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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Karl Mathy.

Viele Deutsche wissen, daß der Verstorbene ein ungewöhnlich kluger und
kräftiger Mann war, auch daß in seinem Wesen eine Gewalt und furchtlose
Entschlossenheit lag, welche bei großen Entscheidungen die Bewunderung der
Freunde, den Zorn der besiegten Gegner aufregte. Aber nur. wer ihm per¬
sönlich nahe getreten, weiß, wie anspruchslos und bescheiden sein Gemüth war,
wie geneigt zu liebevoller Würdigung andersgeformter Menschennatur, und
wie schön sich neben der Energie und unermüdlichen Thatkraft seine be¬
hagliche Laune und die Fähigkeit heiteren Lebensgenusses ausnahmen. Sein
Wirken wurde stets durch große Ideen gerichtet und meinte bei der genauesten
Sorge um Einzelnes das Ganze und Höchste; aber überall, wohin er durch
sein wechselvolles Schicksal geführt wurde, hat er einen großen Kreis warmer
Freunde um sich geschlossen.

Ungewöhnlich reich an Ereignissen, an Wechsel des Ortes und der Thä-
tigkeit ist sein Leben, und schon die Größe und Mannigfaltigkeit der Interessen,
welche er umfaßte, würden eine ausgeführte Lebensbeschreibung lohnend
machen. Aber sein Leben hat für unsere Nation noch eine besondere Bedeu¬
tung. Von dem Jahre 1830 bis zur Gegenwart hat er als Journalist,
Volkslehrer, Abgeordneter, Leiter großer Geschäfte und als Staatsmann seine
Kraft für Andere gerade immer in den Thätigkeiten verwerthet, welche nach
dem Zuge der Zeit obenan standen und wesentlich waren für die größten
Fortschritte unserer Nation; bei jeder von diesen verschiedenen Aufgaben war
er voller und ganzer Mann, und bei jeder, auch der größten, hat er einen
Ueberschuß von Kraft bewährt, welcher das Vertrauen gab, daß er zu noch
Höherem befähigt sei.-

So stellt sein Leben in einer Reihe von Bildern dar. wie an einem em
Zelnen Mann der große Bildungsprozeß der letzten vierzig Jahre sich vollzog,
von dem ersten unsicheren Ringen nach deutscher Einheit bis in die Jahre
ihrer politischen Realisirung. Sehr gering ist die Zahl derer, welchen ver¬
gönnt war. diese aufreibenden Kämpfe im steten Einvernehmen mit den besten
Zeitforderungen durchzukämpfen; unter Allen, welche von 1830 bis zur Gegen-
wart in großen Verhältnissen gedauert haben, ist keiner, der so hingebend, so
kriegerisch und in so exponirter Stellung alle Conflicte durchgekämpft und zu


Grenzboten I. 1868,
Karl Mathy.

Viele Deutsche wissen, daß der Verstorbene ein ungewöhnlich kluger und
kräftiger Mann war, auch daß in seinem Wesen eine Gewalt und furchtlose
Entschlossenheit lag, welche bei großen Entscheidungen die Bewunderung der
Freunde, den Zorn der besiegten Gegner aufregte. Aber nur. wer ihm per¬
sönlich nahe getreten, weiß, wie anspruchslos und bescheiden sein Gemüth war,
wie geneigt zu liebevoller Würdigung andersgeformter Menschennatur, und
wie schön sich neben der Energie und unermüdlichen Thatkraft seine be¬
hagliche Laune und die Fähigkeit heiteren Lebensgenusses ausnahmen. Sein
Wirken wurde stets durch große Ideen gerichtet und meinte bei der genauesten
Sorge um Einzelnes das Ganze und Höchste; aber überall, wohin er durch
sein wechselvolles Schicksal geführt wurde, hat er einen großen Kreis warmer
Freunde um sich geschlossen.

Ungewöhnlich reich an Ereignissen, an Wechsel des Ortes und der Thä-
tigkeit ist sein Leben, und schon die Größe und Mannigfaltigkeit der Interessen,
welche er umfaßte, würden eine ausgeführte Lebensbeschreibung lohnend
machen. Aber sein Leben hat für unsere Nation noch eine besondere Bedeu¬
tung. Von dem Jahre 1830 bis zur Gegenwart hat er als Journalist,
Volkslehrer, Abgeordneter, Leiter großer Geschäfte und als Staatsmann seine
Kraft für Andere gerade immer in den Thätigkeiten verwerthet, welche nach
dem Zuge der Zeit obenan standen und wesentlich waren für die größten
Fortschritte unserer Nation; bei jeder von diesen verschiedenen Aufgaben war
er voller und ganzer Mann, und bei jeder, auch der größten, hat er einen
Ueberschuß von Kraft bewährt, welcher das Vertrauen gab, daß er zu noch
Höherem befähigt sei.-

So stellt sein Leben in einer Reihe von Bildern dar. wie an einem em
Zelnen Mann der große Bildungsprozeß der letzten vierzig Jahre sich vollzog,
von dem ersten unsicheren Ringen nach deutscher Einheit bis in die Jahre
ihrer politischen Realisirung. Sehr gering ist die Zahl derer, welchen ver¬
gönnt war. diese aufreibenden Kämpfe im steten Einvernehmen mit den besten
Zeitforderungen durchzukämpfen; unter Allen, welche von 1830 bis zur Gegen-
wart in großen Verhältnissen gedauert haben, ist keiner, der so hingebend, so
kriegerisch und in so exponirter Stellung alle Conflicte durchgekämpft und zu


Grenzboten I. 1868,
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[0369] Karl Mathy. Viele Deutsche wissen, daß der Verstorbene ein ungewöhnlich kluger und kräftiger Mann war, auch daß in seinem Wesen eine Gewalt und furchtlose Entschlossenheit lag, welche bei großen Entscheidungen die Bewunderung der Freunde, den Zorn der besiegten Gegner aufregte. Aber nur. wer ihm per¬ sönlich nahe getreten, weiß, wie anspruchslos und bescheiden sein Gemüth war, wie geneigt zu liebevoller Würdigung andersgeformter Menschennatur, und wie schön sich neben der Energie und unermüdlichen Thatkraft seine be¬ hagliche Laune und die Fähigkeit heiteren Lebensgenusses ausnahmen. Sein Wirken wurde stets durch große Ideen gerichtet und meinte bei der genauesten Sorge um Einzelnes das Ganze und Höchste; aber überall, wohin er durch sein wechselvolles Schicksal geführt wurde, hat er einen großen Kreis warmer Freunde um sich geschlossen. Ungewöhnlich reich an Ereignissen, an Wechsel des Ortes und der Thä- tigkeit ist sein Leben, und schon die Größe und Mannigfaltigkeit der Interessen, welche er umfaßte, würden eine ausgeführte Lebensbeschreibung lohnend machen. Aber sein Leben hat für unsere Nation noch eine besondere Bedeu¬ tung. Von dem Jahre 1830 bis zur Gegenwart hat er als Journalist, Volkslehrer, Abgeordneter, Leiter großer Geschäfte und als Staatsmann seine Kraft für Andere gerade immer in den Thätigkeiten verwerthet, welche nach dem Zuge der Zeit obenan standen und wesentlich waren für die größten Fortschritte unserer Nation; bei jeder von diesen verschiedenen Aufgaben war er voller und ganzer Mann, und bei jeder, auch der größten, hat er einen Ueberschuß von Kraft bewährt, welcher das Vertrauen gab, daß er zu noch Höherem befähigt sei.- So stellt sein Leben in einer Reihe von Bildern dar. wie an einem em Zelnen Mann der große Bildungsprozeß der letzten vierzig Jahre sich vollzog, von dem ersten unsicheren Ringen nach deutscher Einheit bis in die Jahre ihrer politischen Realisirung. Sehr gering ist die Zahl derer, welchen ver¬ gönnt war. diese aufreibenden Kämpfe im steten Einvernehmen mit den besten Zeitforderungen durchzukämpfen; unter Allen, welche von 1830 bis zur Gegen- wart in großen Verhältnissen gedauert haben, ist keiner, der so hingebend, so kriegerisch und in so exponirter Stellung alle Conflicte durchgekämpft und zu Grenzboten I. 1868,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/369>, abgerufen am 24.08.2024.