Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Vom Bergbau, der Schlesien. Westphalen, Rheinland reich machen
hilft, ist bei uns überhaupt kaum die Rede. Wir haben nur ein einziges
Naturproduct, das dessen würdig wäre: den Bernstein, und dieser ist
Regal. Bis vor wenigen Jahren war das Regal an Einzelne verpachtet
und brachte diesen Vortheil, den Bewohnern des Seestrandes durch die aus¬
geübte scharfe Controlle nur Belästigung. Gegenwärtig ist die Bernstein¬
gewinnung gegen eine mäßige Pacht an die Grundeigenthümer längs der
Küste ausgethan und zwei unternehmende Memler Kaufleute betreiben, natür¬
lich ebenfalls gegen eine Abgabe, eine ergiebige Baggerung auf Bernstein
im kurischen Haff. Die Benutzung desselben ist also im Zunehmen. Indessen
ist die wissenschaftliche Erforschung der bernsteinführenden Schichten und die
Anregung zu ihrer regelrechten bergmännischen Ausbeutung doch erst in aller-
jüngster Zeit von einer Privatgesellschaft, der physikalisch-ökonomischen zu
Königsberg, ausgegangen. Die Bergämter hatten mit wichtigeren und näher
liegenden Dingen in andern Provinzen so viel zu thun, daß auch in dieser
Beziehung Preußen zu kurz kam.

Man sollte nun wenigstens glauben, der Staat würde der schwer durch
die politischen Ereignisse geschädigten und verarmten, von der Natur wenig
begünstigten Provinz eine Entschädigung dadurch gewährt haben, daß er
durch Kunststraßen und Canäle den inneren Verkehr und durch frühzeitige
Anlage einer Eisenbahn die Verbindung mit dem Westen erleichterte. Sehen
wir zu, was davon geschehen ist!

Während in den meisten Gegenden unserer Provinz des tief aufweichen¬
den Lehmbodens wegen alljährlich mehrere Monate lang die Wege kaum
passirbar sind, hatten wir bis 1830 noch keine einzige Chaussee. Doch nein,
ich will"nichts verschweigen! In den zwanziger Jahren kam der Feldmar¬
schall Fürst Wrede als bairischer außerordentlicher Gesandter von Petersburg
zurück und wurde kaum eine halbe Meile vor dem Thore Königsbergs mit
seiner Karosse dermaßen um und in den tiefsten Schmutz geworfen, daß er
sich in keineswegs courfähigem Zustande befand. In seinem gerechten Zorn
ging er direct aufs Schloß zum Oberpräsidenten v. Schön und stellte diesen
mit soldatischer Derbheit über den Zustand der Landstraße zu Rede. Darauf
wurde wirklich eine Chaussee gebaut -- eine halbe Meile lang, bis über das
Loch hinaus, in welchem der Feldmarschall gelegen hatte! Erst in den drei¬
ßiger Jahren führte die Nothwendigkeit einer sichern und regelmäßigen Ver¬
bindung zwischen Berlin und Petersburg zum Bau der Staatschaussee bis
an die russische Grenze bei Tauroggen. Sie blieb wieder Jahre lang die
einzige; sehr allmählich kamen ein paar, die Provinz in querer Richtung
durchschneidende Kunststraßen hinzu. In den vierziger Jahren endlich hatte
sich.so viel Capital in der Provinz angesammelt, daß die Kreise anfangen


Vom Bergbau, der Schlesien. Westphalen, Rheinland reich machen
hilft, ist bei uns überhaupt kaum die Rede. Wir haben nur ein einziges
Naturproduct, das dessen würdig wäre: den Bernstein, und dieser ist
Regal. Bis vor wenigen Jahren war das Regal an Einzelne verpachtet
und brachte diesen Vortheil, den Bewohnern des Seestrandes durch die aus¬
geübte scharfe Controlle nur Belästigung. Gegenwärtig ist die Bernstein¬
gewinnung gegen eine mäßige Pacht an die Grundeigenthümer längs der
Küste ausgethan und zwei unternehmende Memler Kaufleute betreiben, natür¬
lich ebenfalls gegen eine Abgabe, eine ergiebige Baggerung auf Bernstein
im kurischen Haff. Die Benutzung desselben ist also im Zunehmen. Indessen
ist die wissenschaftliche Erforschung der bernsteinführenden Schichten und die
Anregung zu ihrer regelrechten bergmännischen Ausbeutung doch erst in aller-
jüngster Zeit von einer Privatgesellschaft, der physikalisch-ökonomischen zu
Königsberg, ausgegangen. Die Bergämter hatten mit wichtigeren und näher
liegenden Dingen in andern Provinzen so viel zu thun, daß auch in dieser
Beziehung Preußen zu kurz kam.

Man sollte nun wenigstens glauben, der Staat würde der schwer durch
die politischen Ereignisse geschädigten und verarmten, von der Natur wenig
begünstigten Provinz eine Entschädigung dadurch gewährt haben, daß er
durch Kunststraßen und Canäle den inneren Verkehr und durch frühzeitige
Anlage einer Eisenbahn die Verbindung mit dem Westen erleichterte. Sehen
wir zu, was davon geschehen ist!

Während in den meisten Gegenden unserer Provinz des tief aufweichen¬
den Lehmbodens wegen alljährlich mehrere Monate lang die Wege kaum
passirbar sind, hatten wir bis 1830 noch keine einzige Chaussee. Doch nein,
ich will«nichts verschweigen! In den zwanziger Jahren kam der Feldmar¬
schall Fürst Wrede als bairischer außerordentlicher Gesandter von Petersburg
zurück und wurde kaum eine halbe Meile vor dem Thore Königsbergs mit
seiner Karosse dermaßen um und in den tiefsten Schmutz geworfen, daß er
sich in keineswegs courfähigem Zustande befand. In seinem gerechten Zorn
ging er direct aufs Schloß zum Oberpräsidenten v. Schön und stellte diesen
mit soldatischer Derbheit über den Zustand der Landstraße zu Rede. Darauf
wurde wirklich eine Chaussee gebaut — eine halbe Meile lang, bis über das
Loch hinaus, in welchem der Feldmarschall gelegen hatte! Erst in den drei¬
ßiger Jahren führte die Nothwendigkeit einer sichern und regelmäßigen Ver¬
bindung zwischen Berlin und Petersburg zum Bau der Staatschaussee bis
an die russische Grenze bei Tauroggen. Sie blieb wieder Jahre lang die
einzige; sehr allmählich kamen ein paar, die Provinz in querer Richtung
durchschneidende Kunststraßen hinzu. In den vierziger Jahren endlich hatte
sich.so viel Capital in der Provinz angesammelt, daß die Kreise anfangen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117418"/>
          <p xml:id="ID_1349"> Vom Bergbau, der Schlesien. Westphalen, Rheinland reich machen<lb/>
hilft, ist bei uns überhaupt kaum die Rede. Wir haben nur ein einziges<lb/>
Naturproduct, das dessen würdig wäre: den Bernstein, und dieser ist<lb/>
Regal. Bis vor wenigen Jahren war das Regal an Einzelne verpachtet<lb/>
und brachte diesen Vortheil, den Bewohnern des Seestrandes durch die aus¬<lb/>
geübte scharfe Controlle nur Belästigung. Gegenwärtig ist die Bernstein¬<lb/>
gewinnung gegen eine mäßige Pacht an die Grundeigenthümer längs der<lb/>
Küste ausgethan und zwei unternehmende Memler Kaufleute betreiben, natür¬<lb/>
lich ebenfalls gegen eine Abgabe, eine ergiebige Baggerung auf Bernstein<lb/>
im kurischen Haff. Die Benutzung desselben ist also im Zunehmen. Indessen<lb/>
ist die wissenschaftliche Erforschung der bernsteinführenden Schichten und die<lb/>
Anregung zu ihrer regelrechten bergmännischen Ausbeutung doch erst in aller-<lb/>
jüngster Zeit von einer Privatgesellschaft, der physikalisch-ökonomischen zu<lb/>
Königsberg, ausgegangen. Die Bergämter hatten mit wichtigeren und näher<lb/>
liegenden Dingen in andern Provinzen so viel zu thun, daß auch in dieser<lb/>
Beziehung Preußen zu kurz kam.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1350"> Man sollte nun wenigstens glauben, der Staat würde der schwer durch<lb/>
die politischen Ereignisse geschädigten und verarmten, von der Natur wenig<lb/>
begünstigten Provinz eine Entschädigung dadurch gewährt haben, daß er<lb/>
durch Kunststraßen und Canäle den inneren Verkehr und durch frühzeitige<lb/>
Anlage einer Eisenbahn die Verbindung mit dem Westen erleichterte. Sehen<lb/>
wir zu, was davon geschehen ist!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1351" next="#ID_1352"> Während in den meisten Gegenden unserer Provinz des tief aufweichen¬<lb/>
den Lehmbodens wegen alljährlich mehrere Monate lang die Wege kaum<lb/>
passirbar sind, hatten wir bis 1830 noch keine einzige Chaussee. Doch nein,<lb/>
ich will«nichts verschweigen! In den zwanziger Jahren kam der Feldmar¬<lb/>
schall Fürst Wrede als bairischer außerordentlicher Gesandter von Petersburg<lb/>
zurück und wurde kaum eine halbe Meile vor dem Thore Königsbergs mit<lb/>
seiner Karosse dermaßen um und in den tiefsten Schmutz geworfen, daß er<lb/>
sich in keineswegs courfähigem Zustande befand. In seinem gerechten Zorn<lb/>
ging er direct aufs Schloß zum Oberpräsidenten v. Schön und stellte diesen<lb/>
mit soldatischer Derbheit über den Zustand der Landstraße zu Rede. Darauf<lb/>
wurde wirklich eine Chaussee gebaut &#x2014; eine halbe Meile lang, bis über das<lb/>
Loch hinaus, in welchem der Feldmarschall gelegen hatte! Erst in den drei¬<lb/>
ßiger Jahren führte die Nothwendigkeit einer sichern und regelmäßigen Ver¬<lb/>
bindung zwischen Berlin und Petersburg zum Bau der Staatschaussee bis<lb/>
an die russische Grenze bei Tauroggen. Sie blieb wieder Jahre lang die<lb/>
einzige; sehr allmählich kamen ein paar, die Provinz in querer Richtung<lb/>
durchschneidende Kunststraßen hinzu. In den vierziger Jahren endlich hatte<lb/>
sich.so viel Capital in der Provinz angesammelt, daß die Kreise anfangen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0414] Vom Bergbau, der Schlesien. Westphalen, Rheinland reich machen hilft, ist bei uns überhaupt kaum die Rede. Wir haben nur ein einziges Naturproduct, das dessen würdig wäre: den Bernstein, und dieser ist Regal. Bis vor wenigen Jahren war das Regal an Einzelne verpachtet und brachte diesen Vortheil, den Bewohnern des Seestrandes durch die aus¬ geübte scharfe Controlle nur Belästigung. Gegenwärtig ist die Bernstein¬ gewinnung gegen eine mäßige Pacht an die Grundeigenthümer längs der Küste ausgethan und zwei unternehmende Memler Kaufleute betreiben, natür¬ lich ebenfalls gegen eine Abgabe, eine ergiebige Baggerung auf Bernstein im kurischen Haff. Die Benutzung desselben ist also im Zunehmen. Indessen ist die wissenschaftliche Erforschung der bernsteinführenden Schichten und die Anregung zu ihrer regelrechten bergmännischen Ausbeutung doch erst in aller- jüngster Zeit von einer Privatgesellschaft, der physikalisch-ökonomischen zu Königsberg, ausgegangen. Die Bergämter hatten mit wichtigeren und näher liegenden Dingen in andern Provinzen so viel zu thun, daß auch in dieser Beziehung Preußen zu kurz kam. Man sollte nun wenigstens glauben, der Staat würde der schwer durch die politischen Ereignisse geschädigten und verarmten, von der Natur wenig begünstigten Provinz eine Entschädigung dadurch gewährt haben, daß er durch Kunststraßen und Canäle den inneren Verkehr und durch frühzeitige Anlage einer Eisenbahn die Verbindung mit dem Westen erleichterte. Sehen wir zu, was davon geschehen ist! Während in den meisten Gegenden unserer Provinz des tief aufweichen¬ den Lehmbodens wegen alljährlich mehrere Monate lang die Wege kaum passirbar sind, hatten wir bis 1830 noch keine einzige Chaussee. Doch nein, ich will«nichts verschweigen! In den zwanziger Jahren kam der Feldmar¬ schall Fürst Wrede als bairischer außerordentlicher Gesandter von Petersburg zurück und wurde kaum eine halbe Meile vor dem Thore Königsbergs mit seiner Karosse dermaßen um und in den tiefsten Schmutz geworfen, daß er sich in keineswegs courfähigem Zustande befand. In seinem gerechten Zorn ging er direct aufs Schloß zum Oberpräsidenten v. Schön und stellte diesen mit soldatischer Derbheit über den Zustand der Landstraße zu Rede. Darauf wurde wirklich eine Chaussee gebaut — eine halbe Meile lang, bis über das Loch hinaus, in welchem der Feldmarschall gelegen hatte! Erst in den drei¬ ßiger Jahren führte die Nothwendigkeit einer sichern und regelmäßigen Ver¬ bindung zwischen Berlin und Petersburg zum Bau der Staatschaussee bis an die russische Grenze bei Tauroggen. Sie blieb wieder Jahre lang die einzige; sehr allmählich kamen ein paar, die Provinz in querer Richtung durchschneidende Kunststraßen hinzu. In den vierziger Jahren endlich hatte sich.so viel Capital in der Provinz angesammelt, daß die Kreise anfangen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/414
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/414>, abgerufen am 02.10.2024.