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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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sprach wohl gegen den Guerard'schen Antrag auf Verfassungsänderung, nicht
aber gegen den Laster'schen, welcher Bestätigung, nicht Aenderung verlangte.
Weil die von Laster vorgeschlagene Deklaration, wenn abgeworfen, das alte
Recht angeblich noch tiefer erschüttern würde, darum -- thaten sie ihr
Möglichstes, die Deklaration zu Falle zu bringen!! -- Es war ihnen er¬
laubt, die Einbringung des Antrages, wenn er ihnen schädlich schien, mit
allen Kräften zu verhindern, sobald aber der Antrag einmal dem Hause an¬
gehörte, mußten sie jedenfalls dafür stimmen, zumal sie kein anderes Schutz¬
mittel für das bedrohte Recht der Redefreiheit in petto hatten. -- außer
Herr Virchow, der eine Adresse an die Krone (!) für angemessener hielt,
das aber nur beiläufig erwähnte, ohne einen bestimmten Antrag zu stellen.

Doch genug der Exemplificationen! Unsere alten Parteigenossen müssen
bei all' ihrer mimosenhaften Empfindlichkeit, mit welcher sie jede sachliche
Erwiderung ihrer persönlichen Angriffe voll sittlicher Entrüstung zurückzu¬
weisen Pflegen, doch zugeben, daß ich blos einen Theil der hierher gehörigen
Thatsachen angeführt, daß ich die Beispiele weder falsch ausgebeutet, noch
parteilich verwerthet habe. Meine Kritik ist selbstredend keine persönliche
je höher ich einzelne Persönlichkeiten der Fortschrittspartei achte und selbst
verehre, um so gebotener erschien mir die Aufgabe, die prinzipiellen Fehler
in der Zusammensetzung und letzten Entwickelungsphase dieser Partei nach¬
zuweisen. Ich wollte darthun, daß sie weder eine radicale Partei ist, welche
über ihrer Zeit steht und sich von den Heischnissen und Bedürfnissen der augen¬
blicklichen Lage für befreit erklären darf, noch eine praktisch liberale Partei,
welche den Forderungen und Nothwendigkeiten der Gegenwart in verständig
vermittelnder Weise gerecht wird, daß sie zwar die Elemente des einen wie
des andern Standpunktes in sich trägt, aber nicht mehr die Kraft besitzt,
diese Gegensätze in sich zu überwinden und sich zu einer einheitlichen Partei
zu gestalten. Eine straffe Einheit der Ueberzeugungen ist allerdings heut¬
zutage fast bei keiner zu ermöglichen; Wind und Wetter sind bei der raschen
Entwickelung maßgebender Thatsachen der Parteibildung auf theoretischen
Grundlagen nicht günstig und der Einzelne ist nicht immer ohne weiteres
nach seiner Parteistellung abzuschätzen. Selbst die conservative Partei konnte
der starken Strömung der Begebenheiten nicht widerstehen; weil nun die so¬
genannten Freiconservativen den parlamentarischen Einfluß vielfach mit den
Nationalliberalen theilen, darum geschieht es manchmal, daß Wagner von den
Altconservativen die "Consequenz" der äußersten Linken preist, und so, wie
auch bei einigen Abstimmungen, die beiden Extreme sich die Hand zu reichen
scheinen. Abgesehen davon, daß Consequenz an sich, abstracte Consequenz
noch keine Tugend ist, so wird das Lob der Consequenz, das in diesem
gegebenen Falle schon durch die Person des Lobenden besonders verdächtig


sprach wohl gegen den Guerard'schen Antrag auf Verfassungsänderung, nicht
aber gegen den Laster'schen, welcher Bestätigung, nicht Aenderung verlangte.
Weil die von Laster vorgeschlagene Deklaration, wenn abgeworfen, das alte
Recht angeblich noch tiefer erschüttern würde, darum — thaten sie ihr
Möglichstes, die Deklaration zu Falle zu bringen!! — Es war ihnen er¬
laubt, die Einbringung des Antrages, wenn er ihnen schädlich schien, mit
allen Kräften zu verhindern, sobald aber der Antrag einmal dem Hause an¬
gehörte, mußten sie jedenfalls dafür stimmen, zumal sie kein anderes Schutz¬
mittel für das bedrohte Recht der Redefreiheit in petto hatten. — außer
Herr Virchow, der eine Adresse an die Krone (!) für angemessener hielt,
das aber nur beiläufig erwähnte, ohne einen bestimmten Antrag zu stellen.

Doch genug der Exemplificationen! Unsere alten Parteigenossen müssen
bei all' ihrer mimosenhaften Empfindlichkeit, mit welcher sie jede sachliche
Erwiderung ihrer persönlichen Angriffe voll sittlicher Entrüstung zurückzu¬
weisen Pflegen, doch zugeben, daß ich blos einen Theil der hierher gehörigen
Thatsachen angeführt, daß ich die Beispiele weder falsch ausgebeutet, noch
parteilich verwerthet habe. Meine Kritik ist selbstredend keine persönliche
je höher ich einzelne Persönlichkeiten der Fortschrittspartei achte und selbst
verehre, um so gebotener erschien mir die Aufgabe, die prinzipiellen Fehler
in der Zusammensetzung und letzten Entwickelungsphase dieser Partei nach¬
zuweisen. Ich wollte darthun, daß sie weder eine radicale Partei ist, welche
über ihrer Zeit steht und sich von den Heischnissen und Bedürfnissen der augen¬
blicklichen Lage für befreit erklären darf, noch eine praktisch liberale Partei,
welche den Forderungen und Nothwendigkeiten der Gegenwart in verständig
vermittelnder Weise gerecht wird, daß sie zwar die Elemente des einen wie
des andern Standpunktes in sich trägt, aber nicht mehr die Kraft besitzt,
diese Gegensätze in sich zu überwinden und sich zu einer einheitlichen Partei
zu gestalten. Eine straffe Einheit der Ueberzeugungen ist allerdings heut¬
zutage fast bei keiner zu ermöglichen; Wind und Wetter sind bei der raschen
Entwickelung maßgebender Thatsachen der Parteibildung auf theoretischen
Grundlagen nicht günstig und der Einzelne ist nicht immer ohne weiteres
nach seiner Parteistellung abzuschätzen. Selbst die conservative Partei konnte
der starken Strömung der Begebenheiten nicht widerstehen; weil nun die so¬
genannten Freiconservativen den parlamentarischen Einfluß vielfach mit den
Nationalliberalen theilen, darum geschieht es manchmal, daß Wagner von den
Altconservativen die „Consequenz" der äußersten Linken preist, und so, wie
auch bei einigen Abstimmungen, die beiden Extreme sich die Hand zu reichen
scheinen. Abgesehen davon, daß Consequenz an sich, abstracte Consequenz
noch keine Tugend ist, so wird das Lob der Consequenz, das in diesem
gegebenen Falle schon durch die Person des Lobenden besonders verdächtig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/182>, abgerufen am 03.07.2024.