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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Formen gründlich verstehn, erwerben eine Geläufigkeit im künstlerischen Aus¬
druck derselben, steigern und regen ihre Erfindungskraft bis zu selbstthätigem
Schaffen an. Prof. Lob des Classe repräsentirt einen etwas höheren Grad
der architektonischen und ornamentalen Formenlehre und zieht die farbige Aus'
führung mit in den Kreis der Darstellungsmittel hinein. -- In zwei großen,
unmittelbar zusammenhängenden, gut erleuchteten Sälen findet ferner der Unter-
richt im freien Handzeichnen thierischer und menschlicher Gestalt und im Model¬
liren nach diesen und besonders nach Ornamenten statt. Für die Ertheilung
des Handzeichens konnte das Museum sicher keine geeignetere künstlerische Lehr¬
kraft gewinnen, als sie in A. Wiszniewski gesunden hat, einem unsrer durch-
bildetsten, sichersten und tüchtigsten Zeichner von der gründlichsten Natur¬
kenntniß und Freiheit von jeder Spur des akademischen traditionellen Zopfs
in seinem eignen Schaffen wie in seiner Lehrmethode. Die Schüler zeichnen
nach dem Runden; nicht der abstracte "feine" Contour, sondern eine plastische
Körperlichkeit der Form ist es, was er sie vor allem anzustreben leitet.
Große an die Tafel gezeichnete Ansichten des Knochenbaues und der Musku¬
latur müssen dabei das Verständniß der Gestalt und aller ihrer Einzelformen
herbeiführen und mehren helfen. Ebenso tüchtig ist der Unterricht des Bild¬
hauers Göritz, eines besonders im Ornament vielbewährten jüngern Meisters,
im Modelliren. Es ist ein frischer, kräftiger Zug, der Gegensatz alles Schlen¬
drians in diesen Lehrern und ihrem Unterricht, der sich den Schülern mit¬
theilt und sich an ihren Leistungen aufs wohlthuendste ausprägt. -- Unter
der Leitung des bekannten Baumeisters Kölscher ist sodann eine, jetzt noch
spärlich benutzte "Compositionsclasse" eingerichtet, in welcher die praktische
Ausführung der für den Bau- und Wohnungsschmuck, wie für die verschie¬
denen, dessen benöthigten Gewerbe dienenden Modelle zur Uebung der Be¬
treffenden gelehrt und auf Bestellung übernommen werden soll. Ein großes
Atelier für Stubenmaler unter Leitung des Herrn Schneider, während der
Wintermonate zu allen Tagesstunden geöffnet, bietet den Arbeitern auch
dieses Kunstgewerbes ihre künstlerische Weiterbildung und übernimmt eben¬
falls einschlägige Aufträge zur Ausführung. Eine Zeichenelasse für Damen,
zu deren Uebernahme Ludwig Burger bereits gewonnen sein soll, wird vor¬
aussichtlich noch im kommenden April eröffnet werden.

Die Vorträge haben bereits sämmtlich begonnen. , Es sind verschiedene
Curse von Vorlesungen über gewisse Gebiete der Technologie, der praktischen
und Kunstwissenschaften in einem umfangreichen Hörsaal mit guter Akustik
und ziemlich zweckmäßigem Arrangement der Plätze gehalten. Auch Damen
haben Zutritt. Es mag hier schwer sein, das richtige Verhältniß zwischen
dem Unterhaltenden, Dilettantischen und dem wirklich Fordernden, positives
Wissen Gebenden und Mehrenden zu finden. Das Publikum und die durch-


Formen gründlich verstehn, erwerben eine Geläufigkeit im künstlerischen Aus¬
druck derselben, steigern und regen ihre Erfindungskraft bis zu selbstthätigem
Schaffen an. Prof. Lob des Classe repräsentirt einen etwas höheren Grad
der architektonischen und ornamentalen Formenlehre und zieht die farbige Aus'
führung mit in den Kreis der Darstellungsmittel hinein. — In zwei großen,
unmittelbar zusammenhängenden, gut erleuchteten Sälen findet ferner der Unter-
richt im freien Handzeichnen thierischer und menschlicher Gestalt und im Model¬
liren nach diesen und besonders nach Ornamenten statt. Für die Ertheilung
des Handzeichens konnte das Museum sicher keine geeignetere künstlerische Lehr¬
kraft gewinnen, als sie in A. Wiszniewski gesunden hat, einem unsrer durch-
bildetsten, sichersten und tüchtigsten Zeichner von der gründlichsten Natur¬
kenntniß und Freiheit von jeder Spur des akademischen traditionellen Zopfs
in seinem eignen Schaffen wie in seiner Lehrmethode. Die Schüler zeichnen
nach dem Runden; nicht der abstracte „feine" Contour, sondern eine plastische
Körperlichkeit der Form ist es, was er sie vor allem anzustreben leitet.
Große an die Tafel gezeichnete Ansichten des Knochenbaues und der Musku¬
latur müssen dabei das Verständniß der Gestalt und aller ihrer Einzelformen
herbeiführen und mehren helfen. Ebenso tüchtig ist der Unterricht des Bild¬
hauers Göritz, eines besonders im Ornament vielbewährten jüngern Meisters,
im Modelliren. Es ist ein frischer, kräftiger Zug, der Gegensatz alles Schlen¬
drians in diesen Lehrern und ihrem Unterricht, der sich den Schülern mit¬
theilt und sich an ihren Leistungen aufs wohlthuendste ausprägt. — Unter
der Leitung des bekannten Baumeisters Kölscher ist sodann eine, jetzt noch
spärlich benutzte „Compositionsclasse" eingerichtet, in welcher die praktische
Ausführung der für den Bau- und Wohnungsschmuck, wie für die verschie¬
denen, dessen benöthigten Gewerbe dienenden Modelle zur Uebung der Be¬
treffenden gelehrt und auf Bestellung übernommen werden soll. Ein großes
Atelier für Stubenmaler unter Leitung des Herrn Schneider, während der
Wintermonate zu allen Tagesstunden geöffnet, bietet den Arbeitern auch
dieses Kunstgewerbes ihre künstlerische Weiterbildung und übernimmt eben¬
falls einschlägige Aufträge zur Ausführung. Eine Zeichenelasse für Damen,
zu deren Uebernahme Ludwig Burger bereits gewonnen sein soll, wird vor¬
aussichtlich noch im kommenden April eröffnet werden.

Die Vorträge haben bereits sämmtlich begonnen. , Es sind verschiedene
Curse von Vorlesungen über gewisse Gebiete der Technologie, der praktischen
und Kunstwissenschaften in einem umfangreichen Hörsaal mit guter Akustik
und ziemlich zweckmäßigem Arrangement der Plätze gehalten. Auch Damen
haben Zutritt. Es mag hier schwer sein, das richtige Verhältniß zwischen
dem Unterhaltenden, Dilettantischen und dem wirklich Fordernden, positives
Wissen Gebenden und Mehrenden zu finden. Das Publikum und die durch-


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[0432] Formen gründlich verstehn, erwerben eine Geläufigkeit im künstlerischen Aus¬ druck derselben, steigern und regen ihre Erfindungskraft bis zu selbstthätigem Schaffen an. Prof. Lob des Classe repräsentirt einen etwas höheren Grad der architektonischen und ornamentalen Formenlehre und zieht die farbige Aus' führung mit in den Kreis der Darstellungsmittel hinein. — In zwei großen, unmittelbar zusammenhängenden, gut erleuchteten Sälen findet ferner der Unter- richt im freien Handzeichnen thierischer und menschlicher Gestalt und im Model¬ liren nach diesen und besonders nach Ornamenten statt. Für die Ertheilung des Handzeichens konnte das Museum sicher keine geeignetere künstlerische Lehr¬ kraft gewinnen, als sie in A. Wiszniewski gesunden hat, einem unsrer durch- bildetsten, sichersten und tüchtigsten Zeichner von der gründlichsten Natur¬ kenntniß und Freiheit von jeder Spur des akademischen traditionellen Zopfs in seinem eignen Schaffen wie in seiner Lehrmethode. Die Schüler zeichnen nach dem Runden; nicht der abstracte „feine" Contour, sondern eine plastische Körperlichkeit der Form ist es, was er sie vor allem anzustreben leitet. Große an die Tafel gezeichnete Ansichten des Knochenbaues und der Musku¬ latur müssen dabei das Verständniß der Gestalt und aller ihrer Einzelformen herbeiführen und mehren helfen. Ebenso tüchtig ist der Unterricht des Bild¬ hauers Göritz, eines besonders im Ornament vielbewährten jüngern Meisters, im Modelliren. Es ist ein frischer, kräftiger Zug, der Gegensatz alles Schlen¬ drians in diesen Lehrern und ihrem Unterricht, der sich den Schülern mit¬ theilt und sich an ihren Leistungen aufs wohlthuendste ausprägt. — Unter der Leitung des bekannten Baumeisters Kölscher ist sodann eine, jetzt noch spärlich benutzte „Compositionsclasse" eingerichtet, in welcher die praktische Ausführung der für den Bau- und Wohnungsschmuck, wie für die verschie¬ denen, dessen benöthigten Gewerbe dienenden Modelle zur Uebung der Be¬ treffenden gelehrt und auf Bestellung übernommen werden soll. Ein großes Atelier für Stubenmaler unter Leitung des Herrn Schneider, während der Wintermonate zu allen Tagesstunden geöffnet, bietet den Arbeitern auch dieses Kunstgewerbes ihre künstlerische Weiterbildung und übernimmt eben¬ falls einschlägige Aufträge zur Ausführung. Eine Zeichenelasse für Damen, zu deren Uebernahme Ludwig Burger bereits gewonnen sein soll, wird vor¬ aussichtlich noch im kommenden April eröffnet werden. Die Vorträge haben bereits sämmtlich begonnen. , Es sind verschiedene Curse von Vorlesungen über gewisse Gebiete der Technologie, der praktischen und Kunstwissenschaften in einem umfangreichen Hörsaal mit guter Akustik und ziemlich zweckmäßigem Arrangement der Plätze gehalten. Auch Damen haben Zutritt. Es mag hier schwer sein, das richtige Verhältniß zwischen dem Unterhaltenden, Dilettantischen und dem wirklich Fordernden, positives Wissen Gebenden und Mehrenden zu finden. Das Publikum und die durch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/432>, abgerufen am 01.07.2024.