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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Was unser Handel sein könnte, davon haben uns die Jahre des Krim-
kriegs von neuem eine Vorstellung gegeben. Leider war diese Blüthezeit von
zu kurzer Dauer, um den Wohlstand unserer Handelsplätze nachhaltig zu heben.

Aber es wäre ungerecht, das Darniederliegen unsers Handels einzig und
allein auf das Verhalten Rußlands zu schieben; die Handelspolitik des Zoll'
Vereins trägt auch einen Theil der Schuld. Wir sind gewiß die Letzten, die
die große nationale Bedeutung des Zollvereins verkennen. Aber gesagt muß
es werden, daß in materieller Hinficht unsere Provinz demselben keine Vor¬
theile dankt, sondern Opfer gebracht hat. Von dem erweiterten Absatzgebiete
konnte sie ihrer Lage und Entfernung wegen und bei der mangelhaften Com-
munication mit dem westlichen Deutschland keinen Nutzen ziehen. Dagegen
leidet sie bis auf den heutigen Tag.unter den hohen Eisenzöllen, welche der
Eisen- und Kohlenindustrie Westphalens und Rheinlands zu Statten kommen.
Wir sind darauf angewiesen, das Eisen, dessen wir zum Schiffbau, zur
Fabrikation landwirtschaftlicher Maschinen und andern Zwecken bedürfen,
mittelst des wohlfeilen Seetransports aus Schweden und England zu be-
ziehen. Die Vertheuerung des ausländischen Eisens durch den Zoll kann
man mindestens auf 20 Sgr. für den Centner veranschlagen. Der durch¬
schnittliche Bedarf an Eisen wird im preußischen Staate auf 58 Pfund pro
Kopf und Jahr angenommen. Rechnen wir auf Ost- und Westpreußen V, Ctr..
so gibt dies bei 3 Mill. Einwohnereine Million Thlr., die die Provinz
jährlich an die Eisen- und Kohlendistricte des Zollvereins zahlt!

Fabriken können überhaupt schwer gedeihen, wo Capitalsarmuth,
dünne Bevölkerung und unsicherer Absatz zusammentreffen. Nichtsdestoweniger
hatten wir in der Provinz sieben bedeutende Zuckerraffinerieen, welche die
Provinz und, wenn auch nur durch Schmuggel, einen Theil Polens ver¬
sorgten. Allein in Königsberg gaben drei derselben 400 Arbeiterfamilien aus¬
kömmliches Brod, vielen Gewerbtreibenden erwünschten Nebenverdienst und
60--70 Schiffe mit Rohzucker, fast ebensoviele mit Steinkohlen liefen alljähr¬
lich ein, um sie mit Material zu versorgen. Diese Fabriken arbeiteten
natürlich mit westindischen Rohrzucker; denn die Runkelrübe gedeiht bei
unserem Klima nicht mehr. Da kam die schutzzöllnerische Handelspolitik des
Zollvereins. Um die Rübenzuckerindustrie in Sachsen, Anhalt u. s. w. zu
begünstigen, wurden die Zölle auf ausländischen Rohzucker erhöht und damit
unseren Fabriken die Concurrenz unmöglich gemacht; sie sind zu Grunde ge¬
gangen.

Erwägt man außerdem, daß wenigstens der frühere Zollvereinstarif fast
von allen Transitgütern Durchgangs- und von den wichtigsten russischen Pro-
ducten Eingangszölle erhob, so wird man zugeben müssen, daß die Provinz
Preußen sich das Stiefkind des Zollvereins nennen darf.


Was unser Handel sein könnte, davon haben uns die Jahre des Krim-
kriegs von neuem eine Vorstellung gegeben. Leider war diese Blüthezeit von
zu kurzer Dauer, um den Wohlstand unserer Handelsplätze nachhaltig zu heben.

Aber es wäre ungerecht, das Darniederliegen unsers Handels einzig und
allein auf das Verhalten Rußlands zu schieben; die Handelspolitik des Zoll'
Vereins trägt auch einen Theil der Schuld. Wir sind gewiß die Letzten, die
die große nationale Bedeutung des Zollvereins verkennen. Aber gesagt muß
es werden, daß in materieller Hinficht unsere Provinz demselben keine Vor¬
theile dankt, sondern Opfer gebracht hat. Von dem erweiterten Absatzgebiete
konnte sie ihrer Lage und Entfernung wegen und bei der mangelhaften Com-
munication mit dem westlichen Deutschland keinen Nutzen ziehen. Dagegen
leidet sie bis auf den heutigen Tag.unter den hohen Eisenzöllen, welche der
Eisen- und Kohlenindustrie Westphalens und Rheinlands zu Statten kommen.
Wir sind darauf angewiesen, das Eisen, dessen wir zum Schiffbau, zur
Fabrikation landwirtschaftlicher Maschinen und andern Zwecken bedürfen,
mittelst des wohlfeilen Seetransports aus Schweden und England zu be-
ziehen. Die Vertheuerung des ausländischen Eisens durch den Zoll kann
man mindestens auf 20 Sgr. für den Centner veranschlagen. Der durch¬
schnittliche Bedarf an Eisen wird im preußischen Staate auf 58 Pfund pro
Kopf und Jahr angenommen. Rechnen wir auf Ost- und Westpreußen V, Ctr..
so gibt dies bei 3 Mill. Einwohnereine Million Thlr., die die Provinz
jährlich an die Eisen- und Kohlendistricte des Zollvereins zahlt!

Fabriken können überhaupt schwer gedeihen, wo Capitalsarmuth,
dünne Bevölkerung und unsicherer Absatz zusammentreffen. Nichtsdestoweniger
hatten wir in der Provinz sieben bedeutende Zuckerraffinerieen, welche die
Provinz und, wenn auch nur durch Schmuggel, einen Theil Polens ver¬
sorgten. Allein in Königsberg gaben drei derselben 400 Arbeiterfamilien aus¬
kömmliches Brod, vielen Gewerbtreibenden erwünschten Nebenverdienst und
60—70 Schiffe mit Rohzucker, fast ebensoviele mit Steinkohlen liefen alljähr¬
lich ein, um sie mit Material zu versorgen. Diese Fabriken arbeiteten
natürlich mit westindischen Rohrzucker; denn die Runkelrübe gedeiht bei
unserem Klima nicht mehr. Da kam die schutzzöllnerische Handelspolitik des
Zollvereins. Um die Rübenzuckerindustrie in Sachsen, Anhalt u. s. w. zu
begünstigen, wurden die Zölle auf ausländischen Rohzucker erhöht und damit
unseren Fabriken die Concurrenz unmöglich gemacht; sie sind zu Grunde ge¬
gangen.

Erwägt man außerdem, daß wenigstens der frühere Zollvereinstarif fast
von allen Transitgütern Durchgangs- und von den wichtigsten russischen Pro-
ducten Eingangszölle erhob, so wird man zugeben müssen, daß die Provinz
Preußen sich das Stiefkind des Zollvereins nennen darf.


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[0413] Was unser Handel sein könnte, davon haben uns die Jahre des Krim- kriegs von neuem eine Vorstellung gegeben. Leider war diese Blüthezeit von zu kurzer Dauer, um den Wohlstand unserer Handelsplätze nachhaltig zu heben. Aber es wäre ungerecht, das Darniederliegen unsers Handels einzig und allein auf das Verhalten Rußlands zu schieben; die Handelspolitik des Zoll' Vereins trägt auch einen Theil der Schuld. Wir sind gewiß die Letzten, die die große nationale Bedeutung des Zollvereins verkennen. Aber gesagt muß es werden, daß in materieller Hinficht unsere Provinz demselben keine Vor¬ theile dankt, sondern Opfer gebracht hat. Von dem erweiterten Absatzgebiete konnte sie ihrer Lage und Entfernung wegen und bei der mangelhaften Com- munication mit dem westlichen Deutschland keinen Nutzen ziehen. Dagegen leidet sie bis auf den heutigen Tag.unter den hohen Eisenzöllen, welche der Eisen- und Kohlenindustrie Westphalens und Rheinlands zu Statten kommen. Wir sind darauf angewiesen, das Eisen, dessen wir zum Schiffbau, zur Fabrikation landwirtschaftlicher Maschinen und andern Zwecken bedürfen, mittelst des wohlfeilen Seetransports aus Schweden und England zu be- ziehen. Die Vertheuerung des ausländischen Eisens durch den Zoll kann man mindestens auf 20 Sgr. für den Centner veranschlagen. Der durch¬ schnittliche Bedarf an Eisen wird im preußischen Staate auf 58 Pfund pro Kopf und Jahr angenommen. Rechnen wir auf Ost- und Westpreußen V, Ctr.. so gibt dies bei 3 Mill. Einwohnereine Million Thlr., die die Provinz jährlich an die Eisen- und Kohlendistricte des Zollvereins zahlt! Fabriken können überhaupt schwer gedeihen, wo Capitalsarmuth, dünne Bevölkerung und unsicherer Absatz zusammentreffen. Nichtsdestoweniger hatten wir in der Provinz sieben bedeutende Zuckerraffinerieen, welche die Provinz und, wenn auch nur durch Schmuggel, einen Theil Polens ver¬ sorgten. Allein in Königsberg gaben drei derselben 400 Arbeiterfamilien aus¬ kömmliches Brod, vielen Gewerbtreibenden erwünschten Nebenverdienst und 60—70 Schiffe mit Rohzucker, fast ebensoviele mit Steinkohlen liefen alljähr¬ lich ein, um sie mit Material zu versorgen. Diese Fabriken arbeiteten natürlich mit westindischen Rohrzucker; denn die Runkelrübe gedeiht bei unserem Klima nicht mehr. Da kam die schutzzöllnerische Handelspolitik des Zollvereins. Um die Rübenzuckerindustrie in Sachsen, Anhalt u. s. w. zu begünstigen, wurden die Zölle auf ausländischen Rohzucker erhöht und damit unseren Fabriken die Concurrenz unmöglich gemacht; sie sind zu Grunde ge¬ gangen. Erwägt man außerdem, daß wenigstens der frühere Zollvereinstarif fast von allen Transitgütern Durchgangs- und von den wichtigsten russischen Pro- ducten Eingangszölle erhob, so wird man zugeben müssen, daß die Provinz Preußen sich das Stiefkind des Zollvereins nennen darf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/413>, abgerufen am 24.08.2024.