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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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zwar längst vorüber und zur Sage geworden -- aber die Oberländer gelten
ihren speciellen Landsleuten immer noch für halbe Polen und sind ihrer
rauhen Sitten und ihrer derben Ungefügigkeit wegen in ganz Kurland berühmt.
Während in den übrigen Theilen des Landes nirgend andere wie lutherisch¬
lettische Bauern zu finden sind, besteht die Bevölkerung der Dünaburg benach¬
barten kurischen Güter aus einem bunten Gemisch von verkommenen polni¬
schen Schlächtizen (kleinen Edelleute) und Odnodworzen (Einhöfern),litthauischen
Flüchtlingen, altgläubigen Russen und versprengten Samogitiern, die ein
Kauderwelsch reden, das außer ihnen selbst nur der unentbehrliche jüdische
Factor verstehen kann und die durch ihre Rohheit und Unehrlichkeit weit und
breit berüchtigt sind: die Übeln Eigenschaften, welche wir an den Bewohnern
Jnflands gewahr geworden, finden sich hier wenn auch in moderirten Propor¬
tionen wieder Die Edelleute, welche über diesem zusammengelaufenen Gesindel
als Gutsbesitzer das Scepter zu führen haben, sind als stolze, ungebändigte
Männer von herculischer Gestalt und starrer Treue gegen gewisse Traditio¬
nen des Faustrechts bekannt. Ihrer Rede ist häufig ein kräftiger polnischer
Fluch beigemischt, ihren sarmatischen Nachbarn zu Liebe haben sie die Sitte,
frohe Abende mit einem Glase polnischen Punsches und einer Partie Pharao
oder Landsknecht zu beschließen, beibehalten und der Zweikampf ("zehn Schritt,
gezogene Läufe mit Fettlappen und mindestens zwei Kugeln" bilden das
Ordinarium) steht bei ihnen noch in religiösem Ansehen. Der Sage nach
sollen sie von den Landboten der alten Republik auch die Gewohnheit ange¬
nommen haben, in politischen Dingen keinen Widerspruch zu dulden: viel¬
leicht lebt jener wackere Freiherr v. E. noch heute, der auf die Kirchspiels¬
versammlungen stets ein paar Pistolen mitzunehmen und diese nach Verlaut¬
barung seiner Stellung zu den brennenden Fragen mit den Worten: "Das,
meine Herren ist meine Meinung, und wer anderer Ansicht ist, ist ein H--t'
ruhig auf den Conferenztisch zu legen pflegte. Nicht ganz erweisbar, aber
unter allen Umständen höchst charakteristisch, ist die landläufige Erzählung
von der Art und Weise der Publication der Regierungsvorschristen im Jlluxt-
schen Theil des Oberlandes: die von Hof zu Hof getragenen Circulairschreiben
werden nicht, wie sonst üblich, mit dem "Vidi" des Gutsherrn unterschrieben,
sondern mit einer Pistolenkugel durchschossen! So sieht es im Oberlande aus.
Daß dieser mehr oder minder von polnisch-litthauisch-infländischen Ein¬
flüssen berührte Fetzen kurischer Erde der Verbindung des polnischen Liv-
lands mit den benachbarten Gouvernements Wilna und Kowno keine erheb¬
lichen Schwierigkeiten entgegensetzen kann, ergibt sich ---ganz abgesehen von
der Eigenthümlichkeit seiner Bewohner, -- schon aus der geographischen Con-
figuration desselben: wenige Stunden reichen hin, um von dem infländischen
Ufer der Dura an die litthauische Grenze zu gelangen. Im äußersten Osten


zwar längst vorüber und zur Sage geworden — aber die Oberländer gelten
ihren speciellen Landsleuten immer noch für halbe Polen und sind ihrer
rauhen Sitten und ihrer derben Ungefügigkeit wegen in ganz Kurland berühmt.
Während in den übrigen Theilen des Landes nirgend andere wie lutherisch¬
lettische Bauern zu finden sind, besteht die Bevölkerung der Dünaburg benach¬
barten kurischen Güter aus einem bunten Gemisch von verkommenen polni¬
schen Schlächtizen (kleinen Edelleute) und Odnodworzen (Einhöfern),litthauischen
Flüchtlingen, altgläubigen Russen und versprengten Samogitiern, die ein
Kauderwelsch reden, das außer ihnen selbst nur der unentbehrliche jüdische
Factor verstehen kann und die durch ihre Rohheit und Unehrlichkeit weit und
breit berüchtigt sind: die Übeln Eigenschaften, welche wir an den Bewohnern
Jnflands gewahr geworden, finden sich hier wenn auch in moderirten Propor¬
tionen wieder Die Edelleute, welche über diesem zusammengelaufenen Gesindel
als Gutsbesitzer das Scepter zu führen haben, sind als stolze, ungebändigte
Männer von herculischer Gestalt und starrer Treue gegen gewisse Traditio¬
nen des Faustrechts bekannt. Ihrer Rede ist häufig ein kräftiger polnischer
Fluch beigemischt, ihren sarmatischen Nachbarn zu Liebe haben sie die Sitte,
frohe Abende mit einem Glase polnischen Punsches und einer Partie Pharao
oder Landsknecht zu beschließen, beibehalten und der Zweikampf („zehn Schritt,
gezogene Läufe mit Fettlappen und mindestens zwei Kugeln" bilden das
Ordinarium) steht bei ihnen noch in religiösem Ansehen. Der Sage nach
sollen sie von den Landboten der alten Republik auch die Gewohnheit ange¬
nommen haben, in politischen Dingen keinen Widerspruch zu dulden: viel¬
leicht lebt jener wackere Freiherr v. E. noch heute, der auf die Kirchspiels¬
versammlungen stets ein paar Pistolen mitzunehmen und diese nach Verlaut¬
barung seiner Stellung zu den brennenden Fragen mit den Worten: „Das,
meine Herren ist meine Meinung, und wer anderer Ansicht ist, ist ein H—t'
ruhig auf den Conferenztisch zu legen pflegte. Nicht ganz erweisbar, aber
unter allen Umständen höchst charakteristisch, ist die landläufige Erzählung
von der Art und Weise der Publication der Regierungsvorschristen im Jlluxt-
schen Theil des Oberlandes: die von Hof zu Hof getragenen Circulairschreiben
werden nicht, wie sonst üblich, mit dem „Vidi" des Gutsherrn unterschrieben,
sondern mit einer Pistolenkugel durchschossen! So sieht es im Oberlande aus.
Daß dieser mehr oder minder von polnisch-litthauisch-infländischen Ein¬
flüssen berührte Fetzen kurischer Erde der Verbindung des polnischen Liv-
lands mit den benachbarten Gouvernements Wilna und Kowno keine erheb¬
lichen Schwierigkeiten entgegensetzen kann, ergibt sich —-ganz abgesehen von
der Eigenthümlichkeit seiner Bewohner, — schon aus der geographischen Con-
figuration desselben: wenige Stunden reichen hin, um von dem infländischen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/302>, abgerufen am 01.07.2024.