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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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legung des fraglichen Gesetzes zweifelhaft ist, ob eine Verletzung desselben statt¬
gefunden hat. Ist dies aber nicht zweifelhaft, so scheint es uns einigermaßen
bedenklich, dem Staatsgerichtshof eine so hohe politische Competenz zuzu¬
gestehen, welche ihn in Conflict mit dem Verdict der Landesvertretung bringen
würde. Diese letztere wird offenbar geneigt sein, Indemnität eintreten zu
lassen, falls der Minister evident im Interesse des Landes nur dem Wortlaut
des Gesetzes zuwidergehandelt hat. Will die Landesvertretung aber die In-
demnität nicht gewähren, so scheint es uns bedenklich, den Staatsgerichtshof
M ermächtigen, eine solche aus politischen Zweckmäßigkeitsgründen auszu¬
sprechen, zumal ihm ja immer noch der Ausweg bleibt, die mildere Strafe der
bloßen Amtsentlassung zu erkennen. Daß ein Minister, der dem Gesetze zu¬
widerhandelt, sich dieser Eventualität aussetze, scheint uns nicht zu viel
verlangt.

Ebenso vermögen wir Rößler nicht ohne weiteres beizustimmen, wenn
er die Civilklage durchaus von der Ministerverantwortlichkeit ausschließen
will. Allerdings werden nicht etwa Verluste zu verfolgen sein. welche durch
Ministerielle Politik und Geschäftsführung dem Staate mittelbar erwachsen,
aber wohl solche Verluste, welche aus geradezu gesetzwidrigen Handlungen,
sür welche keine Indemnität ertheilt ist, hervorgehen. Man nehme an, daß
ein Minister gegen den erklärten Willen der Landesvertretung einen Krieg
Mit den verfügbaren Mitteln beginnt: endet er glücklich, so erhält er wahr¬
scheinlich die Indemnität, wie aber, wenn der Krieg einen unglücklichen Aus-
gang nimmt? soll es einem Minister freistehen, das Land in ungeheure ma¬
terielle Verluste zu bringen und selbst nichts für sein Vermögen zu fürchten
ZU haben? Man mag immerhin anführen, daß jedes Privatvermögen gering-
fügig im Vergleich mit den in Frage kommenden Summen sei, uns scheint
es eine Forderung der Gerechtigkeit, daß die Strafe sich in diesem Falle
nicht auf persönliche Ahndung beschränke, sondern auch auf das Vermögen
ausgedehnt werde. Wir sind überzeugt, daß die Furcht vor einer solchen
Civilverantwortlichkeit oft heilsamer wirken würde, als die Furcht vor
peinlichen Strafen, welche als äußerstes Mittel nicht leicht angewendet
werden. --

Selbstverständlich darf der Souverän sowenig durch mündlichen oder
schriftlichen Befehl einen Minister der Verantwortlichkeit entziehen, als einen
^urtheilten Minister begnadigen, es sei denn auf Verlangen des Hauses,
von dem die Anklage ausgegangen. Rößler will diese Beschränkung der
königlichen Prärogative nur soweit gelten lassen. als sie die Unfähigkeits¬
erklärung betrifft, weil es der Autorität des Souveräns widerspreche, positive
Strafen in irgend einem Falle nicht mildern zu dürfen und meint, die Kö¬
nige von England hätten das so begrenzte Begnadigungsrecht stets besessen.
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legung des fraglichen Gesetzes zweifelhaft ist, ob eine Verletzung desselben statt¬
gefunden hat. Ist dies aber nicht zweifelhaft, so scheint es uns einigermaßen
bedenklich, dem Staatsgerichtshof eine so hohe politische Competenz zuzu¬
gestehen, welche ihn in Conflict mit dem Verdict der Landesvertretung bringen
würde. Diese letztere wird offenbar geneigt sein, Indemnität eintreten zu
lassen, falls der Minister evident im Interesse des Landes nur dem Wortlaut
des Gesetzes zuwidergehandelt hat. Will die Landesvertretung aber die In-
demnität nicht gewähren, so scheint es uns bedenklich, den Staatsgerichtshof
M ermächtigen, eine solche aus politischen Zweckmäßigkeitsgründen auszu¬
sprechen, zumal ihm ja immer noch der Ausweg bleibt, die mildere Strafe der
bloßen Amtsentlassung zu erkennen. Daß ein Minister, der dem Gesetze zu¬
widerhandelt, sich dieser Eventualität aussetze, scheint uns nicht zu viel
verlangt.

Ebenso vermögen wir Rößler nicht ohne weiteres beizustimmen, wenn
er die Civilklage durchaus von der Ministerverantwortlichkeit ausschließen
will. Allerdings werden nicht etwa Verluste zu verfolgen sein. welche durch
Ministerielle Politik und Geschäftsführung dem Staate mittelbar erwachsen,
aber wohl solche Verluste, welche aus geradezu gesetzwidrigen Handlungen,
sür welche keine Indemnität ertheilt ist, hervorgehen. Man nehme an, daß
ein Minister gegen den erklärten Willen der Landesvertretung einen Krieg
Mit den verfügbaren Mitteln beginnt: endet er glücklich, so erhält er wahr¬
scheinlich die Indemnität, wie aber, wenn der Krieg einen unglücklichen Aus-
gang nimmt? soll es einem Minister freistehen, das Land in ungeheure ma¬
terielle Verluste zu bringen und selbst nichts für sein Vermögen zu fürchten
ZU haben? Man mag immerhin anführen, daß jedes Privatvermögen gering-
fügig im Vergleich mit den in Frage kommenden Summen sei, uns scheint
es eine Forderung der Gerechtigkeit, daß die Strafe sich in diesem Falle
nicht auf persönliche Ahndung beschränke, sondern auch auf das Vermögen
ausgedehnt werde. Wir sind überzeugt, daß die Furcht vor einer solchen
Civilverantwortlichkeit oft heilsamer wirken würde, als die Furcht vor
peinlichen Strafen, welche als äußerstes Mittel nicht leicht angewendet
werden. —

Selbstverständlich darf der Souverän sowenig durch mündlichen oder
schriftlichen Befehl einen Minister der Verantwortlichkeit entziehen, als einen
^urtheilten Minister begnadigen, es sei denn auf Verlangen des Hauses,
von dem die Anklage ausgegangen. Rößler will diese Beschränkung der
königlichen Prärogative nur soweit gelten lassen. als sie die Unfähigkeits¬
erklärung betrifft, weil es der Autorität des Souveräns widerspreche, positive
Strafen in irgend einem Falle nicht mildern zu dürfen und meint, die Kö¬
nige von England hätten das so begrenzte Begnadigungsrecht stets besessen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/243>, abgerufen am 22.07.2024.