Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.Forderungen einer Reform ihres Wahlgesetzes gewesen ist. Allein man hat Und damit nicht genug; von wahrhaft raffinirter Künstlichkeit zeugt 14"
Forderungen einer Reform ihres Wahlgesetzes gewesen ist. Allein man hat Und damit nicht genug; von wahrhaft raffinirter Künstlichkeit zeugt 14"
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117121"/> <p xml:id="ID_330" prev="#ID_329"> Forderungen einer Reform ihres Wahlgesetzes gewesen ist. Allein man hat<lb/> auf sinnreiche Weise das allgemeine Stimmrecht unschädlich zu machen ge¬<lb/> sucht. Zwar dagegen läßt sich wenig einwenden, daß jeder Wahlkreis in<lb/> eine große Anzahl von kleinen Abstimmungsbezirken zersplittert werden soll,<lb/> obwohl die Absicht auf der Hand liegt, die Wahlagitation zu erschweren,<lb/> und möglichst viele ländliche Wähler zur Urne zu treiben, ohne daß sie in<lb/> Berührung mit den gefährlichen Städten kommen. Unverkennbar verlieren<lb/> dadurch die Aussichten des Liberalismus. Es kam bisher nicht selten vor,<lb/> daß die ländlichen Wähler, in der Bezirksstadt angekommen, wo sie sich durch<lb/> einen Frühschoppen zur Verrichtung ihrer Bürgerpflicht auf dem Rathhaus<lb/> stärkten, bei dieser Gelegenheit besserer Belehrung sich zugänglich erwiesen<lb/> und den Wahlzettel, den ihnen zu Hause der Schultheiß in die Hand ge¬<lb/> drückt, mit einem andern vertauschten. Derlei Möglichkeit besserer Belehrung<lb/> ist durch die Vorlage der Regierung weise beseitigt. Dagegen hat sie des<lb/> Guten zu viel gethan, wenn sie die Wahlhandlung selbst, angeblich um die<lb/> Unabhängigkeit der Wähler zu sichern, mit einer Menge komischer Förmlich¬<lb/> keiten ausgestattet wissen will, die gleichfalls, wenn sie überhaupt einen Sinn<lb/> haben sollen, die Vermuthung tendenziöser Hintergedanken herausfordern.<lb/> Dazu kommt aber nun, daß durch das allgemeine Wahlrecht das System<lb/> der Censuswahlen keineswegs beseitigt ist. Vielmehr sollen zu jenen 64 Ab¬<lb/> geordneten noch 24 Vertreter der Höchstbesteuerten, gewählt von den Bezirks-<lb/> , rathen, treten, ein Privilegium des Reichthums und zugleich eine Hinterthür,<lb/> durchweiche die ritterschaftlichen Abgeordneten, die stillschweigend aus der<lb/> zweiten Kammer beseitigt sind, wieder ihren Einzug in dieselbe halten wür¬<lb/> den. Die Vertreter der Kirche sind theils in der zweiten, theils in der ersten<lb/> Kammer untergebracht, wie überhaupt die Zusammensetzung beider Kammern<lb/> aufs künstlichste ausgeklügelt ist. Die erste Kammer, deren Opportunist in<lb/> einem Land wie Würtemberg überhaupt fraglich ist, bleibt einmal der Sitz<lb/> der Geburtsprivilegien, obwohl wenigstens das unsinnige Recht der Stellver¬<lb/> tretung beseitigt ist, das bisher die abwesenden Prinzen und Standesherrn<lb/> ausübten. Daneben aber wird sie wesentlich verstärkt durch Abgeordnete der<lb/> Kreisversammlungen, durch Vertreter der größeren Städte, der Universität:c.;<lb/> auch durch die erhöhte Bedeutung der ersten Kammer soll ein Damm gegen<lb/> die Gefahren des allgemeinen Stimmrechts aufgeführt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_331" next="#ID_332"> Und damit nicht genug; von wahrhaft raffinirter Künstlichkeit zeugt<lb/> jene Bestimmung, wonach, wenn bei einer Wahl nach allgemeinem Stimm¬<lb/> recht nicht einer der Candidaten die absolute Mehrheit der abgegebenen<lb/> Stimmen erhält, — ein Fall, der oft genug vorkommt — das Stimmrecht<lb/> übergeht auf die Gemeinde- und Bezirksausschüsse. Schwer begreiflich ist,<lb/> daß auch diejenige Bestimmung, welche die Redefreiheit der Abgeordneten</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 14"</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0115]
Forderungen einer Reform ihres Wahlgesetzes gewesen ist. Allein man hat
auf sinnreiche Weise das allgemeine Stimmrecht unschädlich zu machen ge¬
sucht. Zwar dagegen läßt sich wenig einwenden, daß jeder Wahlkreis in
eine große Anzahl von kleinen Abstimmungsbezirken zersplittert werden soll,
obwohl die Absicht auf der Hand liegt, die Wahlagitation zu erschweren,
und möglichst viele ländliche Wähler zur Urne zu treiben, ohne daß sie in
Berührung mit den gefährlichen Städten kommen. Unverkennbar verlieren
dadurch die Aussichten des Liberalismus. Es kam bisher nicht selten vor,
daß die ländlichen Wähler, in der Bezirksstadt angekommen, wo sie sich durch
einen Frühschoppen zur Verrichtung ihrer Bürgerpflicht auf dem Rathhaus
stärkten, bei dieser Gelegenheit besserer Belehrung sich zugänglich erwiesen
und den Wahlzettel, den ihnen zu Hause der Schultheiß in die Hand ge¬
drückt, mit einem andern vertauschten. Derlei Möglichkeit besserer Belehrung
ist durch die Vorlage der Regierung weise beseitigt. Dagegen hat sie des
Guten zu viel gethan, wenn sie die Wahlhandlung selbst, angeblich um die
Unabhängigkeit der Wähler zu sichern, mit einer Menge komischer Förmlich¬
keiten ausgestattet wissen will, die gleichfalls, wenn sie überhaupt einen Sinn
haben sollen, die Vermuthung tendenziöser Hintergedanken herausfordern.
Dazu kommt aber nun, daß durch das allgemeine Wahlrecht das System
der Censuswahlen keineswegs beseitigt ist. Vielmehr sollen zu jenen 64 Ab¬
geordneten noch 24 Vertreter der Höchstbesteuerten, gewählt von den Bezirks-
, rathen, treten, ein Privilegium des Reichthums und zugleich eine Hinterthür,
durchweiche die ritterschaftlichen Abgeordneten, die stillschweigend aus der
zweiten Kammer beseitigt sind, wieder ihren Einzug in dieselbe halten wür¬
den. Die Vertreter der Kirche sind theils in der zweiten, theils in der ersten
Kammer untergebracht, wie überhaupt die Zusammensetzung beider Kammern
aufs künstlichste ausgeklügelt ist. Die erste Kammer, deren Opportunist in
einem Land wie Würtemberg überhaupt fraglich ist, bleibt einmal der Sitz
der Geburtsprivilegien, obwohl wenigstens das unsinnige Recht der Stellver¬
tretung beseitigt ist, das bisher die abwesenden Prinzen und Standesherrn
ausübten. Daneben aber wird sie wesentlich verstärkt durch Abgeordnete der
Kreisversammlungen, durch Vertreter der größeren Städte, der Universität:c.;
auch durch die erhöhte Bedeutung der ersten Kammer soll ein Damm gegen
die Gefahren des allgemeinen Stimmrechts aufgeführt werden.
Und damit nicht genug; von wahrhaft raffinirter Künstlichkeit zeugt
jene Bestimmung, wonach, wenn bei einer Wahl nach allgemeinem Stimm¬
recht nicht einer der Candidaten die absolute Mehrheit der abgegebenen
Stimmen erhält, — ein Fall, der oft genug vorkommt — das Stimmrecht
übergeht auf die Gemeinde- und Bezirksausschüsse. Schwer begreiflich ist,
daß auch diejenige Bestimmung, welche die Redefreiheit der Abgeordneten
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