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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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den zweiten Reichstagswahlen erlassene Aufruf des berliner Ausschusses der
nationalliberalen Partei hatte zu Betrachtungen über die Verschiedenheit inner¬
halb der Partei Veranlassung gegeben, und nur die Natur der auf dieser Ver¬
sammlung verhandelten Gegenstände hatte es mit sich gebracht, daß die Einheit
der Fraction damals ungestört blieb. Aehnlich verhielt es sich während der
ersten Wochen der Landtagssession. Aber schon im November machte sichs
geltend, daß die Partei der wichtigsten von allen vorliegenden Fragen ohne
festes Programm entgegengegangen war und daß die Feststellung dieses
Programms, wenn die Fraction anders beisammen bleiben sollte, nicht mög¬
lich sei. Diese Frage, die trotz ihrer eminenten Wichtigkeit als eine offene
behandelt worden war, war die nach der Organisation der neuen Landes¬
theile, nach dem Verhältniß, in welchem die neuen Provinzen zu den alten
stehen sollten.

Nur aus dem eigenthümlichen Verhältniß, in welchem unsere Presse von
Alters her zu dem öffentlichen Leben und seinen Parteien gestanden, ist zu
erklären, daß die im Schooß der nationalliberalen Partei herrschenden Ver¬
schiedenheiten nicht schon früher Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit
geworden und daß man die Abwesenheit eines nationalliberalen Programms
über das Verhältniß der neuen zu den alten Provinzen wie eine selbstver¬
ständliche Thatsache hingenommen hat. Die oberflächlichste Lecture der Zeitun¬
gen, welche für Organe unserer Partei gelten, mußte zu der Ueberzeugung
führen, daß es derselben ebenso an einheitlicher Leitung wie an der gehöri¬
gen Klarheit über die Punkte gebrach, auf welche es für die inneren
Preußischen Fragen wesentlich ankam. Es läßt sich darüber streiten, inwie¬
weit von der Parteipresse Unterordnung unter die Ansichten und Beschlüsse der
Parlamentarischen Fractionsmajorität gefordert werden kann: zweifellos aber
möchte sein, daß Uebereinstimmung in Cardinalsragen ebenso unentbehrlich ist,
wie das Zusammenwirken bezüglich der Popularisirung und allseitigen Er¬
örterung der Gegenstände, um welche es sich in erster Reihe handelt. An
diesen beiden Erfordernissen zu erfolgreicher politischer Action hat es fast voll¬
ständig gefehlt: gerade die berliner Blätter, welche den Verhandlungen der
Natur der Sache nach am Nächsten stehen, zum Theil durch die national-
liberale Correspondenz direct aus dem Schooß der Fraction versorgt werden,
sind über die Organisationsfragen und über die Rolle, welche dieselben inner¬
halb der Partei spielen, gleich schweigsam wie über andere Dinge beredt ge¬
wesen und haben die zerstörenden Wirkungen, welche die Entscheidung über
den Provinzialfonds ausübte, zu einer Ueberraschung für ihre Leser werden
lassen. Damit hängt zusammen, daß auch dem andern Erfordernis) erträg¬
lichen Parteizusammenhangs, der Uebereinstimmung in den Hauptpunkten,
seitens der Presse nur sehr mäßige, um nicht zu sagen mangelhafte Rech-


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den zweiten Reichstagswahlen erlassene Aufruf des berliner Ausschusses der
nationalliberalen Partei hatte zu Betrachtungen über die Verschiedenheit inner¬
halb der Partei Veranlassung gegeben, und nur die Natur der auf dieser Ver¬
sammlung verhandelten Gegenstände hatte es mit sich gebracht, daß die Einheit
der Fraction damals ungestört blieb. Aehnlich verhielt es sich während der
ersten Wochen der Landtagssession. Aber schon im November machte sichs
geltend, daß die Partei der wichtigsten von allen vorliegenden Fragen ohne
festes Programm entgegengegangen war und daß die Feststellung dieses
Programms, wenn die Fraction anders beisammen bleiben sollte, nicht mög¬
lich sei. Diese Frage, die trotz ihrer eminenten Wichtigkeit als eine offene
behandelt worden war, war die nach der Organisation der neuen Landes¬
theile, nach dem Verhältniß, in welchem die neuen Provinzen zu den alten
stehen sollten.

Nur aus dem eigenthümlichen Verhältniß, in welchem unsere Presse von
Alters her zu dem öffentlichen Leben und seinen Parteien gestanden, ist zu
erklären, daß die im Schooß der nationalliberalen Partei herrschenden Ver¬
schiedenheiten nicht schon früher Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit
geworden und daß man die Abwesenheit eines nationalliberalen Programms
über das Verhältniß der neuen zu den alten Provinzen wie eine selbstver¬
ständliche Thatsache hingenommen hat. Die oberflächlichste Lecture der Zeitun¬
gen, welche für Organe unserer Partei gelten, mußte zu der Ueberzeugung
führen, daß es derselben ebenso an einheitlicher Leitung wie an der gehöri¬
gen Klarheit über die Punkte gebrach, auf welche es für die inneren
Preußischen Fragen wesentlich ankam. Es läßt sich darüber streiten, inwie¬
weit von der Parteipresse Unterordnung unter die Ansichten und Beschlüsse der
Parlamentarischen Fractionsmajorität gefordert werden kann: zweifellos aber
möchte sein, daß Uebereinstimmung in Cardinalsragen ebenso unentbehrlich ist,
wie das Zusammenwirken bezüglich der Popularisirung und allseitigen Er¬
örterung der Gegenstände, um welche es sich in erster Reihe handelt. An
diesen beiden Erfordernissen zu erfolgreicher politischer Action hat es fast voll¬
ständig gefehlt: gerade die berliner Blätter, welche den Verhandlungen der
Natur der Sache nach am Nächsten stehen, zum Theil durch die national-
liberale Correspondenz direct aus dem Schooß der Fraction versorgt werden,
sind über die Organisationsfragen und über die Rolle, welche dieselben inner¬
halb der Partei spielen, gleich schweigsam wie über andere Dinge beredt ge¬
wesen und haben die zerstörenden Wirkungen, welche die Entscheidung über
den Provinzialfonds ausübte, zu einer Ueberraschung für ihre Leser werden
lassen. Damit hängt zusammen, daß auch dem andern Erfordernis) erträg¬
lichen Parteizusammenhangs, der Uebereinstimmung in den Hauptpunkten,
seitens der Presse nur sehr mäßige, um nicht zu sagen mangelhafte Rech-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/251>, abgerufen am 22.07.2024.