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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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glaubt ausführen zu können, denen sie in dem gedachten Rescript den Vor¬
wurf macht, daß ihre Auffassung den Bedürfnissen des Landes nicht entspreche.
Gleichfalls der Beachtung werth ist die in dem großherzoglichen Rescript aus¬
gesprochene Absicht, die mecklenburgischen Staatsangehörigen vor einer Zu¬
rückstellung gegen die übrige Bundesbevölkerung zu bewahren; aber man
begreift auch hier wieder nicht, warum diese Fürsorge sich auf ein einzelnes
Gebiet beschränkt, während nach dem Willen der Regierung die Mecklenburger
auf so vielen anderen Gebieten an staatsbürgerlichen Rechten und Freiheiten
weit hinter allen übrigen Bundesangehörigen zurückstehen. Es wäre frucht¬
bar für die Negierung selbst, noch mehr aber für die mecklenburgische Bevöl¬
kerung selbst, wenn mit dem hier proclamirten Prinzip der staatsbürgerlichen
Gleichstellung mit den übrigen Bundesangehörigen einmal wirklicher Ernst ge¬
macht würde.

So lange die Regierung in ihrer jetzigen Haltung beharrt und es als
ihre Aufgabe ansieht, den Feudalismus gegen die Einwirkungen des moder¬
nen Staatswesens bestmöglichst zu schützen, wird sie auch in denjenigen Ver-'
Hältnissen, welche von der Bundesgesetzgebung zur Zeit noch weniger nahe
berührt worden, mit ihren Verbesserungsversuchen keinen Erfolg haben.

Dies zeigt sich unter Anderem bei den Bemühungen, welche sie seit
mehreren Jahren einer Reform des Schulwesens auf den ritterschaftlichen
Gütern zuwendet. Die ritterschaftlichen Schullehrer haben bis jetzt auf vielen
Gütern noch nicht das Einkommen eines Tagelöhners, ihr Bildungsstand ist,
wie hiernach zu erwarten, ein sehr niedriger, ihre Stellung wegen des guts¬
herrlichen Kündigungsrechts eine sehr abhängige und ihre Leistungen machen
sich dadurch 'bemerkbar, daß von den Recruten aus dem Ritterschaftlichen
nach einem zehnjährigen Durchschnitt 17 Proc. nicht lesen, 34 Proc. nicht
schreiben und 47 Proc. nicht rechnen können und daß resp. 68, 40 und
43 Proc. diese drei Fertigkeiten nur mangelhaft sich angeeignet haben,
sodaß, wenn gut lesen, gut schreiben und gut rechnen als das Minimum
elementarer Schulbildung gelten darf, im Ritterschaftlichen durchschnittlich
nur 6 Proc. eine solche aufzuweisen haben, während 65 Proc. eine mangel¬
hafte und 39 Proc. gar keine Schulbildung besitzen. Die Vorschläge der
Regierung gingen nun hauptsächlich dahin, die Ritterschaft zur Feststellung
eines höheren Minimum des Einkommens der Lehrer als des im Jahre 1821
vereinbarten, ferner für die Errichtung eines ritterschaftlichen Schullehrer¬
seminars und für die Aufhebung der gutsherrlichen Kündigungsbefugniß zu
gewinnen. Nur der erste Punkt wurde mit Mühe erreicht, indem das Mi¬
nimum des Einkommens auf 26 Scheffel Roggen, 16 Scheffel Gerste, 4
Scheffel Hafer und 4 Scheffel Erbsen (kleinen Maßes, wovon ein Scheffel
gleich °/i preußischer Scheffel), auf 30 Thlr. jährlichen Gehalts und 1 Thlr.


glaubt ausführen zu können, denen sie in dem gedachten Rescript den Vor¬
wurf macht, daß ihre Auffassung den Bedürfnissen des Landes nicht entspreche.
Gleichfalls der Beachtung werth ist die in dem großherzoglichen Rescript aus¬
gesprochene Absicht, die mecklenburgischen Staatsangehörigen vor einer Zu¬
rückstellung gegen die übrige Bundesbevölkerung zu bewahren; aber man
begreift auch hier wieder nicht, warum diese Fürsorge sich auf ein einzelnes
Gebiet beschränkt, während nach dem Willen der Regierung die Mecklenburger
auf so vielen anderen Gebieten an staatsbürgerlichen Rechten und Freiheiten
weit hinter allen übrigen Bundesangehörigen zurückstehen. Es wäre frucht¬
bar für die Negierung selbst, noch mehr aber für die mecklenburgische Bevöl¬
kerung selbst, wenn mit dem hier proclamirten Prinzip der staatsbürgerlichen
Gleichstellung mit den übrigen Bundesangehörigen einmal wirklicher Ernst ge¬
macht würde.

So lange die Regierung in ihrer jetzigen Haltung beharrt und es als
ihre Aufgabe ansieht, den Feudalismus gegen die Einwirkungen des moder¬
nen Staatswesens bestmöglichst zu schützen, wird sie auch in denjenigen Ver-'
Hältnissen, welche von der Bundesgesetzgebung zur Zeit noch weniger nahe
berührt worden, mit ihren Verbesserungsversuchen keinen Erfolg haben.

Dies zeigt sich unter Anderem bei den Bemühungen, welche sie seit
mehreren Jahren einer Reform des Schulwesens auf den ritterschaftlichen
Gütern zuwendet. Die ritterschaftlichen Schullehrer haben bis jetzt auf vielen
Gütern noch nicht das Einkommen eines Tagelöhners, ihr Bildungsstand ist,
wie hiernach zu erwarten, ein sehr niedriger, ihre Stellung wegen des guts¬
herrlichen Kündigungsrechts eine sehr abhängige und ihre Leistungen machen
sich dadurch 'bemerkbar, daß von den Recruten aus dem Ritterschaftlichen
nach einem zehnjährigen Durchschnitt 17 Proc. nicht lesen, 34 Proc. nicht
schreiben und 47 Proc. nicht rechnen können und daß resp. 68, 40 und
43 Proc. diese drei Fertigkeiten nur mangelhaft sich angeeignet haben,
sodaß, wenn gut lesen, gut schreiben und gut rechnen als das Minimum
elementarer Schulbildung gelten darf, im Ritterschaftlichen durchschnittlich
nur 6 Proc. eine solche aufzuweisen haben, während 65 Proc. eine mangel¬
hafte und 39 Proc. gar keine Schulbildung besitzen. Die Vorschläge der
Regierung gingen nun hauptsächlich dahin, die Ritterschaft zur Feststellung
eines höheren Minimum des Einkommens der Lehrer als des im Jahre 1821
vereinbarten, ferner für die Errichtung eines ritterschaftlichen Schullehrer¬
seminars und für die Aufhebung der gutsherrlichen Kündigungsbefugniß zu
gewinnen. Nur der erste Punkt wurde mit Mühe erreicht, indem das Mi¬
nimum des Einkommens auf 26 Scheffel Roggen, 16 Scheffel Gerste, 4
Scheffel Hafer und 4 Scheffel Erbsen (kleinen Maßes, wovon ein Scheffel
gleich °/i preußischer Scheffel), auf 30 Thlr. jährlichen Gehalts und 1 Thlr.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/197>, abgerufen am 22.07.2024.