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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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An der wirklichen Existenz Guillems sowie an der historischen Treue
der alten Lebensnachricht in den wesentlichen Punkten ist übrigens ein Zweifel
durchaus nicht begründet. Ein Geschlecht der Cabstaing ist urkundlich nach¬
weisbar, und der erwähnte König von Aragon niemand anders, als der
vielgerühmte Dichter und Dichterfreund Alfons II., welcher von 1181 an die
Grafschaft Roussillon besaß. Dadurch wird zugleich der Zeitpunkt der Be¬
gebenheit als zwischen die Jahre 1181--1196 fallend, in welchem letzteren
Alfons starb, festgestellt. Schwierigkeiten, die aus geographischen Rücksichten
von älteren französischen Schriftstellern erhoben wurden, hat Diez glänzend
widerlegt.

Gegen die Annahme des Guillen als einer blos mythologischen Figur
würde schon die ausgedehnte Verbreitung seines Ruhmes unter den Zeitgenossen
sprechen. Außer den beiden mitgetheilten gibt es, wie Crescibeni erzählt,
noch eine dritte Biographie des Guillen in einer vaticanischen Handschrift.
Spätere Schriftsteller wissen viele schmückende Details anzugeben; die Lonlos
amourenx der ^carre ?Iore theilen sogar eine allerdings ziemlich geschmack-
und farblose Inschrift auf dem Grabstein der beiden Liebenden mit. Petrarca
erwähnt des Guillen de Cabstaing im Iriovto ä'amors unter den besten
provenzalischen Dichtern. Er stellt ihn mit dem Jaufre Rudel zusammen
dessen Tod im Dienste der Liebe ja auch deutsche Dichter verherrlicht haben,
und widmet beiden die Terzine: (Ziilnklö liuäel et'usu la vel^ e 'I i-czmo ete.

Historisch bedenklich ist in der Geschichte des Guillen nur der eigen¬
thümliche Umstand von einem gegessenen Herzen. Dieser selbe Zug findet
sich in mittelalterlichen Erzählungen mit verschiedenen Variationen häufig
wieder. Ich erinnere nur an die berühmte Geschichte Neynalds des Castellans
von Couch, worin ebenfalls das Herz des Liebhabers der Dame von Fajel
von ihrem beleidigten Gatten vorgesetzt wird. Auch er ist eine historisch
nachweisbare Persönlichkeit, und sein Tod bei der Belagerung von Aera um
1191 fällt der Zeit nach ungefähr mit dem Guillems zusammen. Der Prä¬
sident Fauchet, welcher in feinem 1S81 erschienenen R6euoil ac I'oijginv alö
la, lanKue et poeÄe ü-lmeaise die Erzählung vom Castellan von Coucy mit¬
theilt, bemerkt ausdrücklich, er wisse wohl, daß auch über einen provenzali¬
schen Trobador ein gleicher Bericht existire; "toute lois," fährt er fort,
vous puis ÄLSurer, que echte iustoire c>Le äans une Komas eliroMue, <mi
in'Äppgi'tiLnt öLcritv g.vaut 200 ans." -- Auch der deutsche Dichter Conrad
von Würzburg kannte diese Begebenheit und hat sie in seiner Erzählung
"Von der Minne" bearbeitet. In dem "la^s ä'lMimres" essen zwölf Damen
unwissender Weise das Herz des Helden und die 62te der "vento uovello
anticus" enthält denselben eigenthümlich grauenhaften Umstand. Die Ver¬
muthung liegt nahe, daß hier eine sagenhafte, vielleicht mythologisch-symbo-


An der wirklichen Existenz Guillems sowie an der historischen Treue
der alten Lebensnachricht in den wesentlichen Punkten ist übrigens ein Zweifel
durchaus nicht begründet. Ein Geschlecht der Cabstaing ist urkundlich nach¬
weisbar, und der erwähnte König von Aragon niemand anders, als der
vielgerühmte Dichter und Dichterfreund Alfons II., welcher von 1181 an die
Grafschaft Roussillon besaß. Dadurch wird zugleich der Zeitpunkt der Be¬
gebenheit als zwischen die Jahre 1181—1196 fallend, in welchem letzteren
Alfons starb, festgestellt. Schwierigkeiten, die aus geographischen Rücksichten
von älteren französischen Schriftstellern erhoben wurden, hat Diez glänzend
widerlegt.

Gegen die Annahme des Guillen als einer blos mythologischen Figur
würde schon die ausgedehnte Verbreitung seines Ruhmes unter den Zeitgenossen
sprechen. Außer den beiden mitgetheilten gibt es, wie Crescibeni erzählt,
noch eine dritte Biographie des Guillen in einer vaticanischen Handschrift.
Spätere Schriftsteller wissen viele schmückende Details anzugeben; die Lonlos
amourenx der ^carre ?Iore theilen sogar eine allerdings ziemlich geschmack-
und farblose Inschrift auf dem Grabstein der beiden Liebenden mit. Petrarca
erwähnt des Guillen de Cabstaing im Iriovto ä'amors unter den besten
provenzalischen Dichtern. Er stellt ihn mit dem Jaufre Rudel zusammen
dessen Tod im Dienste der Liebe ja auch deutsche Dichter verherrlicht haben,
und widmet beiden die Terzine: (Ziilnklö liuäel et'usu la vel^ e 'I i-czmo ete.

Historisch bedenklich ist in der Geschichte des Guillen nur der eigen¬
thümliche Umstand von einem gegessenen Herzen. Dieser selbe Zug findet
sich in mittelalterlichen Erzählungen mit verschiedenen Variationen häufig
wieder. Ich erinnere nur an die berühmte Geschichte Neynalds des Castellans
von Couch, worin ebenfalls das Herz des Liebhabers der Dame von Fajel
von ihrem beleidigten Gatten vorgesetzt wird. Auch er ist eine historisch
nachweisbare Persönlichkeit, und sein Tod bei der Belagerung von Aera um
1191 fällt der Zeit nach ungefähr mit dem Guillems zusammen. Der Prä¬
sident Fauchet, welcher in feinem 1S81 erschienenen R6euoil ac I'oijginv alö
la, lanKue et poeÄe ü-lmeaise die Erzählung vom Castellan von Coucy mit¬
theilt, bemerkt ausdrücklich, er wisse wohl, daß auch über einen provenzali¬
schen Trobador ein gleicher Bericht existire; „toute lois," fährt er fort,
vous puis ÄLSurer, que echte iustoire c>Le äans une Komas eliroMue, <mi
in'Äppgi'tiLnt öLcritv g.vaut 200 ans." — Auch der deutsche Dichter Conrad
von Würzburg kannte diese Begebenheit und hat sie in seiner Erzählung
„Von der Minne" bearbeitet. In dem „la^s ä'lMimres" essen zwölf Damen
unwissender Weise das Herz des Helden und die 62te der „vento uovello
anticus" enthält denselben eigenthümlich grauenhaften Umstand. Die Ver¬
muthung liegt nahe, daß hier eine sagenhafte, vielleicht mythologisch-symbo-


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[0268] An der wirklichen Existenz Guillems sowie an der historischen Treue der alten Lebensnachricht in den wesentlichen Punkten ist übrigens ein Zweifel durchaus nicht begründet. Ein Geschlecht der Cabstaing ist urkundlich nach¬ weisbar, und der erwähnte König von Aragon niemand anders, als der vielgerühmte Dichter und Dichterfreund Alfons II., welcher von 1181 an die Grafschaft Roussillon besaß. Dadurch wird zugleich der Zeitpunkt der Be¬ gebenheit als zwischen die Jahre 1181—1196 fallend, in welchem letzteren Alfons starb, festgestellt. Schwierigkeiten, die aus geographischen Rücksichten von älteren französischen Schriftstellern erhoben wurden, hat Diez glänzend widerlegt. Gegen die Annahme des Guillen als einer blos mythologischen Figur würde schon die ausgedehnte Verbreitung seines Ruhmes unter den Zeitgenossen sprechen. Außer den beiden mitgetheilten gibt es, wie Crescibeni erzählt, noch eine dritte Biographie des Guillen in einer vaticanischen Handschrift. Spätere Schriftsteller wissen viele schmückende Details anzugeben; die Lonlos amourenx der ^carre ?Iore theilen sogar eine allerdings ziemlich geschmack- und farblose Inschrift auf dem Grabstein der beiden Liebenden mit. Petrarca erwähnt des Guillen de Cabstaing im Iriovto ä'amors unter den besten provenzalischen Dichtern. Er stellt ihn mit dem Jaufre Rudel zusammen dessen Tod im Dienste der Liebe ja auch deutsche Dichter verherrlicht haben, und widmet beiden die Terzine: (Ziilnklö liuäel et'usu la vel^ e 'I i-czmo ete. Historisch bedenklich ist in der Geschichte des Guillen nur der eigen¬ thümliche Umstand von einem gegessenen Herzen. Dieser selbe Zug findet sich in mittelalterlichen Erzählungen mit verschiedenen Variationen häufig wieder. Ich erinnere nur an die berühmte Geschichte Neynalds des Castellans von Couch, worin ebenfalls das Herz des Liebhabers der Dame von Fajel von ihrem beleidigten Gatten vorgesetzt wird. Auch er ist eine historisch nachweisbare Persönlichkeit, und sein Tod bei der Belagerung von Aera um 1191 fällt der Zeit nach ungefähr mit dem Guillems zusammen. Der Prä¬ sident Fauchet, welcher in feinem 1S81 erschienenen R6euoil ac I'oijginv alö la, lanKue et poeÄe ü-lmeaise die Erzählung vom Castellan von Coucy mit¬ theilt, bemerkt ausdrücklich, er wisse wohl, daß auch über einen provenzali¬ schen Trobador ein gleicher Bericht existire; „toute lois," fährt er fort, vous puis ÄLSurer, que echte iustoire c>Le äans une Komas eliroMue, <mi in'Äppgi'tiLnt öLcritv g.vaut 200 ans." — Auch der deutsche Dichter Conrad von Würzburg kannte diese Begebenheit und hat sie in seiner Erzählung „Von der Minne" bearbeitet. In dem „la^s ä'lMimres" essen zwölf Damen unwissender Weise das Herz des Helden und die 62te der „vento uovello anticus" enthält denselben eigenthümlich grauenhaften Umstand. Die Ver¬ muthung liegt nahe, daß hier eine sagenhafte, vielleicht mythologisch-symbo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/268>, abgerufen am 22.07.2024.