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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Holstein seine Mark und Schillinge, Frankfurt a. M. und Nassau sammt
dem südlichen Kurhessen ihre Gulden und Kreuzer, Hannover die Zehn¬
theilung des Groschens dem preußischen Thaler mit seiner Theilung in
dreißig Groschen zu zwölf Pfennigen zu opfern hatten. Aber räumlich ebenso
ausgedehnte, sachlich ebenso einschneidende Unterschiede sind übriggeblieben.
In Sachsen und Braunschweig hat der Groschen nach wie vor nur zehn
Pfennige. In Mecklenburg theilt sich der Thaler in achtundvierzig Schillinge.
In Hamburg und Lübeck gilt der Thaler nur gewissermaßen als Aushilfs¬
münze, das herrschende Geld sind Mark und Schillinge. In Bremen endlich
besteht nicht einmal, wie sonst überall noch in Deutschland, Silberwährung,
sondern Goldwährung, diese aber mehr fictiv und ideell als wirklich, denn
bremer Goldmünzen gibt es nicht. Man behalf sich früher mit Louisdors
aller Art und jetzt mit Kronen, die Rechnungseinheit ist ein silberner, so¬
genannter Thaler Gold, der fünfte Theil eines ehemaligen hannoverschen
oder dänischen Louisdor, auch dieser aber wird nur ausnahmsweise gemünzt,
und die umlaufende Münze sind Groden, deren zweiundsiebzig auf den Thaler
Gold gehen, und deren Multipla. Vermöge dieser chaotischen Münzvielheit
kann es vorkommen, daß man auf einer Reise von wenigen Tagen innerhalb
der politischen und sprachlichen Grenzen Deutschlands bleibt und sich doch
viermal an eine neue Rechnungsweise zu gewöhnen hat. Der Deutschöstreicher,
der etwa über München, Leipzig, Berlin, Hamburg und Bremen nach Nor-
derney ins Seebad reist, muß es gar fünfmal, --> ebenso wie der Bremer,
der den umgekehrten Weg ins östreichische Gebirge zurücklegt.

Nordamerika und die Schweiz, Bundesstaaten wie Deutschland, reser-
viren verfassungsmäßig das Münzrecht den Bundesgewalten. In Deutsch¬
land, dessen frühere gemeinschaftliche Verfassung diesen wichtigen Punkt ganz
außer Augen ließ, hat man sich seit den dreißiger Jahren aus der gröbsten
Noth und Verwirrung dadurch zu helfen gesucht, daß die einzelnen Staaten
sich durch Verträge gegenseitig eines Theils ihrer gemeinschädlichem Rechte be¬
gaben. Neben dem deutschen Zollverein entstand ein deutsch-östreichischer
Münzverein. Allein zur Einheit gelangte man auf diesem Wege nicht. Man
mußte zufrieden sein, den größten Theil des in Frage kommenden Gebiets
in einer Art von Dreieinigkeit zusammenzufassen, d. h. in drei Systemen,
die unter sich eine nicht allzu unbequeme, nicht praktisch geradezu unbrauch¬
bare Ausgleichung zuließen. Das war das Ergebniß der wiener Münz-
conferenz von 1857, -- der preußisch-norddeutsche Thaler zu dreißig Silber¬
groschen, der östreichische Gulden zu hundert Neukreuzer und der süddeutsche
Gulden zu sechzig Kreuzer, die ihre Ausgleichung fanden iO" der Formel
4 Thaler -- 6 östreichischen Gulden ^ 7 süddeutschen Gulden.

In einer anderer Richtung als derjenigen nationaler Einheit versuchte


Holstein seine Mark und Schillinge, Frankfurt a. M. und Nassau sammt
dem südlichen Kurhessen ihre Gulden und Kreuzer, Hannover die Zehn¬
theilung des Groschens dem preußischen Thaler mit seiner Theilung in
dreißig Groschen zu zwölf Pfennigen zu opfern hatten. Aber räumlich ebenso
ausgedehnte, sachlich ebenso einschneidende Unterschiede sind übriggeblieben.
In Sachsen und Braunschweig hat der Groschen nach wie vor nur zehn
Pfennige. In Mecklenburg theilt sich der Thaler in achtundvierzig Schillinge.
In Hamburg und Lübeck gilt der Thaler nur gewissermaßen als Aushilfs¬
münze, das herrschende Geld sind Mark und Schillinge. In Bremen endlich
besteht nicht einmal, wie sonst überall noch in Deutschland, Silberwährung,
sondern Goldwährung, diese aber mehr fictiv und ideell als wirklich, denn
bremer Goldmünzen gibt es nicht. Man behalf sich früher mit Louisdors
aller Art und jetzt mit Kronen, die Rechnungseinheit ist ein silberner, so¬
genannter Thaler Gold, der fünfte Theil eines ehemaligen hannoverschen
oder dänischen Louisdor, auch dieser aber wird nur ausnahmsweise gemünzt,
und die umlaufende Münze sind Groden, deren zweiundsiebzig auf den Thaler
Gold gehen, und deren Multipla. Vermöge dieser chaotischen Münzvielheit
kann es vorkommen, daß man auf einer Reise von wenigen Tagen innerhalb
der politischen und sprachlichen Grenzen Deutschlands bleibt und sich doch
viermal an eine neue Rechnungsweise zu gewöhnen hat. Der Deutschöstreicher,
der etwa über München, Leipzig, Berlin, Hamburg und Bremen nach Nor-
derney ins Seebad reist, muß es gar fünfmal, —> ebenso wie der Bremer,
der den umgekehrten Weg ins östreichische Gebirge zurücklegt.

Nordamerika und die Schweiz, Bundesstaaten wie Deutschland, reser-
viren verfassungsmäßig das Münzrecht den Bundesgewalten. In Deutsch¬
land, dessen frühere gemeinschaftliche Verfassung diesen wichtigen Punkt ganz
außer Augen ließ, hat man sich seit den dreißiger Jahren aus der gröbsten
Noth und Verwirrung dadurch zu helfen gesucht, daß die einzelnen Staaten
sich durch Verträge gegenseitig eines Theils ihrer gemeinschädlichem Rechte be¬
gaben. Neben dem deutschen Zollverein entstand ein deutsch-östreichischer
Münzverein. Allein zur Einheit gelangte man auf diesem Wege nicht. Man
mußte zufrieden sein, den größten Theil des in Frage kommenden Gebiets
in einer Art von Dreieinigkeit zusammenzufassen, d. h. in drei Systemen,
die unter sich eine nicht allzu unbequeme, nicht praktisch geradezu unbrauch¬
bare Ausgleichung zuließen. Das war das Ergebniß der wiener Münz-
conferenz von 1857, — der preußisch-norddeutsche Thaler zu dreißig Silber¬
groschen, der östreichische Gulden zu hundert Neukreuzer und der süddeutsche
Gulden zu sechzig Kreuzer, die ihre Ausgleichung fanden iO" der Formel
4 Thaler — 6 östreichischen Gulden ^ 7 süddeutschen Gulden.

In einer anderer Richtung als derjenigen nationaler Einheit versuchte


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[0304] Holstein seine Mark und Schillinge, Frankfurt a. M. und Nassau sammt dem südlichen Kurhessen ihre Gulden und Kreuzer, Hannover die Zehn¬ theilung des Groschens dem preußischen Thaler mit seiner Theilung in dreißig Groschen zu zwölf Pfennigen zu opfern hatten. Aber räumlich ebenso ausgedehnte, sachlich ebenso einschneidende Unterschiede sind übriggeblieben. In Sachsen und Braunschweig hat der Groschen nach wie vor nur zehn Pfennige. In Mecklenburg theilt sich der Thaler in achtundvierzig Schillinge. In Hamburg und Lübeck gilt der Thaler nur gewissermaßen als Aushilfs¬ münze, das herrschende Geld sind Mark und Schillinge. In Bremen endlich besteht nicht einmal, wie sonst überall noch in Deutschland, Silberwährung, sondern Goldwährung, diese aber mehr fictiv und ideell als wirklich, denn bremer Goldmünzen gibt es nicht. Man behalf sich früher mit Louisdors aller Art und jetzt mit Kronen, die Rechnungseinheit ist ein silberner, so¬ genannter Thaler Gold, der fünfte Theil eines ehemaligen hannoverschen oder dänischen Louisdor, auch dieser aber wird nur ausnahmsweise gemünzt, und die umlaufende Münze sind Groden, deren zweiundsiebzig auf den Thaler Gold gehen, und deren Multipla. Vermöge dieser chaotischen Münzvielheit kann es vorkommen, daß man auf einer Reise von wenigen Tagen innerhalb der politischen und sprachlichen Grenzen Deutschlands bleibt und sich doch viermal an eine neue Rechnungsweise zu gewöhnen hat. Der Deutschöstreicher, der etwa über München, Leipzig, Berlin, Hamburg und Bremen nach Nor- derney ins Seebad reist, muß es gar fünfmal, —> ebenso wie der Bremer, der den umgekehrten Weg ins östreichische Gebirge zurücklegt. Nordamerika und die Schweiz, Bundesstaaten wie Deutschland, reser- viren verfassungsmäßig das Münzrecht den Bundesgewalten. In Deutsch¬ land, dessen frühere gemeinschaftliche Verfassung diesen wichtigen Punkt ganz außer Augen ließ, hat man sich seit den dreißiger Jahren aus der gröbsten Noth und Verwirrung dadurch zu helfen gesucht, daß die einzelnen Staaten sich durch Verträge gegenseitig eines Theils ihrer gemeinschädlichem Rechte be¬ gaben. Neben dem deutschen Zollverein entstand ein deutsch-östreichischer Münzverein. Allein zur Einheit gelangte man auf diesem Wege nicht. Man mußte zufrieden sein, den größten Theil des in Frage kommenden Gebiets in einer Art von Dreieinigkeit zusammenzufassen, d. h. in drei Systemen, die unter sich eine nicht allzu unbequeme, nicht praktisch geradezu unbrauch¬ bare Ausgleichung zuließen. Das war das Ergebniß der wiener Münz- conferenz von 1857, — der preußisch-norddeutsche Thaler zu dreißig Silber¬ groschen, der östreichische Gulden zu hundert Neukreuzer und der süddeutsche Gulden zu sechzig Kreuzer, die ihre Ausgleichung fanden iO" der Formel 4 Thaler — 6 östreichischen Gulden ^ 7 süddeutschen Gulden. In einer anderer Richtung als derjenigen nationaler Einheit versuchte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/304>, abgerufen am 01.07.2024.