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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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ersten friedlichen Kundgebungen, die us^all im Volke ein freundliches Echo fan¬
den, sind von den Organen des groM^tscheu Particularismus mit einer Art
von Mißtrauensvotum beantwortet worden, und daß fernere Versuchungen an
Herrn von Beust und dessen Genossen herantreten, kann um so weniger
ausbleiben, als die außer-östreichischen Oestreicher seit Jahren kein wiener
Ministerium erlebt haben, dessen Fahne sie so muthig und unbedenklich schwen-
ken könnten, als die des gegenwärtigen "liberalen" Cabinets, das.schon
wegen der populären Namen seiner Glieder allen denen unschätzbar sein sollte,
die den Werth jedes Ereignisses nach dem Quantum Gift abschätzen, das
aus demselben gegen Preußen gewonnen werden kann. Daß das neue cis-
leithanische Cabinet unberührt von den Lockungen seiner großdeutschen Freunde
der Erfüllung seiner inneren Ausgabe nachgehe, ist darum eine harte For¬
derung. Und doch müssen die östreichischen Staatsmänner sich sagen, daß
nur um diesen Preis der Frieden zu erhalten ist, dessen sie vor allem be¬
dürfen, um den an sie gestellten Ansprüchen einigermaßen gerecht werden zu
können. Sie müssen, was vor ihnen noch kein östreichisches Ministerium ge¬
than hat, den Schwerpunkt ihrer Thätigkeit in das innere Staatsleben ver¬
legen und auch in diesem Sinn einen vollständigen Bruch mit den wiener
Traditionen versuchen. Geschieht das nicht, bricht eine kriegerische oder dip¬
lomatische Verwickelung herein, so ist es um die Möglichkeit einer Abhilfe
der Nothstände? welche auf der Bevölkerung lasten, um den guten Glauben
derselben, kurz um alle Grundlagen der Existenz der bürgerlichen Minister
geschehen.

Möglich, daß die Aussicht auf die Wiedererlangung der früheren
deutschen Machtstellung des Kaiserstaats die Deutsch-Oestreicher noch einmal
in den Taumel gedankenloser Kriegsbegeisterung fortreißt, von Dauer kann
derselbe nicht sein, und haben die bürgerlichen Minister nur für einen Augen¬
blick die Popularität verloren, von welcher sie getragen werden, so ist es um
sie geschehen und Herr von Beust geräth in die Nothwendigkeit, über sie
weg eine Brücke in das feudale Lager zu schlagen, das die Schule der alten
diplomatischen und militärischen Künste Oestreichs, die wahre Heimat der
kaiserlichen Sympathien ist. Gegen Preußen und Deutschland kann Oestreich
nur an der Seite Frankreichs unter die Waffen treten, ein Bündniß dieser
Art würde dem östreichischen Einfluß aber unfehlbar einen Todesstoß ver¬
setzen. Die Interessen Oestreichs sind mit denen der großdeutschen Partei
niemals identisch gewesen; im Fall eines mit französischer Hilfe geführten
Krieges würden sie vollständig auseinanderfallen und den neuen Staats¬
männern die schwache Stütze, welche sie an den süddeutschen Sympathien
haben, gleichzeitig mit allen übrigen entziehen. Fraglich ist nur, ob man
das in Wien ebenso genau weiß wie bei uns.


ersten friedlichen Kundgebungen, die us^all im Volke ein freundliches Echo fan¬
den, sind von den Organen des groM^tscheu Particularismus mit einer Art
von Mißtrauensvotum beantwortet worden, und daß fernere Versuchungen an
Herrn von Beust und dessen Genossen herantreten, kann um so weniger
ausbleiben, als die außer-östreichischen Oestreicher seit Jahren kein wiener
Ministerium erlebt haben, dessen Fahne sie so muthig und unbedenklich schwen-
ken könnten, als die des gegenwärtigen „liberalen" Cabinets, das.schon
wegen der populären Namen seiner Glieder allen denen unschätzbar sein sollte,
die den Werth jedes Ereignisses nach dem Quantum Gift abschätzen, das
aus demselben gegen Preußen gewonnen werden kann. Daß das neue cis-
leithanische Cabinet unberührt von den Lockungen seiner großdeutschen Freunde
der Erfüllung seiner inneren Ausgabe nachgehe, ist darum eine harte For¬
derung. Und doch müssen die östreichischen Staatsmänner sich sagen, daß
nur um diesen Preis der Frieden zu erhalten ist, dessen sie vor allem be¬
dürfen, um den an sie gestellten Ansprüchen einigermaßen gerecht werden zu
können. Sie müssen, was vor ihnen noch kein östreichisches Ministerium ge¬
than hat, den Schwerpunkt ihrer Thätigkeit in das innere Staatsleben ver¬
legen und auch in diesem Sinn einen vollständigen Bruch mit den wiener
Traditionen versuchen. Geschieht das nicht, bricht eine kriegerische oder dip¬
lomatische Verwickelung herein, so ist es um die Möglichkeit einer Abhilfe
der Nothstände? welche auf der Bevölkerung lasten, um den guten Glauben
derselben, kurz um alle Grundlagen der Existenz der bürgerlichen Minister
geschehen.

Möglich, daß die Aussicht auf die Wiedererlangung der früheren
deutschen Machtstellung des Kaiserstaats die Deutsch-Oestreicher noch einmal
in den Taumel gedankenloser Kriegsbegeisterung fortreißt, von Dauer kann
derselbe nicht sein, und haben die bürgerlichen Minister nur für einen Augen¬
blick die Popularität verloren, von welcher sie getragen werden, so ist es um
sie geschehen und Herr von Beust geräth in die Nothwendigkeit, über sie
weg eine Brücke in das feudale Lager zu schlagen, das die Schule der alten
diplomatischen und militärischen Künste Oestreichs, die wahre Heimat der
kaiserlichen Sympathien ist. Gegen Preußen und Deutschland kann Oestreich
nur an der Seite Frankreichs unter die Waffen treten, ein Bündniß dieser
Art würde dem östreichischen Einfluß aber unfehlbar einen Todesstoß ver¬
setzen. Die Interessen Oestreichs sind mit denen der großdeutschen Partei
niemals identisch gewesen; im Fall eines mit französischer Hilfe geführten
Krieges würden sie vollständig auseinanderfallen und den neuen Staats¬
männern die schwache Stütze, welche sie an den süddeutschen Sympathien
haben, gleichzeitig mit allen übrigen entziehen. Fraglich ist nur, ob man
das in Wien ebenso genau weiß wie bei uns.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/127>, abgerufen am 24.08.2024.