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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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hinausgehen sollten. -- Hieran wird auch durch die großartige Finanzopera¬
tion nichts geändert, welche, einer beiläufigen Mittheilung an den Landtag
zufolge, der Großherzog mit einem wesentlichen Theile seines Domanium
projectirt und welche bestimmt ist, theils den Zufluß beträchtlicher Capitalien,
theils große Ersparungen an Verwaltungskosten zu bewirken. Es handelt
sich dabei um eine allgemeine und sofort in Angriff zu nehmende Vererb -
Pachtung der bisher im Zeitpachtverhältniß bewirthschafteten Bauerstellen,
deren Zahl noch ungefähr 4000 beträgt. Diese Operation kann nur gelin¬
gen, wenn der Großherzog auf sein, von jeder ständischen Mitwirkung unab¬
hängiges, völlig unumschränktes Gesetzgebungs- und Besteuerungsrecht im
Domanium verzichtet und der Domanialbevölkerung staatsbürgerliche Rechte
einräumt. Sie verstärkt also nur die Forderung einer gründlichen Umge¬
staltung der Staatseinrichtungen und der Herbeiführung eines einheitlichen
Staatswesens.

Die neuen Bundesgesetze treiben das alte Staatswesen unaufhaltsam über
sich selbst hinaus; aber anstatt nun freudig in die neue Strömung einzu¬
treten, bequemt sich die Regierung den vom Bunde ausgehenden Impulsen
nur so weit an, als sie gerade muß, um dem hellen Conflict mit den Bun¬
desgesetzen auszuweichen.

Dies zeigte sich besonders in der Juden frage. Die Regierung legte
dem Landtage einen Gesetzentwurf wegen der rechtlichen Verhältnisse der
Juden vor, durch welchen sie "die Verhältnisse der jüdischen Unterthanen mit
dem Artikel 3 der Verfassung des norddeutschen Bundes in Einklang bringen"
wollte. Es war ihr dabei entgangen, daß inzwischen schon der Artikel 3
des Bundesgesetzes über Freizügigkeit den Juden das Recht der Nieder¬
lassung und des Erwerbes von Grundstücken ertheilt hatte und daß es daher
ein ganz ungehöriger Pleonasmus war, wenn § 1 ihres Gesetzentwurfes
die Bestimmung aufstellte: "Es ist den Juden fortan gestattet, liegende
Gründe aller Art gleich den Christen eigenthümlich zu erwerben." Nachdem
die Regierung das falsche Verhältniß gewahr geworden war, in welchem
dieser Entwurf zu dem Bundesgesetze stand, zog sie denselben zurück und legte
einen neuen Entwurf vor, welcher nur als Ausführungsgesetz sich darstellte,
aber aus dem ersten Entwurf alle Bestimmungen beibehalten hatte, welche
eine Beschränkung der staatsbürgerlichen Rechte der Juden bezwecken. Juden,
welche Grundeigenthum erwerben, bleiben nach dieser Vorlage von der Aus¬
übung der Landstandschaft, der Jurisdiction!e., auch von der Ausübung der
Polizei, so weit es sich um die Untersuchung und Bestrafung von Vergehen
handelt, ausgeschlossen. Die Landstandschaft ruhet während der Dauer des
Besitzes, die übrigen mit dem Grundbesitz verbundenen Rechte werden durch
einen von der Regierung zu bestellenden Vertreter ausgeübt. Die Kosten


Grenzboten I. 1868. , 24

hinausgehen sollten. — Hieran wird auch durch die großartige Finanzopera¬
tion nichts geändert, welche, einer beiläufigen Mittheilung an den Landtag
zufolge, der Großherzog mit einem wesentlichen Theile seines Domanium
projectirt und welche bestimmt ist, theils den Zufluß beträchtlicher Capitalien,
theils große Ersparungen an Verwaltungskosten zu bewirken. Es handelt
sich dabei um eine allgemeine und sofort in Angriff zu nehmende Vererb -
Pachtung der bisher im Zeitpachtverhältniß bewirthschafteten Bauerstellen,
deren Zahl noch ungefähr 4000 beträgt. Diese Operation kann nur gelin¬
gen, wenn der Großherzog auf sein, von jeder ständischen Mitwirkung unab¬
hängiges, völlig unumschränktes Gesetzgebungs- und Besteuerungsrecht im
Domanium verzichtet und der Domanialbevölkerung staatsbürgerliche Rechte
einräumt. Sie verstärkt also nur die Forderung einer gründlichen Umge¬
staltung der Staatseinrichtungen und der Herbeiführung eines einheitlichen
Staatswesens.

Die neuen Bundesgesetze treiben das alte Staatswesen unaufhaltsam über
sich selbst hinaus; aber anstatt nun freudig in die neue Strömung einzu¬
treten, bequemt sich die Regierung den vom Bunde ausgehenden Impulsen
nur so weit an, als sie gerade muß, um dem hellen Conflict mit den Bun¬
desgesetzen auszuweichen.

Dies zeigte sich besonders in der Juden frage. Die Regierung legte
dem Landtage einen Gesetzentwurf wegen der rechtlichen Verhältnisse der
Juden vor, durch welchen sie „die Verhältnisse der jüdischen Unterthanen mit
dem Artikel 3 der Verfassung des norddeutschen Bundes in Einklang bringen"
wollte. Es war ihr dabei entgangen, daß inzwischen schon der Artikel 3
des Bundesgesetzes über Freizügigkeit den Juden das Recht der Nieder¬
lassung und des Erwerbes von Grundstücken ertheilt hatte und daß es daher
ein ganz ungehöriger Pleonasmus war, wenn § 1 ihres Gesetzentwurfes
die Bestimmung aufstellte: „Es ist den Juden fortan gestattet, liegende
Gründe aller Art gleich den Christen eigenthümlich zu erwerben." Nachdem
die Regierung das falsche Verhältniß gewahr geworden war, in welchem
dieser Entwurf zu dem Bundesgesetze stand, zog sie denselben zurück und legte
einen neuen Entwurf vor, welcher nur als Ausführungsgesetz sich darstellte,
aber aus dem ersten Entwurf alle Bestimmungen beibehalten hatte, welche
eine Beschränkung der staatsbürgerlichen Rechte der Juden bezwecken. Juden,
welche Grundeigenthum erwerben, bleiben nach dieser Vorlage von der Aus¬
übung der Landstandschaft, der Jurisdiction!e., auch von der Ausübung der
Polizei, so weit es sich um die Untersuchung und Bestrafung von Vergehen
handelt, ausgeschlossen. Die Landstandschaft ruhet während der Dauer des
Besitzes, die übrigen mit dem Grundbesitz verbundenen Rechte werden durch
einen von der Regierung zu bestellenden Vertreter ausgeübt. Die Kosten


Grenzboten I. 1868. , 24
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[0193] hinausgehen sollten. — Hieran wird auch durch die großartige Finanzopera¬ tion nichts geändert, welche, einer beiläufigen Mittheilung an den Landtag zufolge, der Großherzog mit einem wesentlichen Theile seines Domanium projectirt und welche bestimmt ist, theils den Zufluß beträchtlicher Capitalien, theils große Ersparungen an Verwaltungskosten zu bewirken. Es handelt sich dabei um eine allgemeine und sofort in Angriff zu nehmende Vererb - Pachtung der bisher im Zeitpachtverhältniß bewirthschafteten Bauerstellen, deren Zahl noch ungefähr 4000 beträgt. Diese Operation kann nur gelin¬ gen, wenn der Großherzog auf sein, von jeder ständischen Mitwirkung unab¬ hängiges, völlig unumschränktes Gesetzgebungs- und Besteuerungsrecht im Domanium verzichtet und der Domanialbevölkerung staatsbürgerliche Rechte einräumt. Sie verstärkt also nur die Forderung einer gründlichen Umge¬ staltung der Staatseinrichtungen und der Herbeiführung eines einheitlichen Staatswesens. Die neuen Bundesgesetze treiben das alte Staatswesen unaufhaltsam über sich selbst hinaus; aber anstatt nun freudig in die neue Strömung einzu¬ treten, bequemt sich die Regierung den vom Bunde ausgehenden Impulsen nur so weit an, als sie gerade muß, um dem hellen Conflict mit den Bun¬ desgesetzen auszuweichen. Dies zeigte sich besonders in der Juden frage. Die Regierung legte dem Landtage einen Gesetzentwurf wegen der rechtlichen Verhältnisse der Juden vor, durch welchen sie „die Verhältnisse der jüdischen Unterthanen mit dem Artikel 3 der Verfassung des norddeutschen Bundes in Einklang bringen" wollte. Es war ihr dabei entgangen, daß inzwischen schon der Artikel 3 des Bundesgesetzes über Freizügigkeit den Juden das Recht der Nieder¬ lassung und des Erwerbes von Grundstücken ertheilt hatte und daß es daher ein ganz ungehöriger Pleonasmus war, wenn § 1 ihres Gesetzentwurfes die Bestimmung aufstellte: „Es ist den Juden fortan gestattet, liegende Gründe aller Art gleich den Christen eigenthümlich zu erwerben." Nachdem die Regierung das falsche Verhältniß gewahr geworden war, in welchem dieser Entwurf zu dem Bundesgesetze stand, zog sie denselben zurück und legte einen neuen Entwurf vor, welcher nur als Ausführungsgesetz sich darstellte, aber aus dem ersten Entwurf alle Bestimmungen beibehalten hatte, welche eine Beschränkung der staatsbürgerlichen Rechte der Juden bezwecken. Juden, welche Grundeigenthum erwerben, bleiben nach dieser Vorlage von der Aus¬ übung der Landstandschaft, der Jurisdiction!e., auch von der Ausübung der Polizei, so weit es sich um die Untersuchung und Bestrafung von Vergehen handelt, ausgeschlossen. Die Landstandschaft ruhet während der Dauer des Besitzes, die übrigen mit dem Grundbesitz verbundenen Rechte werden durch einen von der Regierung zu bestellenden Vertreter ausgeübt. Die Kosten Grenzboten I. 1868. , 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/193>, abgerufen am 22.07.2024.