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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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und des Herzens kommen in den wohllautenden Strophen ihrer Canzonen
und Sirventese zur Geltung. In dem wildesten Schlachtenlärm klingt die
leise Klage sehnsuchtsvoller Liebe und wieder tönt das melodische Lachen des
pfiffigen Schalks und Mädchenbetrügers. Die Poesie wurzelte eben in der
lebhaftesten Theilnahme aller Gebildeten, und der geschickte Sänger konnte
stets aufmerksamer Zuhörer und des ehrendsten Beifalls gewiß sein. Das
belohnende Lächeln schöner Frauen ließ auch die Vornehmsten nach der
Blume der Dichtung ringen. Mächtige Fürsten, wie König Alfons II. von
Aragon und vor allem Richard Löwenherz, verschmähten nicht, als Trobadors
sich mit dem geringsten Ritter in die Reihe zu stellen, während auf der an¬
dern Seite niedere Geburt dem Genius die Bahn zum höchsten Ruhme nicht
verschloß. War doch Markabrun ein heimatloser Findling und Bernard
von Ventadour, vielleicht der berühmteste aller Trobadors, der Sohn eines
Ofenhcizers.

Auf die Gründe des allmählichen Verstummens dieser reichen Sangeswelt
näher einzugehen, würde die Grenzen meines Aufsatzes weit überschreiten. Mit
dem Ende des 13. Jahrhunderts verschwindet ihre Spur aus der Geschichte;
die Sprache sank zum Dialect herab. Der letzte Trobador, welcher noch ein¬
mal die erloschene Flamme der Begeisterung wieder anzufachen versuchte, ein
begabter und kunstsinniger Dichter, war Guiraut Riquier. Sein Todesjahr
und zugleich das der provenzalischen Minnedichtung war das Jahr 1294.
Seine Bestrebungen scheiterten an der allgemeinen Erschöpfung der Geister
nach den gewaltigen Stürmen der Albigenserkriege, sowie an dem immer
mächtiger werdenden Vordringen des nordfranzösischen Elementes. Erst nach
Jahrhunderten brachten forschende Gelehrte von den vergessenen Denkmälern
einer dichterisch und menschlich reichbewegter Zeit erneute Kunde.

In die volle Blütezeit der geschilderten Dichtungsepoche, in das Ende
des 12. Jahrhunderts Me das Leben und Dichten des Trobadors Guillen
de Cabstaing, bei dessen Charakteristik wir etwas länger verweilen möch¬
ten. Wenn wir früher den Grasen Wilhelm als leichtfertigen Lebemann
und höchst unzuverlässigen Liebhaber kennen lernten, so erscheint dagegen dieser
andere Wilhelm als ein leuchtendes Beispiel unwandelbarer Treue im
Leben, Dichten und -- Sterben. -- Ich erzähle von seinen Schicksalen in
möglichst getreuem Anschluß an die alte Lebensnachricht, wie sie uns in der
Laurenzianischen Handschrift erhalten ist.

"Raimon von Noussillon war ein tapferer Baron, wie bekannt, und
hatte zur Gattin die Dame Margarita, die schönste Frau jener Zeit und am
meisten gepriesen wegen aller vortrefflichen Eigenschaften und wegen ihrer guten
und feinen Sitten. Und es kam, daß Guillen de Cabstaing, der Sohn
eines armen Ritters von dem Schlosse Cabstaing, an den Hof Raimons von


und des Herzens kommen in den wohllautenden Strophen ihrer Canzonen
und Sirventese zur Geltung. In dem wildesten Schlachtenlärm klingt die
leise Klage sehnsuchtsvoller Liebe und wieder tönt das melodische Lachen des
pfiffigen Schalks und Mädchenbetrügers. Die Poesie wurzelte eben in der
lebhaftesten Theilnahme aller Gebildeten, und der geschickte Sänger konnte
stets aufmerksamer Zuhörer und des ehrendsten Beifalls gewiß sein. Das
belohnende Lächeln schöner Frauen ließ auch die Vornehmsten nach der
Blume der Dichtung ringen. Mächtige Fürsten, wie König Alfons II. von
Aragon und vor allem Richard Löwenherz, verschmähten nicht, als Trobadors
sich mit dem geringsten Ritter in die Reihe zu stellen, während auf der an¬
dern Seite niedere Geburt dem Genius die Bahn zum höchsten Ruhme nicht
verschloß. War doch Markabrun ein heimatloser Findling und Bernard
von Ventadour, vielleicht der berühmteste aller Trobadors, der Sohn eines
Ofenhcizers.

Auf die Gründe des allmählichen Verstummens dieser reichen Sangeswelt
näher einzugehen, würde die Grenzen meines Aufsatzes weit überschreiten. Mit
dem Ende des 13. Jahrhunderts verschwindet ihre Spur aus der Geschichte;
die Sprache sank zum Dialect herab. Der letzte Trobador, welcher noch ein¬
mal die erloschene Flamme der Begeisterung wieder anzufachen versuchte, ein
begabter und kunstsinniger Dichter, war Guiraut Riquier. Sein Todesjahr
und zugleich das der provenzalischen Minnedichtung war das Jahr 1294.
Seine Bestrebungen scheiterten an der allgemeinen Erschöpfung der Geister
nach den gewaltigen Stürmen der Albigenserkriege, sowie an dem immer
mächtiger werdenden Vordringen des nordfranzösischen Elementes. Erst nach
Jahrhunderten brachten forschende Gelehrte von den vergessenen Denkmälern
einer dichterisch und menschlich reichbewegter Zeit erneute Kunde.

In die volle Blütezeit der geschilderten Dichtungsepoche, in das Ende
des 12. Jahrhunderts Me das Leben und Dichten des Trobadors Guillen
de Cabstaing, bei dessen Charakteristik wir etwas länger verweilen möch¬
ten. Wenn wir früher den Grasen Wilhelm als leichtfertigen Lebemann
und höchst unzuverlässigen Liebhaber kennen lernten, so erscheint dagegen dieser
andere Wilhelm als ein leuchtendes Beispiel unwandelbarer Treue im
Leben, Dichten und — Sterben. — Ich erzähle von seinen Schicksalen in
möglichst getreuem Anschluß an die alte Lebensnachricht, wie sie uns in der
Laurenzianischen Handschrift erhalten ist.

„Raimon von Noussillon war ein tapferer Baron, wie bekannt, und
hatte zur Gattin die Dame Margarita, die schönste Frau jener Zeit und am
meisten gepriesen wegen aller vortrefflichen Eigenschaften und wegen ihrer guten
und feinen Sitten. Und es kam, daß Guillen de Cabstaing, der Sohn
eines armen Ritters von dem Schlosse Cabstaing, an den Hof Raimons von


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[0262] und des Herzens kommen in den wohllautenden Strophen ihrer Canzonen und Sirventese zur Geltung. In dem wildesten Schlachtenlärm klingt die leise Klage sehnsuchtsvoller Liebe und wieder tönt das melodische Lachen des pfiffigen Schalks und Mädchenbetrügers. Die Poesie wurzelte eben in der lebhaftesten Theilnahme aller Gebildeten, und der geschickte Sänger konnte stets aufmerksamer Zuhörer und des ehrendsten Beifalls gewiß sein. Das belohnende Lächeln schöner Frauen ließ auch die Vornehmsten nach der Blume der Dichtung ringen. Mächtige Fürsten, wie König Alfons II. von Aragon und vor allem Richard Löwenherz, verschmähten nicht, als Trobadors sich mit dem geringsten Ritter in die Reihe zu stellen, während auf der an¬ dern Seite niedere Geburt dem Genius die Bahn zum höchsten Ruhme nicht verschloß. War doch Markabrun ein heimatloser Findling und Bernard von Ventadour, vielleicht der berühmteste aller Trobadors, der Sohn eines Ofenhcizers. Auf die Gründe des allmählichen Verstummens dieser reichen Sangeswelt näher einzugehen, würde die Grenzen meines Aufsatzes weit überschreiten. Mit dem Ende des 13. Jahrhunderts verschwindet ihre Spur aus der Geschichte; die Sprache sank zum Dialect herab. Der letzte Trobador, welcher noch ein¬ mal die erloschene Flamme der Begeisterung wieder anzufachen versuchte, ein begabter und kunstsinniger Dichter, war Guiraut Riquier. Sein Todesjahr und zugleich das der provenzalischen Minnedichtung war das Jahr 1294. Seine Bestrebungen scheiterten an der allgemeinen Erschöpfung der Geister nach den gewaltigen Stürmen der Albigenserkriege, sowie an dem immer mächtiger werdenden Vordringen des nordfranzösischen Elementes. Erst nach Jahrhunderten brachten forschende Gelehrte von den vergessenen Denkmälern einer dichterisch und menschlich reichbewegter Zeit erneute Kunde. In die volle Blütezeit der geschilderten Dichtungsepoche, in das Ende des 12. Jahrhunderts Me das Leben und Dichten des Trobadors Guillen de Cabstaing, bei dessen Charakteristik wir etwas länger verweilen möch¬ ten. Wenn wir früher den Grasen Wilhelm als leichtfertigen Lebemann und höchst unzuverlässigen Liebhaber kennen lernten, so erscheint dagegen dieser andere Wilhelm als ein leuchtendes Beispiel unwandelbarer Treue im Leben, Dichten und — Sterben. — Ich erzähle von seinen Schicksalen in möglichst getreuem Anschluß an die alte Lebensnachricht, wie sie uns in der Laurenzianischen Handschrift erhalten ist. „Raimon von Noussillon war ein tapferer Baron, wie bekannt, und hatte zur Gattin die Dame Margarita, die schönste Frau jener Zeit und am meisten gepriesen wegen aller vortrefflichen Eigenschaften und wegen ihrer guten und feinen Sitten. Und es kam, daß Guillen de Cabstaing, der Sohn eines armen Ritters von dem Schlosse Cabstaing, an den Hof Raimons von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/262>, abgerufen am 24.08.2024.