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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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fahrens am wenigsten Aufschub duldet, die Civilprozeßordnung aber auf den¬
selben Grundsätzen beruht, wie das norddeutsche Gesetzgebungswerk, also einer
künftigen Gleichförmigkeit jetzt schon wenigstens vorgearbeitet wird. Allein
neben den sachlichen Gründen war man gar nicht bemüht, die particularisti-
schen Gründe, welche die eigentlich durchschlagenden waren, zu verbergen.
Nach des Ministers Erklärung will man es ausdrücklich vermeiden, daß die
Blicke bei abermaligem Scheitern des eigenen Gesetzgebungswerks hilfesuchend
nach dem norddeutschen Bund sich wenden, er erklärte überdies, daß völlige
Gleichförmigkeit mit den norddeutschen Einrichtungen gar nicht wünschens¬
wert!) sei und es war der Refrain der Redner die Wahrheit: man müsse
zeigen, daß auch Württemberg noch ein lebenskräftiger Staat sei und das
Zeug habe, eine gesetzgeberische Reform ins Werk zu setzen.

Wenn schon die Erklärungen des Justizministers über das Verhältniß
Würtembergs zu einer späteren gemeinsamen Gesetzgebung Befremden erreg¬
ten, so schien Herr v. Varnbüler vollends jeden Zweifel über die Gesinnun¬
gen der Regierung beseitigen zu wollen, als er am Tag darauf, am 11. Dez.,
.seine geharnischte Rede gegen den norddeutschen Bund und gegen den Ein¬
tritt Würtembergs in denselben von Stapel ließ.

Den Anlaß bot die Debatte über das Budget des auswärtigen Depar¬
tements. Es handelte sich um den Gesandtschaftsposten in Florenz, der spä¬
ter mit großer Mehrheit von der Kammer als überflüssig vom Budget ge¬
strichen wurde. Holder hatte die nationalen Gründe gegen eine selbständige
diplomatische Action der kleinen Staaten hervorgehoben, daran erinnert, daß
nach den mit Preußen abgeschlossenen Verträgen eine selbständige auswärtige
Politik gar nicht mehr statthaft sei und die Hoffnung ausgedrückt, daß man
bald dem Ausland gegenüber eine gemeinsame deutsche Politik erhalten werde.
Er hatte in Form und Inhalt so gemäßigt wie möglich gesprochen. Nie¬
mand erwartete, daß eine so nachdrückliche Erklärung des Ministeriums
folgen werde, die den Eindruck machte, als ob sie, lange vorbereitet, nur
auf die erste beste Gelegenheit warte. Der Minister sprach im Tone eines
biedern würtembergischen Patriotismus, der sich durch den Gedanken, die
Selbständigkeit an ein größeres Ganzes zu verlieren, gekränkt und entrüstet
fühlt. Er begnügte sich nicht mit der Erklärung, daß Würtemberg mit
den Verträgen seine nationale Pflicht erfüllt habe und nicht der mindeste
Grund vorliege, über die vertragsmäßig festgestellten Grenzlinien hinauszu¬
gehen, sondern er machte sich auch an eine Kritik der Verfassung des nord¬
deutschen Bundes. Er rechnete vor, sein Publikum kennend, wie viele Millio¬
nen das Land nach dem Eintritt in den Bund mehr aufzubringen hätte, wie
die Militärlast um so und so viele Rekruten jährlich eine größere würde,
was man zu Marinezwecken beizusteuern hätte; er führte aus, daß die selb-


fahrens am wenigsten Aufschub duldet, die Civilprozeßordnung aber auf den¬
selben Grundsätzen beruht, wie das norddeutsche Gesetzgebungswerk, also einer
künftigen Gleichförmigkeit jetzt schon wenigstens vorgearbeitet wird. Allein
neben den sachlichen Gründen war man gar nicht bemüht, die particularisti-
schen Gründe, welche die eigentlich durchschlagenden waren, zu verbergen.
Nach des Ministers Erklärung will man es ausdrücklich vermeiden, daß die
Blicke bei abermaligem Scheitern des eigenen Gesetzgebungswerks hilfesuchend
nach dem norddeutschen Bund sich wenden, er erklärte überdies, daß völlige
Gleichförmigkeit mit den norddeutschen Einrichtungen gar nicht wünschens¬
wert!) sei und es war der Refrain der Redner die Wahrheit: man müsse
zeigen, daß auch Württemberg noch ein lebenskräftiger Staat sei und das
Zeug habe, eine gesetzgeberische Reform ins Werk zu setzen.

Wenn schon die Erklärungen des Justizministers über das Verhältniß
Würtembergs zu einer späteren gemeinsamen Gesetzgebung Befremden erreg¬
ten, so schien Herr v. Varnbüler vollends jeden Zweifel über die Gesinnun¬
gen der Regierung beseitigen zu wollen, als er am Tag darauf, am 11. Dez.,
.seine geharnischte Rede gegen den norddeutschen Bund und gegen den Ein¬
tritt Würtembergs in denselben von Stapel ließ.

Den Anlaß bot die Debatte über das Budget des auswärtigen Depar¬
tements. Es handelte sich um den Gesandtschaftsposten in Florenz, der spä¬
ter mit großer Mehrheit von der Kammer als überflüssig vom Budget ge¬
strichen wurde. Holder hatte die nationalen Gründe gegen eine selbständige
diplomatische Action der kleinen Staaten hervorgehoben, daran erinnert, daß
nach den mit Preußen abgeschlossenen Verträgen eine selbständige auswärtige
Politik gar nicht mehr statthaft sei und die Hoffnung ausgedrückt, daß man
bald dem Ausland gegenüber eine gemeinsame deutsche Politik erhalten werde.
Er hatte in Form und Inhalt so gemäßigt wie möglich gesprochen. Nie¬
mand erwartete, daß eine so nachdrückliche Erklärung des Ministeriums
folgen werde, die den Eindruck machte, als ob sie, lange vorbereitet, nur
auf die erste beste Gelegenheit warte. Der Minister sprach im Tone eines
biedern würtembergischen Patriotismus, der sich durch den Gedanken, die
Selbständigkeit an ein größeres Ganzes zu verlieren, gekränkt und entrüstet
fühlt. Er begnügte sich nicht mit der Erklärung, daß Würtemberg mit
den Verträgen seine nationale Pflicht erfüllt habe und nicht der mindeste
Grund vorliege, über die vertragsmäßig festgestellten Grenzlinien hinauszu¬
gehen, sondern er machte sich auch an eine Kritik der Verfassung des nord¬
deutschen Bundes. Er rechnete vor, sein Publikum kennend, wie viele Millio¬
nen das Land nach dem Eintritt in den Bund mehr aufzubringen hätte, wie
die Militärlast um so und so viele Rekruten jährlich eine größere würde,
was man zu Marinezwecken beizusteuern hätte; er führte aus, daß die selb-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/28>, abgerufen am 24.08.2024.