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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Nicht zu läugnen ist, daß wenigstens die Anzahl derselben einen impo"
nirenden Eindruck machen muß. Um sie nur einigermaßen logisch zu classi-
ficiren, thäte es noth, jenen ausgedehnten Apparat von I und 1, ^ und ">,
" und x zu Hilfe zu rufen, mit welchem einst unser Professor der Dogmatik
das unter seiner Gelehrsamkeit bedrohlich anschwellende Gebiet christlicher
Lehre nothdürftig zusammenzuhalten bestrebt war. Zunächst drängt sich die
Unterscheidung auf, daß die Reformen in solche zerfallen, welche durch die
"Ereignisse des Jahres 1866", wie man sich euphemistisch ausdrückt, nöthig,
und in solche, welche durch eben diese Ereignisse unnöthig geworden sind.
Zu jenen gehört in erster Linie das neue Armeegesetz, und es ist bezeichnend,
daß gerade diesem nicht ganz derselbe freundliche Eifer gewidmet wird, der
den andern mehr aus der schöpferischen Initiative unserer eignen Staats¬
männer hervorgegangenen Entwürfen zu Theil wird. Wesentlich dem preußi¬
schen System sich anschließend, wie auch in Bewaffnung und Dienstreglement
längst das selbständige Experimentiren aufgegeben ist, hat es nur die Eigen¬
schaft, sparsamer zugeschnitten zu sein, was insbesondere durch die Reduction
der Cadres, durch einen etwas niederern Prozentsatz und durch eine faktisch
kürzere Präsenz erreicht werden soll. Die Berathung des Gesetzes wird sehr
verzögert, doch wird an seiner Annahme in der Kammer nicht gezweifelt,
zumal seitdem auch die leitenden Minister, die eine Zeit lang eine zweifel¬
hafte Stellung einnahmen und nicht übel Lust zeigten, ihren Collegen Kriegs¬
minister im Stich zu lassen, neuerdings auf einen Wink, der, wie es heißt,
mit dem Nordwind kam, bestimmt erklärt haben, für das neue Gesetz ein¬
treten zu wollen. Auch der König selbst hat, mie bei den Allianzverträgen in
letzter Noth seine Dazwischenkunft angerufen wurde, beim Neujahrsempfang
gegen die parlamentarische Abordnung sich für das Zustandekommen des Ge¬
setzes verwandt.

Am meisten hat sich die Regierung dagegen mit derjenigen Reform be¬
eilt, welche durch die Gründung des norddeutschen Bundes überflüssig ge¬
worden war, mit der Justizreform. Ueberflüssig insofern, als bei der nahen
Aussicht zunächst auf eine deutsche Civilprozeßordnung eine Betheiligung
Würtembergs an diesem Gesetzgebungsact zu wünschen war oder wenigstens
die Resultate desselben hätten abgewartet werden können. Es war doch
eigenthümlich, daß" in denselben Tagen eilig ein würtembergischer Civilprozeß
angenommen wurde, in welchem die norddeutsche Commission zu ihren Ar¬
beiten zusammentrat. Und zwar ist es bezeichnend, daß man gerade mit aus¬
gesprochener Absicht innerhalb d^s Particularstaats ein selbständiges Werk
schaffen, der künftigen norddeutschen Gesetzgebung mit einer vollendeten That¬
sache zuvorkommen, ja geradezu durch ungesäumte Befriedigung der Neform-
vedürfnisse verhindern wollte, daß die Blicke hilfesuchend nach Norden, d. h.


Grenzboten I. 1868. 14

Nicht zu läugnen ist, daß wenigstens die Anzahl derselben einen impo»
nirenden Eindruck machen muß. Um sie nur einigermaßen logisch zu classi-
ficiren, thäte es noth, jenen ausgedehnten Apparat von I und 1, ^ und »>,
« und x zu Hilfe zu rufen, mit welchem einst unser Professor der Dogmatik
das unter seiner Gelehrsamkeit bedrohlich anschwellende Gebiet christlicher
Lehre nothdürftig zusammenzuhalten bestrebt war. Zunächst drängt sich die
Unterscheidung auf, daß die Reformen in solche zerfallen, welche durch die
„Ereignisse des Jahres 1866", wie man sich euphemistisch ausdrückt, nöthig,
und in solche, welche durch eben diese Ereignisse unnöthig geworden sind.
Zu jenen gehört in erster Linie das neue Armeegesetz, und es ist bezeichnend,
daß gerade diesem nicht ganz derselbe freundliche Eifer gewidmet wird, der
den andern mehr aus der schöpferischen Initiative unserer eignen Staats¬
männer hervorgegangenen Entwürfen zu Theil wird. Wesentlich dem preußi¬
schen System sich anschließend, wie auch in Bewaffnung und Dienstreglement
längst das selbständige Experimentiren aufgegeben ist, hat es nur die Eigen¬
schaft, sparsamer zugeschnitten zu sein, was insbesondere durch die Reduction
der Cadres, durch einen etwas niederern Prozentsatz und durch eine faktisch
kürzere Präsenz erreicht werden soll. Die Berathung des Gesetzes wird sehr
verzögert, doch wird an seiner Annahme in der Kammer nicht gezweifelt,
zumal seitdem auch die leitenden Minister, die eine Zeit lang eine zweifel¬
hafte Stellung einnahmen und nicht übel Lust zeigten, ihren Collegen Kriegs¬
minister im Stich zu lassen, neuerdings auf einen Wink, der, wie es heißt,
mit dem Nordwind kam, bestimmt erklärt haben, für das neue Gesetz ein¬
treten zu wollen. Auch der König selbst hat, mie bei den Allianzverträgen in
letzter Noth seine Dazwischenkunft angerufen wurde, beim Neujahrsempfang
gegen die parlamentarische Abordnung sich für das Zustandekommen des Ge¬
setzes verwandt.

Am meisten hat sich die Regierung dagegen mit derjenigen Reform be¬
eilt, welche durch die Gründung des norddeutschen Bundes überflüssig ge¬
worden war, mit der Justizreform. Ueberflüssig insofern, als bei der nahen
Aussicht zunächst auf eine deutsche Civilprozeßordnung eine Betheiligung
Würtembergs an diesem Gesetzgebungsact zu wünschen war oder wenigstens
die Resultate desselben hätten abgewartet werden können. Es war doch
eigenthümlich, daß« in denselben Tagen eilig ein würtembergischer Civilprozeß
angenommen wurde, in welchem die norddeutsche Commission zu ihren Ar¬
beiten zusammentrat. Und zwar ist es bezeichnend, daß man gerade mit aus¬
gesprochener Absicht innerhalb d^s Particularstaats ein selbständiges Werk
schaffen, der künftigen norddeutschen Gesetzgebung mit einer vollendeten That¬
sache zuvorkommen, ja geradezu durch ungesäumte Befriedigung der Neform-
vedürfnisse verhindern wollte, daß die Blicke hilfesuchend nach Norden, d. h.


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[0113] Nicht zu läugnen ist, daß wenigstens die Anzahl derselben einen impo» nirenden Eindruck machen muß. Um sie nur einigermaßen logisch zu classi- ficiren, thäte es noth, jenen ausgedehnten Apparat von I und 1, ^ und »>, « und x zu Hilfe zu rufen, mit welchem einst unser Professor der Dogmatik das unter seiner Gelehrsamkeit bedrohlich anschwellende Gebiet christlicher Lehre nothdürftig zusammenzuhalten bestrebt war. Zunächst drängt sich die Unterscheidung auf, daß die Reformen in solche zerfallen, welche durch die „Ereignisse des Jahres 1866", wie man sich euphemistisch ausdrückt, nöthig, und in solche, welche durch eben diese Ereignisse unnöthig geworden sind. Zu jenen gehört in erster Linie das neue Armeegesetz, und es ist bezeichnend, daß gerade diesem nicht ganz derselbe freundliche Eifer gewidmet wird, der den andern mehr aus der schöpferischen Initiative unserer eignen Staats¬ männer hervorgegangenen Entwürfen zu Theil wird. Wesentlich dem preußi¬ schen System sich anschließend, wie auch in Bewaffnung und Dienstreglement längst das selbständige Experimentiren aufgegeben ist, hat es nur die Eigen¬ schaft, sparsamer zugeschnitten zu sein, was insbesondere durch die Reduction der Cadres, durch einen etwas niederern Prozentsatz und durch eine faktisch kürzere Präsenz erreicht werden soll. Die Berathung des Gesetzes wird sehr verzögert, doch wird an seiner Annahme in der Kammer nicht gezweifelt, zumal seitdem auch die leitenden Minister, die eine Zeit lang eine zweifel¬ hafte Stellung einnahmen und nicht übel Lust zeigten, ihren Collegen Kriegs¬ minister im Stich zu lassen, neuerdings auf einen Wink, der, wie es heißt, mit dem Nordwind kam, bestimmt erklärt haben, für das neue Gesetz ein¬ treten zu wollen. Auch der König selbst hat, mie bei den Allianzverträgen in letzter Noth seine Dazwischenkunft angerufen wurde, beim Neujahrsempfang gegen die parlamentarische Abordnung sich für das Zustandekommen des Ge¬ setzes verwandt. Am meisten hat sich die Regierung dagegen mit derjenigen Reform be¬ eilt, welche durch die Gründung des norddeutschen Bundes überflüssig ge¬ worden war, mit der Justizreform. Ueberflüssig insofern, als bei der nahen Aussicht zunächst auf eine deutsche Civilprozeßordnung eine Betheiligung Würtembergs an diesem Gesetzgebungsact zu wünschen war oder wenigstens die Resultate desselben hätten abgewartet werden können. Es war doch eigenthümlich, daß« in denselben Tagen eilig ein würtembergischer Civilprozeß angenommen wurde, in welchem die norddeutsche Commission zu ihren Ar¬ beiten zusammentrat. Und zwar ist es bezeichnend, daß man gerade mit aus¬ gesprochener Absicht innerhalb d^s Particularstaats ein selbständiges Werk schaffen, der künftigen norddeutschen Gesetzgebung mit einer vollendeten That¬ sache zuvorkommen, ja geradezu durch ungesäumte Befriedigung der Neform- vedürfnisse verhindern wollte, daß die Blicke hilfesuchend nach Norden, d. h. Grenzboten I. 1868. 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/113>, abgerufen am 01.07.2024.