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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Und dieselbe Feder, die in diesen dreijährigen Kämpfen fast nur in
Hohn und Haß und Zorn getaucht erscheint, die auf den "gnädigen Fürsten"
und den allmächtigen Minister alle Bitterkeiten eines empörten Gemüthes
häuft, wie weiß sie im Dienst derselben Sache anzuerkennen und zu loben!
So, wenn Junius an Lord Cambden schreibt, so, wenn er die Größe Lord
Chatams feiert und dann mit seinem Geschick abbrechend hinzufügt: "Ich bin
nicht geübt in der Sprache des Lobes. Dieser Lobspruch ist mir entrissen
worden, aber er wird ihm gut stehen, denn er wurde theuer erkauft."

Wer war Junius? Am 21. Januar 1769 wurde sein erster Brief ge¬
schrieben, vom 21. Januar 1772 datirt sein letzter. Wie ein Meteor war er
aufgetaucht, und ebenso verschwand er. Niemand hat ihn gekannt, Niemandem
hat er sich offenbart: "Ich bin der einzige Vertraute meines Geheimnisses,
und es soll mit mir begraben werden." "Gerade seine UnPersönlichkeit
ist es, die ich so sehr beklage", jammert Sir William Draper. Der Ausdruck
mag acceptirt werden: ein Unpersönliches ist uns Junius geworden. Bände
sind geschrieben worden über die räthselhafte Autorschaft. Aber gleichgültig
doch, wer der Verfasser ist, mag er Sir Philipp Francis oder-sonstwie heißen,
-- es ist die freie Presse selber, die aus den Junius-Briefen spricht. Und
der große Unbekannte hatte ein Recht zu schreiben: "Wenn einst Könige und
Minister vergessen sind, wenn die Kraft und Richtung persönlicher Satire
nicht mehr verstanden wird und die Maßregeln nur noch in ihren entferntesten
Folgen fühlbar sind, wird man, hoffe ich, in diesem Buche noch immer Prin¬
zipien finden, die werth sind auf die Nachwelt überzugehen."

Die Wahrheit dieser Worte hat sich längst erfüllt. Die Juniusbriefe
zählen zum klassischen Hausschatz der englischen Literatur, und mehr und mehr
hat die meisterhafte Uebertragung, die nun schon in dritter Auflage uns vor¬
liegt, dazu mitgewirkt, sie immer weiteren Kreisen in unserem Vaterlande zu¬
zuführen. Niemand, der am politischen Leben des Volkes regen Theil nimmt,
wird sie ohne Genuß, Niemand ohne Nutzen lesen. Sie enthalten goldene
Lehren für Negierende und Negierte. Sie warnen davor, die freie Stimme
der Volksvertretung zu verkümmern, da die Gewalt des Angriffs nur um so
bedrohlicher wird, je enger das Gebiet ist, worauf man ihn beschränkt. Sie
lehren, daß ein gesund gefügter Staat durch Opposition nicht zu Grunde geht,
sondern reiner und kräftiger aus den Kämpfen hervorwächst. Sie lehren aber
auch, daß selbst das Schärfste und Bielersee, wenn es von gründlicher Kenntniß
der Dinge getragen ist und seine Kraft aus der Sache selbst schöpft, sich
formvoll sagen läßt. Und sie bieten in trüber Zeit einen unerschöpflichen Trost:
wie Viele haben, als der Verfassungsconflict in Preußen die öffentlichen Ver¬
hältnisse vergiftete, zaghaft gemeint, daß kaum noch Rettung daraus zu finden;
und wir standen doch im Beginn unseres parlamentarischen Lebens! Das


Und dieselbe Feder, die in diesen dreijährigen Kämpfen fast nur in
Hohn und Haß und Zorn getaucht erscheint, die auf den „gnädigen Fürsten"
und den allmächtigen Minister alle Bitterkeiten eines empörten Gemüthes
häuft, wie weiß sie im Dienst derselben Sache anzuerkennen und zu loben!
So, wenn Junius an Lord Cambden schreibt, so, wenn er die Größe Lord
Chatams feiert und dann mit seinem Geschick abbrechend hinzufügt: „Ich bin
nicht geübt in der Sprache des Lobes. Dieser Lobspruch ist mir entrissen
worden, aber er wird ihm gut stehen, denn er wurde theuer erkauft."

Wer war Junius? Am 21. Januar 1769 wurde sein erster Brief ge¬
schrieben, vom 21. Januar 1772 datirt sein letzter. Wie ein Meteor war er
aufgetaucht, und ebenso verschwand er. Niemand hat ihn gekannt, Niemandem
hat er sich offenbart: „Ich bin der einzige Vertraute meines Geheimnisses,
und es soll mit mir begraben werden." „Gerade seine UnPersönlichkeit
ist es, die ich so sehr beklage", jammert Sir William Draper. Der Ausdruck
mag acceptirt werden: ein Unpersönliches ist uns Junius geworden. Bände
sind geschrieben worden über die räthselhafte Autorschaft. Aber gleichgültig
doch, wer der Verfasser ist, mag er Sir Philipp Francis oder-sonstwie heißen,
— es ist die freie Presse selber, die aus den Junius-Briefen spricht. Und
der große Unbekannte hatte ein Recht zu schreiben: „Wenn einst Könige und
Minister vergessen sind, wenn die Kraft und Richtung persönlicher Satire
nicht mehr verstanden wird und die Maßregeln nur noch in ihren entferntesten
Folgen fühlbar sind, wird man, hoffe ich, in diesem Buche noch immer Prin¬
zipien finden, die werth sind auf die Nachwelt überzugehen."

Die Wahrheit dieser Worte hat sich längst erfüllt. Die Juniusbriefe
zählen zum klassischen Hausschatz der englischen Literatur, und mehr und mehr
hat die meisterhafte Uebertragung, die nun schon in dritter Auflage uns vor¬
liegt, dazu mitgewirkt, sie immer weiteren Kreisen in unserem Vaterlande zu¬
zuführen. Niemand, der am politischen Leben des Volkes regen Theil nimmt,
wird sie ohne Genuß, Niemand ohne Nutzen lesen. Sie enthalten goldene
Lehren für Negierende und Negierte. Sie warnen davor, die freie Stimme
der Volksvertretung zu verkümmern, da die Gewalt des Angriffs nur um so
bedrohlicher wird, je enger das Gebiet ist, worauf man ihn beschränkt. Sie
lehren, daß ein gesund gefügter Staat durch Opposition nicht zu Grunde geht,
sondern reiner und kräftiger aus den Kämpfen hervorwächst. Sie lehren aber
auch, daß selbst das Schärfste und Bielersee, wenn es von gründlicher Kenntniß
der Dinge getragen ist und seine Kraft aus der Sache selbst schöpft, sich
formvoll sagen läßt. Und sie bieten in trüber Zeit einen unerschöpflichen Trost:
wie Viele haben, als der Verfassungsconflict in Preußen die öffentlichen Ver¬
hältnisse vergiftete, zaghaft gemeint, daß kaum noch Rettung daraus zu finden;
und wir standen doch im Beginn unseres parlamentarischen Lebens! Das


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[0278] Und dieselbe Feder, die in diesen dreijährigen Kämpfen fast nur in Hohn und Haß und Zorn getaucht erscheint, die auf den „gnädigen Fürsten" und den allmächtigen Minister alle Bitterkeiten eines empörten Gemüthes häuft, wie weiß sie im Dienst derselben Sache anzuerkennen und zu loben! So, wenn Junius an Lord Cambden schreibt, so, wenn er die Größe Lord Chatams feiert und dann mit seinem Geschick abbrechend hinzufügt: „Ich bin nicht geübt in der Sprache des Lobes. Dieser Lobspruch ist mir entrissen worden, aber er wird ihm gut stehen, denn er wurde theuer erkauft." Wer war Junius? Am 21. Januar 1769 wurde sein erster Brief ge¬ schrieben, vom 21. Januar 1772 datirt sein letzter. Wie ein Meteor war er aufgetaucht, und ebenso verschwand er. Niemand hat ihn gekannt, Niemandem hat er sich offenbart: „Ich bin der einzige Vertraute meines Geheimnisses, und es soll mit mir begraben werden." „Gerade seine UnPersönlichkeit ist es, die ich so sehr beklage", jammert Sir William Draper. Der Ausdruck mag acceptirt werden: ein Unpersönliches ist uns Junius geworden. Bände sind geschrieben worden über die räthselhafte Autorschaft. Aber gleichgültig doch, wer der Verfasser ist, mag er Sir Philipp Francis oder-sonstwie heißen, — es ist die freie Presse selber, die aus den Junius-Briefen spricht. Und der große Unbekannte hatte ein Recht zu schreiben: „Wenn einst Könige und Minister vergessen sind, wenn die Kraft und Richtung persönlicher Satire nicht mehr verstanden wird und die Maßregeln nur noch in ihren entferntesten Folgen fühlbar sind, wird man, hoffe ich, in diesem Buche noch immer Prin¬ zipien finden, die werth sind auf die Nachwelt überzugehen." Die Wahrheit dieser Worte hat sich längst erfüllt. Die Juniusbriefe zählen zum klassischen Hausschatz der englischen Literatur, und mehr und mehr hat die meisterhafte Uebertragung, die nun schon in dritter Auflage uns vor¬ liegt, dazu mitgewirkt, sie immer weiteren Kreisen in unserem Vaterlande zu¬ zuführen. Niemand, der am politischen Leben des Volkes regen Theil nimmt, wird sie ohne Genuß, Niemand ohne Nutzen lesen. Sie enthalten goldene Lehren für Negierende und Negierte. Sie warnen davor, die freie Stimme der Volksvertretung zu verkümmern, da die Gewalt des Angriffs nur um so bedrohlicher wird, je enger das Gebiet ist, worauf man ihn beschränkt. Sie lehren, daß ein gesund gefügter Staat durch Opposition nicht zu Grunde geht, sondern reiner und kräftiger aus den Kämpfen hervorwächst. Sie lehren aber auch, daß selbst das Schärfste und Bielersee, wenn es von gründlicher Kenntniß der Dinge getragen ist und seine Kraft aus der Sache selbst schöpft, sich formvoll sagen läßt. Und sie bieten in trüber Zeit einen unerschöpflichen Trost: wie Viele haben, als der Verfassungsconflict in Preußen die öffentlichen Ver¬ hältnisse vergiftete, zaghaft gemeint, daß kaum noch Rettung daraus zu finden; und wir standen doch im Beginn unseres parlamentarischen Lebens! Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/278>, abgerufen am 22.07.2024.