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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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stähle, den vierten Theil des Gewichts der Schale wiegt, das Fleisch der bei
Falmouth im Canal gefundenen Austern den sechsten Theil, das Fleisch der
künstlich aufgezogenen Austern der französischen Insel R" den fünfzehnten
Theil. In England gilt diese letztere Sorte denn auch schon ihres schlechten
Aussehens halber für unverkäuflich; aber in Frankreich nimmt man mit ihr
immerhin vorlieb und bezahlt dort gern einen Frank für dieselbe Menge
von Vendee-Austern, welche von den besten Natives in England einen Schil¬
ling kostet, nämlich direct vom Fischer im Jahre 1864 für zwanzig Stück.

Die Natives stehen also in dem unermeßlichen Austernverbrauch Eng¬
lands obenan. Ihr Fundort ist die Mündung der Themse und einiger
kleinerer Flüsse, welche sich an ihrem Ausflusse zumeist seeartig erweitern,
insbesondere des Colne und des Crouch in Essex, des Medway und des
Swale in Kent. Am Swale liegt der großartigste aller Austernparks der
Welt, der der vereinigten Fischer von Whitstable. Dies ist eine alte Gilde,
welche, wie manche andere der Art, ihren Ursprung bis auf die Zeiten der Er-,
oberung Englands durch die Normannen zurückführt, bis 1793 aber ihren
Grund und Boden nur in Erbpacht besaß. Eine besondere Parlamentsnote
ermächtigte sie dann,, das Eigenthumsrecht zu erwerben; sie that es, aber
gutentheils mit fremdem Gelde. In den dreißiger Jahren dieses Jahrhun¬
derts wurden die Schulden getilgt, und nun repräsentirt ihr Austernpark ein
Capital, das Kundige auf mehr als dritthalb Millionen Thaler schätzen, we¬
nig über vierhundert Genossen gemeinsam angehörend. Ihr Product gibt
aus dem londoner Markte den Ton an. Solange Natives von Whitstable
zu haben sind, lassen sich Feinschmecker mit keinen anderen abspeisen. Ro¬
chester am Medway und Colchester am Colne waren noch bis vor kurzem
Whitstables Nebenbuhler um den ersten Rang; aber die Gilde von Rochester
leidet jetzt unter finanziellen Nöthen, und in Colchester hat man versäumt,
junge Brut anzukaufen, weil zwischen der Stadt als Eigenthümerin des
Grundes und den Austernfischern MißHelligkeiten entstanden sind, welche die
Verwendung von Capital auf den Ankauf von Brut verhinderten.

Die Gesellschaft der Austernfischer von Whitstable hat jedem ihrer Ge¬
nossen im Durchschnitt der achtzehn Jahre 1846--1867 jährlich vierhundert
Thaler ausbezahlt, in den letzten drei oder vier Jahren, in denen die Vor¬
züge ihres Verfahrens zur vollsten Geltung kamen , sogar sechs- bis sieben¬
hundert Thaler jährlich. Um die Bedeutung dieses Ertrags richtig zu be¬
urtheilen, muß folgendes erwogen werden. Zunächst bekommen die arbeiten¬
den Genossen auch dann etwas, wenn Krankheit oder Alter sie verhindert,
an der Arbeit theilzunehmen, und auch die Wittwen von Mitgliedern, so
lange sie sich nicht aus der Gilde hinaus wieder verheirathen, haben An¬
theil. Eine solche Wittwe erhält ein Drittel des Manneslohns; ein noth-


stähle, den vierten Theil des Gewichts der Schale wiegt, das Fleisch der bei
Falmouth im Canal gefundenen Austern den sechsten Theil, das Fleisch der
künstlich aufgezogenen Austern der französischen Insel R« den fünfzehnten
Theil. In England gilt diese letztere Sorte denn auch schon ihres schlechten
Aussehens halber für unverkäuflich; aber in Frankreich nimmt man mit ihr
immerhin vorlieb und bezahlt dort gern einen Frank für dieselbe Menge
von Vendee-Austern, welche von den besten Natives in England einen Schil¬
ling kostet, nämlich direct vom Fischer im Jahre 1864 für zwanzig Stück.

Die Natives stehen also in dem unermeßlichen Austernverbrauch Eng¬
lands obenan. Ihr Fundort ist die Mündung der Themse und einiger
kleinerer Flüsse, welche sich an ihrem Ausflusse zumeist seeartig erweitern,
insbesondere des Colne und des Crouch in Essex, des Medway und des
Swale in Kent. Am Swale liegt der großartigste aller Austernparks der
Welt, der der vereinigten Fischer von Whitstable. Dies ist eine alte Gilde,
welche, wie manche andere der Art, ihren Ursprung bis auf die Zeiten der Er-,
oberung Englands durch die Normannen zurückführt, bis 1793 aber ihren
Grund und Boden nur in Erbpacht besaß. Eine besondere Parlamentsnote
ermächtigte sie dann,, das Eigenthumsrecht zu erwerben; sie that es, aber
gutentheils mit fremdem Gelde. In den dreißiger Jahren dieses Jahrhun¬
derts wurden die Schulden getilgt, und nun repräsentirt ihr Austernpark ein
Capital, das Kundige auf mehr als dritthalb Millionen Thaler schätzen, we¬
nig über vierhundert Genossen gemeinsam angehörend. Ihr Product gibt
aus dem londoner Markte den Ton an. Solange Natives von Whitstable
zu haben sind, lassen sich Feinschmecker mit keinen anderen abspeisen. Ro¬
chester am Medway und Colchester am Colne waren noch bis vor kurzem
Whitstables Nebenbuhler um den ersten Rang; aber die Gilde von Rochester
leidet jetzt unter finanziellen Nöthen, und in Colchester hat man versäumt,
junge Brut anzukaufen, weil zwischen der Stadt als Eigenthümerin des
Grundes und den Austernfischern MißHelligkeiten entstanden sind, welche die
Verwendung von Capital auf den Ankauf von Brut verhinderten.

Die Gesellschaft der Austernfischer von Whitstable hat jedem ihrer Ge¬
nossen im Durchschnitt der achtzehn Jahre 1846—1867 jährlich vierhundert
Thaler ausbezahlt, in den letzten drei oder vier Jahren, in denen die Vor¬
züge ihres Verfahrens zur vollsten Geltung kamen , sogar sechs- bis sieben¬
hundert Thaler jährlich. Um die Bedeutung dieses Ertrags richtig zu be¬
urtheilen, muß folgendes erwogen werden. Zunächst bekommen die arbeiten¬
den Genossen auch dann etwas, wenn Krankheit oder Alter sie verhindert,
an der Arbeit theilzunehmen, und auch die Wittwen von Mitgliedern, so
lange sie sich nicht aus der Gilde hinaus wieder verheirathen, haben An¬
theil. Eine solche Wittwe erhält ein Drittel des Manneslohns; ein noth-


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[0322] stähle, den vierten Theil des Gewichts der Schale wiegt, das Fleisch der bei Falmouth im Canal gefundenen Austern den sechsten Theil, das Fleisch der künstlich aufgezogenen Austern der französischen Insel R« den fünfzehnten Theil. In England gilt diese letztere Sorte denn auch schon ihres schlechten Aussehens halber für unverkäuflich; aber in Frankreich nimmt man mit ihr immerhin vorlieb und bezahlt dort gern einen Frank für dieselbe Menge von Vendee-Austern, welche von den besten Natives in England einen Schil¬ ling kostet, nämlich direct vom Fischer im Jahre 1864 für zwanzig Stück. Die Natives stehen also in dem unermeßlichen Austernverbrauch Eng¬ lands obenan. Ihr Fundort ist die Mündung der Themse und einiger kleinerer Flüsse, welche sich an ihrem Ausflusse zumeist seeartig erweitern, insbesondere des Colne und des Crouch in Essex, des Medway und des Swale in Kent. Am Swale liegt der großartigste aller Austernparks der Welt, der der vereinigten Fischer von Whitstable. Dies ist eine alte Gilde, welche, wie manche andere der Art, ihren Ursprung bis auf die Zeiten der Er-, oberung Englands durch die Normannen zurückführt, bis 1793 aber ihren Grund und Boden nur in Erbpacht besaß. Eine besondere Parlamentsnote ermächtigte sie dann,, das Eigenthumsrecht zu erwerben; sie that es, aber gutentheils mit fremdem Gelde. In den dreißiger Jahren dieses Jahrhun¬ derts wurden die Schulden getilgt, und nun repräsentirt ihr Austernpark ein Capital, das Kundige auf mehr als dritthalb Millionen Thaler schätzen, we¬ nig über vierhundert Genossen gemeinsam angehörend. Ihr Product gibt aus dem londoner Markte den Ton an. Solange Natives von Whitstable zu haben sind, lassen sich Feinschmecker mit keinen anderen abspeisen. Ro¬ chester am Medway und Colchester am Colne waren noch bis vor kurzem Whitstables Nebenbuhler um den ersten Rang; aber die Gilde von Rochester leidet jetzt unter finanziellen Nöthen, und in Colchester hat man versäumt, junge Brut anzukaufen, weil zwischen der Stadt als Eigenthümerin des Grundes und den Austernfischern MißHelligkeiten entstanden sind, welche die Verwendung von Capital auf den Ankauf von Brut verhinderten. Die Gesellschaft der Austernfischer von Whitstable hat jedem ihrer Ge¬ nossen im Durchschnitt der achtzehn Jahre 1846—1867 jährlich vierhundert Thaler ausbezahlt, in den letzten drei oder vier Jahren, in denen die Vor¬ züge ihres Verfahrens zur vollsten Geltung kamen , sogar sechs- bis sieben¬ hundert Thaler jährlich. Um die Bedeutung dieses Ertrags richtig zu be¬ urtheilen, muß folgendes erwogen werden. Zunächst bekommen die arbeiten¬ den Genossen auch dann etwas, wenn Krankheit oder Alter sie verhindert, an der Arbeit theilzunehmen, und auch die Wittwen von Mitgliedern, so lange sie sich nicht aus der Gilde hinaus wieder verheirathen, haben An¬ theil. Eine solche Wittwe erhält ein Drittel des Manneslohns; ein noth-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/322>, abgerufen am 01.07.2024.