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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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ständige Verwaltung des 200 Millionen betragenden Eisenbahneapitals ver¬
loren ginge, daß man nicht mehr so bequem seine Wünsche in Postsachen
anbringen könnte und daß das Land die verhaßte Branntweinsteuer wieder
einführen müßte: er führte den Abgeordneten zu Gemüth, daß sie im Parla-
lament keinen Einfluß auf die Finanzverwaltung auszuüben hätten, daß ihnen
die Berathung des Militäretats entzogen würde, daß die Competenz des
Parlaments -- abgesehen von den Zollangelegenheiten, bei denen die Süd¬
deutschen bereits zugezogen, -- sich nur auf untergeordnete Dinge erstrecke.
Ja er erklärte schließlich, wenn die Kammer selbst der Entwickelung der Ge¬
schichte vorgreifen und einen Antrag in jenem Sinne stellen wollte, so würde
er dem König rathen, an das Land zu appeliren, und selbst wenn der un¬
denkbare Fall einträte, daß das Land sich für den Eintritt in den Nord¬
bund ausspräche, so würde er im Rath des Königs zur Erwägung geben,
ob ein solcher Schritt mit den Rechten und Pflichten des Königs und mit
der europäischen Stellung des Landes vereinbar sei. Es schien, als ob die
Lorbeeren Rouhers vom 5. Decbr. Herrn von Varnbüler den Schlaf geraubt
hätten. Wie sein französischer College, hatte er den Muth, sich offen zu einer
reactionären Politik zu bekennen. Die Mehrheit schien gründlich zufrieden
gestellt, alle Täuschungen beseitigt. Und dennoch war in Wahrheit der Er¬
folg ein entgegengesetzter: Herr von Varnbüler hatte höchst nachdrücklich ge¬
redet, aber es war ihm nicht einmal gelungen, den Eindruck hervorzubringen,
daß er aus wirklicher Ueberzeugung gesprochen.

Zwar wurde von klerikaler Seite sofort dem Minister der Dank für
dessen unzweideutige Erklärung ausgedrückt, und Graf Bissingen, von der¬
selben Seite, bemerkte ironisch, der Minister scheine fast Neue zu empfinden,
daß er die Verträge abgeschlossen habe, wogegen jener sich jedoch selbst ver¬
wahrte. Aber die Demokratie war nicht nur bedenklich über die Stelle, wo¬
rin Herr v. Varnbüler seine Achtung vor Kammerbeschlüssen so seltsam illu-
strirt hatte, sondern sie gab auch unverholen ihr Mißtrauen über die neueste
Wendung des Ministers zu erkennen. Und in den Reihen der nationa¬
len Partei hatte vollends die Philippina desselben nichts weniger als einen
niederschmetternder Eindruck gemacht. Hölder und Römer entgegneten in
glücklichster Weise, daß ihre Zuversicht auf einen baldigen Eintritt Würtem-
bergs in den Nordbund nicht im geringsten erschüttert sei, weil einfach die
Natur der Verhältnisse stärker sei und gerade in der neuesten Zeit an Wür"
temberg stärker sich erwiesen habe, als noch so starke Wünsche und Abnei¬
gungen. Sie erinnerten daran, daß ein Staatsmann niemals: niemals sagen
sollte, am wenigsten Herr v. Varnbüler, der früher schon mit wenig Glück
sich dieser Phrase bedient hatte. War es doch derselbe Herr v. Varnbüler.
der vor nicht gar langer Zeit erklärt hatte, er werde niemals das Königreich


ständige Verwaltung des 200 Millionen betragenden Eisenbahneapitals ver¬
loren ginge, daß man nicht mehr so bequem seine Wünsche in Postsachen
anbringen könnte und daß das Land die verhaßte Branntweinsteuer wieder
einführen müßte: er führte den Abgeordneten zu Gemüth, daß sie im Parla-
lament keinen Einfluß auf die Finanzverwaltung auszuüben hätten, daß ihnen
die Berathung des Militäretats entzogen würde, daß die Competenz des
Parlaments — abgesehen von den Zollangelegenheiten, bei denen die Süd¬
deutschen bereits zugezogen, — sich nur auf untergeordnete Dinge erstrecke.
Ja er erklärte schließlich, wenn die Kammer selbst der Entwickelung der Ge¬
schichte vorgreifen und einen Antrag in jenem Sinne stellen wollte, so würde
er dem König rathen, an das Land zu appeliren, und selbst wenn der un¬
denkbare Fall einträte, daß das Land sich für den Eintritt in den Nord¬
bund ausspräche, so würde er im Rath des Königs zur Erwägung geben,
ob ein solcher Schritt mit den Rechten und Pflichten des Königs und mit
der europäischen Stellung des Landes vereinbar sei. Es schien, als ob die
Lorbeeren Rouhers vom 5. Decbr. Herrn von Varnbüler den Schlaf geraubt
hätten. Wie sein französischer College, hatte er den Muth, sich offen zu einer
reactionären Politik zu bekennen. Die Mehrheit schien gründlich zufrieden
gestellt, alle Täuschungen beseitigt. Und dennoch war in Wahrheit der Er¬
folg ein entgegengesetzter: Herr von Varnbüler hatte höchst nachdrücklich ge¬
redet, aber es war ihm nicht einmal gelungen, den Eindruck hervorzubringen,
daß er aus wirklicher Ueberzeugung gesprochen.

Zwar wurde von klerikaler Seite sofort dem Minister der Dank für
dessen unzweideutige Erklärung ausgedrückt, und Graf Bissingen, von der¬
selben Seite, bemerkte ironisch, der Minister scheine fast Neue zu empfinden,
daß er die Verträge abgeschlossen habe, wogegen jener sich jedoch selbst ver¬
wahrte. Aber die Demokratie war nicht nur bedenklich über die Stelle, wo¬
rin Herr v. Varnbüler seine Achtung vor Kammerbeschlüssen so seltsam illu-
strirt hatte, sondern sie gab auch unverholen ihr Mißtrauen über die neueste
Wendung des Ministers zu erkennen. Und in den Reihen der nationa¬
len Partei hatte vollends die Philippina desselben nichts weniger als einen
niederschmetternder Eindruck gemacht. Hölder und Römer entgegneten in
glücklichster Weise, daß ihre Zuversicht auf einen baldigen Eintritt Würtem-
bergs in den Nordbund nicht im geringsten erschüttert sei, weil einfach die
Natur der Verhältnisse stärker sei und gerade in der neuesten Zeit an Wür«
temberg stärker sich erwiesen habe, als noch so starke Wünsche und Abnei¬
gungen. Sie erinnerten daran, daß ein Staatsmann niemals: niemals sagen
sollte, am wenigsten Herr v. Varnbüler, der früher schon mit wenig Glück
sich dieser Phrase bedient hatte. War es doch derselbe Herr v. Varnbüler.
der vor nicht gar langer Zeit erklärt hatte, er werde niemals das Königreich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/29>, abgerufen am 24.08.2024.