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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Letzteren seinen Verlauf, und am 18. und 19. Februar fand vor dem Schwur¬
gerichtshofe zu Dublin die Schlußverhandlung statt. Obschon, wie die eng¬
lischen Blätter mit Stolz erwähnen, ein politischer Preßprozeß in England
seit Menschengedenken, in Irland seit 20 Jahren nicht vorgekommen war,
war doch die Theilnahme des Publikums äußerst gering, und Beamte und
Polizeimannschaften bildeten den größten Theil der Zuhörerschaft. Der General-
Staatsanwalt begründete in längerem Vortrage die Anklage. Wir erfahren
von ihm, daß das Fenierthum zwei Ursachen hat, einmal den Zufluß ver¬
zweifelter Schaaren amerikanischer Emissäre, welche durch die Beendigung des
Bürgerkrieges ihre Beschäftigung verloren haben, dann die Einwirkung einer
"pestilentialischen" Presse auf ein unwissendes, reizbares, aber hochherziges
(Mnerous) Volk. Wie der Trompeter der Aesopischen Fabel, der zwar nicht
gekämpft, aber zum Kampfe geblasen hat, so sei auch die Presse, die zum Auf¬
ruhr anreizt, strafbarer, als diejenigen waren, welche die Waffen gegen die
Königin ergriffen haben.

Wir übergehen die einzelnen Artikel, welche den Gegenstand der Anklage
bilden, und allerdings großentheils "im klarsten Englisch" wie Daily Tele¬
graph sagte, zum bewaffneten Aufstande auffordern, und erwähnen nur bei¬
spielsweise noch den auch vor der Queens Beiles zur Sprache gekommenen
"Brief von Colonel Kelly". Kelly erklärt darin, er habe eine englische re¬
publikanische Brüderschaft gegründet, deren Hauptquartiere innerhalb zweier
Meilen von Buckingham-Palast seien; er droht mit Repressalien, wenn Allen,
Larkin und O'Brien nicht als Kriegsgefangene behandelt würden, bespricht
die Möglichkeit, dem englischen Handel zu schaden, und schließt mit der
Phrase: der Hölle, der britischen Regierung und allen seinen andern Feinden
zum Trotz, ist Kelly noch ein freier Mann.

Der Staatsanwalt hält sich für verpflichtet, zu Gunsten des Angeklagten
anzuführen, daß derselbe im Jrishman auch den bekannten Hirtenbrief des
Cardinal Cullen mitgetheilt hat, welcher das Fenierthum verdammt.

Der Vertheidiger führt u. a. an, es sei eigentlich gut für die Regierung,
wenn alles, was das Fenierthum betreffe, in der Zeitung des Angeklagten
veröffentlicht werde, denn Oeffentlichkeit sei die Seele der Wahrheit und Ge¬
rechtigkeit, Geheimniß die Seele des Fenierthums. Der Attorney General
^ der, wenn er selbst in Staatsprozessen die Anklage vertritt, das letzte
Wort hat -- replicirt, und der Vorsitzende hält seinen Schlußvortrag, in
Welchem er die Rechte der Presse erörtert. Sie darf die Ansichten, die Schrif¬
ten, die Thaten der Staatsmänner, die Parlamentsverhandlungen, die Wahr¬
sprüche der Geschworenen beurtheilen und tadeln, sie darf jede Beschwerde
des Volks aufdecken und Mittel zur Abhilfe angeben -- aber sie muß die
Regierungsform achten, unter der sie so ausgedehnte Vorrechte genießt, darf


Letzteren seinen Verlauf, und am 18. und 19. Februar fand vor dem Schwur¬
gerichtshofe zu Dublin die Schlußverhandlung statt. Obschon, wie die eng¬
lischen Blätter mit Stolz erwähnen, ein politischer Preßprozeß in England
seit Menschengedenken, in Irland seit 20 Jahren nicht vorgekommen war,
war doch die Theilnahme des Publikums äußerst gering, und Beamte und
Polizeimannschaften bildeten den größten Theil der Zuhörerschaft. Der General-
Staatsanwalt begründete in längerem Vortrage die Anklage. Wir erfahren
von ihm, daß das Fenierthum zwei Ursachen hat, einmal den Zufluß ver¬
zweifelter Schaaren amerikanischer Emissäre, welche durch die Beendigung des
Bürgerkrieges ihre Beschäftigung verloren haben, dann die Einwirkung einer
„pestilentialischen" Presse auf ein unwissendes, reizbares, aber hochherziges
(Mnerous) Volk. Wie der Trompeter der Aesopischen Fabel, der zwar nicht
gekämpft, aber zum Kampfe geblasen hat, so sei auch die Presse, die zum Auf¬
ruhr anreizt, strafbarer, als diejenigen waren, welche die Waffen gegen die
Königin ergriffen haben.

Wir übergehen die einzelnen Artikel, welche den Gegenstand der Anklage
bilden, und allerdings großentheils „im klarsten Englisch" wie Daily Tele¬
graph sagte, zum bewaffneten Aufstande auffordern, und erwähnen nur bei¬
spielsweise noch den auch vor der Queens Beiles zur Sprache gekommenen
„Brief von Colonel Kelly". Kelly erklärt darin, er habe eine englische re¬
publikanische Brüderschaft gegründet, deren Hauptquartiere innerhalb zweier
Meilen von Buckingham-Palast seien; er droht mit Repressalien, wenn Allen,
Larkin und O'Brien nicht als Kriegsgefangene behandelt würden, bespricht
die Möglichkeit, dem englischen Handel zu schaden, und schließt mit der
Phrase: der Hölle, der britischen Regierung und allen seinen andern Feinden
zum Trotz, ist Kelly noch ein freier Mann.

Der Staatsanwalt hält sich für verpflichtet, zu Gunsten des Angeklagten
anzuführen, daß derselbe im Jrishman auch den bekannten Hirtenbrief des
Cardinal Cullen mitgetheilt hat, welcher das Fenierthum verdammt.

Der Vertheidiger führt u. a. an, es sei eigentlich gut für die Regierung,
wenn alles, was das Fenierthum betreffe, in der Zeitung des Angeklagten
veröffentlicht werde, denn Oeffentlichkeit sei die Seele der Wahrheit und Ge¬
rechtigkeit, Geheimniß die Seele des Fenierthums. Der Attorney General
^ der, wenn er selbst in Staatsprozessen die Anklage vertritt, das letzte
Wort hat — replicirt, und der Vorsitzende hält seinen Schlußvortrag, in
Welchem er die Rechte der Presse erörtert. Sie darf die Ansichten, die Schrif¬
ten, die Thaten der Staatsmänner, die Parlamentsverhandlungen, die Wahr¬
sprüche der Geschworenen beurtheilen und tadeln, sie darf jede Beschwerde
des Volks aufdecken und Mittel zur Abhilfe angeben — aber sie muß die
Regierungsform achten, unter der sie so ausgedehnte Vorrechte genießt, darf


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[0397] Letzteren seinen Verlauf, und am 18. und 19. Februar fand vor dem Schwur¬ gerichtshofe zu Dublin die Schlußverhandlung statt. Obschon, wie die eng¬ lischen Blätter mit Stolz erwähnen, ein politischer Preßprozeß in England seit Menschengedenken, in Irland seit 20 Jahren nicht vorgekommen war, war doch die Theilnahme des Publikums äußerst gering, und Beamte und Polizeimannschaften bildeten den größten Theil der Zuhörerschaft. Der General- Staatsanwalt begründete in längerem Vortrage die Anklage. Wir erfahren von ihm, daß das Fenierthum zwei Ursachen hat, einmal den Zufluß ver¬ zweifelter Schaaren amerikanischer Emissäre, welche durch die Beendigung des Bürgerkrieges ihre Beschäftigung verloren haben, dann die Einwirkung einer „pestilentialischen" Presse auf ein unwissendes, reizbares, aber hochherziges (Mnerous) Volk. Wie der Trompeter der Aesopischen Fabel, der zwar nicht gekämpft, aber zum Kampfe geblasen hat, so sei auch die Presse, die zum Auf¬ ruhr anreizt, strafbarer, als diejenigen waren, welche die Waffen gegen die Königin ergriffen haben. Wir übergehen die einzelnen Artikel, welche den Gegenstand der Anklage bilden, und allerdings großentheils „im klarsten Englisch" wie Daily Tele¬ graph sagte, zum bewaffneten Aufstande auffordern, und erwähnen nur bei¬ spielsweise noch den auch vor der Queens Beiles zur Sprache gekommenen „Brief von Colonel Kelly". Kelly erklärt darin, er habe eine englische re¬ publikanische Brüderschaft gegründet, deren Hauptquartiere innerhalb zweier Meilen von Buckingham-Palast seien; er droht mit Repressalien, wenn Allen, Larkin und O'Brien nicht als Kriegsgefangene behandelt würden, bespricht die Möglichkeit, dem englischen Handel zu schaden, und schließt mit der Phrase: der Hölle, der britischen Regierung und allen seinen andern Feinden zum Trotz, ist Kelly noch ein freier Mann. Der Staatsanwalt hält sich für verpflichtet, zu Gunsten des Angeklagten anzuführen, daß derselbe im Jrishman auch den bekannten Hirtenbrief des Cardinal Cullen mitgetheilt hat, welcher das Fenierthum verdammt. Der Vertheidiger führt u. a. an, es sei eigentlich gut für die Regierung, wenn alles, was das Fenierthum betreffe, in der Zeitung des Angeklagten veröffentlicht werde, denn Oeffentlichkeit sei die Seele der Wahrheit und Ge¬ rechtigkeit, Geheimniß die Seele des Fenierthums. Der Attorney General ^ der, wenn er selbst in Staatsprozessen die Anklage vertritt, das letzte Wort hat — replicirt, und der Vorsitzende hält seinen Schlußvortrag, in Welchem er die Rechte der Presse erörtert. Sie darf die Ansichten, die Schrif¬ ten, die Thaten der Staatsmänner, die Parlamentsverhandlungen, die Wahr¬ sprüche der Geschworenen beurtheilen und tadeln, sie darf jede Beschwerde des Volks aufdecken und Mittel zur Abhilfe angeben — aber sie muß die Regierungsform achten, unter der sie so ausgedehnte Vorrechte genießt, darf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/397>, abgerufen am 01.07.2024.