. Seitdem trugen alle Könige Böhmens diese Krone auf ihrem
Haupte, von Karl I. (IV.) angefangen bis Ferdinand I. (V.). Nur die beiden
Kaiser-Könige Namens Joseph verschmähten es. sie zu tragen. Bekanntlich
hat auch der jetzt regierende Kaiser von Oestreich versprochen, sich mit dieser
Krone feierlich krönen zu lassen.

Aber es handelt sich nicht um die Kroninstgnien selbst, sondern um
die Bedeutung derselben und um die Beziehung, welche sie zu den Bestre¬
bungen der nationalen Partei in Böhmen hat.

Nun muß vor allem dem Irrthum entgegengetreten werden, als ob die
Böhmen mit der Katastrophe am weißen Berge ihre politischen Rechte voll¬
ständig eingebüßt hätten. Ferdinand II. stilisirte in der Landesordnung vom
10. Mai 1627 den Krönungseid dahin, daß der Regent von Böhmen die
Privilegien der damaligen Volksrepräsentanz, der Stände, handhaben wolle.
In dieser „verneuerten Landesordnung" räumte er den Böhmen das Recht ein.
alle Steuern für und in Böhmen zu bewilligen, und im Falle des Ausster¬
bens der Dynastie eine Neuwahl vorzunehmen.

Ferdinand II. hat überdies mit der Confirmationsurkunde vom 29. Mai
1627 alle Privilegien mit Ausnahme zweier Rudolphinischer Majestate, welche
auf die Religionsübung Bezug nehmen, erneuert. Ebenso blieb die Integrität
der Länder der böhmischen Krone anerkannt, die Zusammengehörigkeit mit dem
incorporirten Mähren und Schlesien; Böhmen behielt auch seine eigene Hofkanzlei.

Die Privilegien Böhmens wurden in den Jahren 1640, 1708, 1720,
1742, 1791, 1806, 1829 und 1836 wiederholt erneuert, sodaß das böhmische
Staatsrecht continuirlich bis in die Gegenwart (1848) hineinreicht. Seit den
ältesten Zeiten wurden in Böhmen in den wichtigsten Landesangelegenheiten
(wie Gebietsabtretungen, neue Gesetze oder Steuern) die sog. gebotenen Land¬
tage lMxovöäiü Lnölvovö) einberufen, zu welchen auch die Abgeordneten aus
Mähren und Schlesien kamen (Generallandtage). Ferdinand II. hat zwar
diese Generallandtage abgeschafft, aber die Gesetzgebung und Verwaltung
blieb in Mähren und Schlesien dieselbe, wie in Böhmen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0434" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117438"/>
          <p xml:id="ID_1411"> Seit dieser Zeit ist der Ausdruck &#x201E;Wenzelskrone" erst recht beliebt ge¬<lb/>
worden und auch über die Grenzen Oestreichs hinaus gedrungen. Wenige<lb/>
sind aber über diesen Begriff vollkommen im klaren. Während die einen<lb/>
hierunter blos das alterthümliche goldne Reischen verstehen, welches gegen¬<lb/>
wärtig im prager Schlosse deponirt liegt, verstehen darunter die andern das<lb/>
Symbol der staatsrechtlichen Individualität Böhmens.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1412"> Die böhmische Krone, welche sich jetzt in Prag befindet, rührt bekanntlich<lb/>
nicht von dem alten Herzoge Böhmens, dem heiligen Wenzel her; man nennt<lb/>
sie blos aus Pietät die Wenzelskrone. Sie wurde, nachdem im Jahre<lb/>
1346 Klemens VI. die betreffende Bulle erlassen hatte, im Jahre 1347 an¬<lb/>
gefertigt. Seitdem trugen alle Könige Böhmens diese Krone auf ihrem<lb/>
Haupte, von Karl I. (IV.) angefangen bis Ferdinand I. (V.). Nur die beiden<lb/>
Kaiser-Könige Namens Joseph verschmähten es. sie zu tragen. Bekanntlich<lb/>
hat auch der jetzt regierende Kaiser von Oestreich versprochen, sich mit dieser<lb/>
Krone feierlich krönen zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1413"> Aber es handelt sich nicht um die Kroninstgnien selbst, sondern um<lb/>
die Bedeutung derselben und um die Beziehung, welche sie zu den Bestre¬<lb/>
bungen der nationalen Partei in Böhmen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1414"> Nun muß vor allem dem Irrthum entgegengetreten werden, als ob die<lb/>
Böhmen mit der Katastrophe am weißen Berge ihre politischen Rechte voll¬<lb/>
ständig eingebüßt hätten. Ferdinand II. stilisirte in der Landesordnung vom<lb/>
10. Mai 1627 den Krönungseid dahin, daß der Regent von Böhmen die<lb/>
Privilegien der damaligen Volksrepräsentanz, der Stände, handhaben wolle.<lb/>
In dieser &#x201E;verneuerten Landesordnung" räumte er den Böhmen das Recht ein.<lb/>
alle Steuern für und in Böhmen zu bewilligen, und im Falle des Ausster¬<lb/>
bens der Dynastie eine Neuwahl vorzunehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1415"> Ferdinand II. hat überdies mit der Confirmationsurkunde vom 29. Mai<lb/>
1627 alle Privilegien mit Ausnahme zweier Rudolphinischer Majestate, welche<lb/>
auf die Religionsübung Bezug nehmen, erneuert. Ebenso blieb die Integrität<lb/>
der Länder der böhmischen Krone anerkannt, die Zusammengehörigkeit mit dem<lb/>
incorporirten Mähren und Schlesien; Böhmen behielt auch seine eigene Hofkanzlei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1416"> Die Privilegien Böhmens wurden in den Jahren 1640, 1708, 1720,<lb/>
1742, 1791, 1806, 1829 und 1836 wiederholt erneuert, sodaß das böhmische<lb/>
Staatsrecht continuirlich bis in die Gegenwart (1848) hineinreicht. Seit den<lb/>
ältesten Zeiten wurden in Böhmen in den wichtigsten Landesangelegenheiten<lb/>
(wie Gebietsabtretungen, neue Gesetze oder Steuern) die sog. gebotenen Land¬<lb/>
tage lMxovöäiü Lnölvovö) einberufen, zu welchen auch die Abgeordneten aus<lb/>
Mähren und Schlesien kamen (Generallandtage). Ferdinand II. hat zwar<lb/>
diese Generallandtage abgeschafft, aber die Gesetzgebung und Verwaltung<lb/>
blieb in Mähren und Schlesien dieselbe, wie in Böhmen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0434] Seit dieser Zeit ist der Ausdruck „Wenzelskrone" erst recht beliebt ge¬ worden und auch über die Grenzen Oestreichs hinaus gedrungen. Wenige sind aber über diesen Begriff vollkommen im klaren. Während die einen hierunter blos das alterthümliche goldne Reischen verstehen, welches gegen¬ wärtig im prager Schlosse deponirt liegt, verstehen darunter die andern das Symbol der staatsrechtlichen Individualität Böhmens. Die böhmische Krone, welche sich jetzt in Prag befindet, rührt bekanntlich nicht von dem alten Herzoge Böhmens, dem heiligen Wenzel her; man nennt sie blos aus Pietät die Wenzelskrone. Sie wurde, nachdem im Jahre 1346 Klemens VI. die betreffende Bulle erlassen hatte, im Jahre 1347 an¬ gefertigt. Seitdem trugen alle Könige Böhmens diese Krone auf ihrem Haupte, von Karl I. (IV.) angefangen bis Ferdinand I. (V.). Nur die beiden Kaiser-Könige Namens Joseph verschmähten es. sie zu tragen. Bekanntlich hat auch der jetzt regierende Kaiser von Oestreich versprochen, sich mit dieser Krone feierlich krönen zu lassen. Aber es handelt sich nicht um die Kroninstgnien selbst, sondern um die Bedeutung derselben und um die Beziehung, welche sie zu den Bestre¬ bungen der nationalen Partei in Böhmen hat. Nun muß vor allem dem Irrthum entgegengetreten werden, als ob die Böhmen mit der Katastrophe am weißen Berge ihre politischen Rechte voll¬ ständig eingebüßt hätten. Ferdinand II. stilisirte in der Landesordnung vom 10. Mai 1627 den Krönungseid dahin, daß der Regent von Böhmen die Privilegien der damaligen Volksrepräsentanz, der Stände, handhaben wolle. In dieser „verneuerten Landesordnung" räumte er den Böhmen das Recht ein. alle Steuern für und in Böhmen zu bewilligen, und im Falle des Ausster¬ bens der Dynastie eine Neuwahl vorzunehmen. Ferdinand II. hat überdies mit der Confirmationsurkunde vom 29. Mai 1627 alle Privilegien mit Ausnahme zweier Rudolphinischer Majestate, welche auf die Religionsübung Bezug nehmen, erneuert. Ebenso blieb die Integrität der Länder der böhmischen Krone anerkannt, die Zusammengehörigkeit mit dem incorporirten Mähren und Schlesien; Böhmen behielt auch seine eigene Hofkanzlei. Die Privilegien Böhmens wurden in den Jahren 1640, 1708, 1720, 1742, 1791, 1806, 1829 und 1836 wiederholt erneuert, sodaß das böhmische Staatsrecht continuirlich bis in die Gegenwart (1848) hineinreicht. Seit den ältesten Zeiten wurden in Böhmen in den wichtigsten Landesangelegenheiten (wie Gebietsabtretungen, neue Gesetze oder Steuern) die sog. gebotenen Land¬ tage lMxovöäiü Lnölvovö) einberufen, zu welchen auch die Abgeordneten aus Mähren und Schlesien kamen (Generallandtage). Ferdinand II. hat zwar diese Generallandtage abgeschafft, aber die Gesetzgebung und Verwaltung blieb in Mähren und Schlesien dieselbe, wie in Böhmen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/434
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/434>, abgerufen am 26.06.2024.