Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.Bewegung auf früher polnischem Gebiet einengen, hinübergekommen ist, um Bewegung auf früher polnischem Gebiet einengen, hinübergekommen ist, um <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0295" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117299"/> <p xml:id="ID_762" prev="#ID_761" next="#ID_763"> Bewegung auf früher polnischem Gebiet einengen, hinübergekommen ist, um<lb/> mit den schwergeprüften Pans hinter flüchtigen Hasen und unermüdlichen<lb/> Füchsen zu jagen. Der derbere Knochenbau, die ungebrochen stolze Haltung,<lb/> die gebräunte frische Gesichtsfarbe und das gesunde Lachen, welches dem<lb/> leise geflüsterten Bonmot des blassen gräflichen Nachbarn von Warklany oder<lb/> Kreslaw erschreckend laute Antwort gibt, bekunden den deutschen Aristokraten,<lb/> der es gewohnt ist, wo er erscheint, Herr zu sein, und der sich niemandem<lb/> beugt, als dem Genossen, den er sich selbst zum Kreismarschall oder Ober¬<lb/> hauptmann erwählt hat. Er weiß, daß ein zweistündiger Ritt ihn in die<lb/> Sicherheit der heimischen Erde zurückführen kann, und darum hält er sich<lb/> das Gefühl der Beklemmung vom Leibe, das auf seine Umgebung drückt,<lb/> die sich allenthalben unter dem Damoklesschwert des Belagerungszustandes<lb/> fühlt. Weiter zur Wand hin steht ein großer, mit Branntweinflaschen reich<lb/> bedeckter Tisch, an welchem sich eine Schaar Bauern gesammelt hat, um mit<lb/> dem jüdischen Händler, der seine Waaren austrank, zu schachern, kleine<lb/> kräftige Gestalten in aschgrauen Röcken, die sich alle Mühe geben, durch<lb/> lautes Lachen und ungezwungene Reden bemerklich zu machen, daß sie ihre<lb/> nur wenig Schritte weiter sitzenden ehemaligen Herren nicht mehr zu fürch¬<lb/> ten brauchen. Die Sprache, welche diese Männer reden, ist eine Munda.re<lb/> des Lettischen, wie es im livländischen Osten gesprochen wird, aber doch von<lb/> diesem unterschieden, weil mit zahlreichen Polonismen versetzt und durch eine<lb/> Anzahl Wendungen bereichert, welche dem Litthauischen entnommen sind;<lb/> dazu macht sich geltend, daß diese Sprache des ordnenden Einflusses der<lb/> Schule entbehrt, und daß sie keinen Schatz an Kirchenliedern und religiösen<lb/> Schriften besitzt, der die Gedanken der Sprechenden veredelt, ihre Sprechweise<lb/> gereinigt hätte. Der katholische Pater, der hier statt des lutherischen Pastors<lb/> waltet, hat nur selten Zeit und Neigung verspürt, auf die Bildung seiner<lb/> Pfarrkinder einzuwirken, in der Neuzeit darf er kaum wagen, mit denselben<lb/> außerhalb der Messe und Beichte überhaupt zu verkehren. Als Pole ist er<lb/> ohnehin politisch verdächtig und läuft bei dem geringsten Conflict mit<lb/> den kommandirenden Offizieren des Bezirks ernstliche Gefahr, seines Amtes<lb/> entsetzt und durch einen Geistlichen der griechischen Kirche ersetzt zu werden.<lb/> Selbst der mit lateinischen Lettern gedruckte infländisch-lettische Kalender, den<lb/> er sonst an seine Diöcesane zu vertheilen pflegte, und der neben dem Brevier<lb/> die einzige Lecture des Bauern bildete, ist neuerdings wegen seiner polnischen<lb/> Orthographie verpönt worden. An seine Stelle soll ein mit russischen (cyril¬<lb/> lischen) Lettern gedrucktes Buch treten, um symbolisch die Wiederherstellung<lb/> des russischen Einflusses „im Gouvernement Witepsk" abzubilden; aber das<lb/> Volk kann die neuen Schriftzeichen nicht verstehen und hat nur zwischen den<lb/> aus Tilsit eingeschmuggelten preußisch-litthauischen Kalendern oder gänzlichem</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0295]
Bewegung auf früher polnischem Gebiet einengen, hinübergekommen ist, um
mit den schwergeprüften Pans hinter flüchtigen Hasen und unermüdlichen
Füchsen zu jagen. Der derbere Knochenbau, die ungebrochen stolze Haltung,
die gebräunte frische Gesichtsfarbe und das gesunde Lachen, welches dem
leise geflüsterten Bonmot des blassen gräflichen Nachbarn von Warklany oder
Kreslaw erschreckend laute Antwort gibt, bekunden den deutschen Aristokraten,
der es gewohnt ist, wo er erscheint, Herr zu sein, und der sich niemandem
beugt, als dem Genossen, den er sich selbst zum Kreismarschall oder Ober¬
hauptmann erwählt hat. Er weiß, daß ein zweistündiger Ritt ihn in die
Sicherheit der heimischen Erde zurückführen kann, und darum hält er sich
das Gefühl der Beklemmung vom Leibe, das auf seine Umgebung drückt,
die sich allenthalben unter dem Damoklesschwert des Belagerungszustandes
fühlt. Weiter zur Wand hin steht ein großer, mit Branntweinflaschen reich
bedeckter Tisch, an welchem sich eine Schaar Bauern gesammelt hat, um mit
dem jüdischen Händler, der seine Waaren austrank, zu schachern, kleine
kräftige Gestalten in aschgrauen Röcken, die sich alle Mühe geben, durch
lautes Lachen und ungezwungene Reden bemerklich zu machen, daß sie ihre
nur wenig Schritte weiter sitzenden ehemaligen Herren nicht mehr zu fürch¬
ten brauchen. Die Sprache, welche diese Männer reden, ist eine Munda.re
des Lettischen, wie es im livländischen Osten gesprochen wird, aber doch von
diesem unterschieden, weil mit zahlreichen Polonismen versetzt und durch eine
Anzahl Wendungen bereichert, welche dem Litthauischen entnommen sind;
dazu macht sich geltend, daß diese Sprache des ordnenden Einflusses der
Schule entbehrt, und daß sie keinen Schatz an Kirchenliedern und religiösen
Schriften besitzt, der die Gedanken der Sprechenden veredelt, ihre Sprechweise
gereinigt hätte. Der katholische Pater, der hier statt des lutherischen Pastors
waltet, hat nur selten Zeit und Neigung verspürt, auf die Bildung seiner
Pfarrkinder einzuwirken, in der Neuzeit darf er kaum wagen, mit denselben
außerhalb der Messe und Beichte überhaupt zu verkehren. Als Pole ist er
ohnehin politisch verdächtig und läuft bei dem geringsten Conflict mit
den kommandirenden Offizieren des Bezirks ernstliche Gefahr, seines Amtes
entsetzt und durch einen Geistlichen der griechischen Kirche ersetzt zu werden.
Selbst der mit lateinischen Lettern gedruckte infländisch-lettische Kalender, den
er sonst an seine Diöcesane zu vertheilen pflegte, und der neben dem Brevier
die einzige Lecture des Bauern bildete, ist neuerdings wegen seiner polnischen
Orthographie verpönt worden. An seine Stelle soll ein mit russischen (cyril¬
lischen) Lettern gedrucktes Buch treten, um symbolisch die Wiederherstellung
des russischen Einflusses „im Gouvernement Witepsk" abzubilden; aber das
Volk kann die neuen Schriftzeichen nicht verstehen und hat nur zwischen den
aus Tilsit eingeschmuggelten preußisch-litthauischen Kalendern oder gänzlichem
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |