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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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der ganze Plan nur von der Absicht eingegeben war, die Auflösung der Türkei
zu befördern, indem man den Dualismus bis in die kleinsten Beziehungen
durchführen würde, und er setzte dies in einem Memoire, welches die russischen
Vorschläge beleuchtet, treffend auseinander. Hiemit fand Baron Beust be¬
greiflicherweise besondern Anklang in London, wo die Palmerstonsche orien¬
talische Politik wenigstens nach ihrer Hauptrichtung befolgt wird.

Freilich wird Lord Stanley in seinem Vaterlande sehr überschätzt, ihm
fehlt fast alle Initiative, er verfolgt nur das Prinzip der Nichtintervention,
aber er ist ein klarer, nüchterner Kopf, der sich durch die ewigen Betheue-
rungen des Baron Brünnow über die vollständige Uninteressirtheit seines
erhabenen Gebieters nicht fangen läßt; er konnte sich nicht entschließen, in
Athen Ernst gegen die völkerrechtswidrige Unterstützung des candiotischen
Aufstandes zu zeigen, aber ließ sich auch nicht dazu bereden, die Pforte mit
drohenden Noten zu bestürmen und befürwortete nur, wie Oestreich, vollstän¬
dige Ausführung der durch den Hat Hamayoum versprochenen Reformen.
In Salzburg gelang es nun Beust, auch Frankreich für diese antirussische
Politik zu gewinnen. Napoleon kam dorthin entschieden mit der Absicht,
Oestreichs Allianz gegen Preußen zu gewinnen, er rechnete dabei auf die
Nankune des Kaisers, auf Beusts Mangel an deutschem Patriotismus, der
ja vor einem Jahre ihn um Entsendung einer französischen Armee an den
Rhein gebeten, aber rechnete dennoch falsch. Franz Joseph, wie sein Reichs¬
kanzler lehnten jede aggressive Allianz gegen Deutschland ab, weil Oestreich
aufs tiefste des Friedens bedürftig sei und die deutschen Provinzen ebenso
laut gegen einen solchen Krieg protestiren würden als die Ungarn, nur
einen defensiven Krieg könne Oestreich fortan führen, wenn es in seinen
Lebensbedingungen bedroht würde und eine solche Bedrohung liege in dem,
Was die panslavistische Politik "die Misston der Befreiung des europäischen
Orients" nenne; wolle man also den Weltfrieden bewahren, so komme es
darauf an, daß England, Frankreich und Oestreich, welche 1836 den Spezial-
garantievertrag für die Integrität der Türkei unterzeichnet, dieser agitatori¬
schen Politik entgegentraten. -- Napoleon ging hierauf ein, er mußte sich
hinlänglich überzeugt haben, daß in Petersburg doch nichts für ihn zu errei¬
chen sei, so acceptirte er die Verständigung mit Wien und London über
gleiche Politik im Orient, vielleicht mit dem Hintergedanken, daß dies bei
dem engen Einvernehmen zwischen Rußland und Preußen doch weiter führen
Müsse. Man war deshalb auch in London ebenso befriedigt über das Re¬
sultat der Salzburger Begegnung, als in Petersburg gereizt. Die letzte
veröffentlichte russische Depesche vom 27. August 1867 läßt dies deutlich er¬
kennen; Fürst Gortschakoff. erklärt darin offen, der moralische Zwang sei das
einzige Mittel, von der Pforte etwas zu erreichen, solange die Mächte nicht


der ganze Plan nur von der Absicht eingegeben war, die Auflösung der Türkei
zu befördern, indem man den Dualismus bis in die kleinsten Beziehungen
durchführen würde, und er setzte dies in einem Memoire, welches die russischen
Vorschläge beleuchtet, treffend auseinander. Hiemit fand Baron Beust be¬
greiflicherweise besondern Anklang in London, wo die Palmerstonsche orien¬
talische Politik wenigstens nach ihrer Hauptrichtung befolgt wird.

Freilich wird Lord Stanley in seinem Vaterlande sehr überschätzt, ihm
fehlt fast alle Initiative, er verfolgt nur das Prinzip der Nichtintervention,
aber er ist ein klarer, nüchterner Kopf, der sich durch die ewigen Betheue-
rungen des Baron Brünnow über die vollständige Uninteressirtheit seines
erhabenen Gebieters nicht fangen läßt; er konnte sich nicht entschließen, in
Athen Ernst gegen die völkerrechtswidrige Unterstützung des candiotischen
Aufstandes zu zeigen, aber ließ sich auch nicht dazu bereden, die Pforte mit
drohenden Noten zu bestürmen und befürwortete nur, wie Oestreich, vollstän¬
dige Ausführung der durch den Hat Hamayoum versprochenen Reformen.
In Salzburg gelang es nun Beust, auch Frankreich für diese antirussische
Politik zu gewinnen. Napoleon kam dorthin entschieden mit der Absicht,
Oestreichs Allianz gegen Preußen zu gewinnen, er rechnete dabei auf die
Nankune des Kaisers, auf Beusts Mangel an deutschem Patriotismus, der
ja vor einem Jahre ihn um Entsendung einer französischen Armee an den
Rhein gebeten, aber rechnete dennoch falsch. Franz Joseph, wie sein Reichs¬
kanzler lehnten jede aggressive Allianz gegen Deutschland ab, weil Oestreich
aufs tiefste des Friedens bedürftig sei und die deutschen Provinzen ebenso
laut gegen einen solchen Krieg protestiren würden als die Ungarn, nur
einen defensiven Krieg könne Oestreich fortan führen, wenn es in seinen
Lebensbedingungen bedroht würde und eine solche Bedrohung liege in dem,
Was die panslavistische Politik „die Misston der Befreiung des europäischen
Orients" nenne; wolle man also den Weltfrieden bewahren, so komme es
darauf an, daß England, Frankreich und Oestreich, welche 1836 den Spezial-
garantievertrag für die Integrität der Türkei unterzeichnet, dieser agitatori¬
schen Politik entgegentraten. — Napoleon ging hierauf ein, er mußte sich
hinlänglich überzeugt haben, daß in Petersburg doch nichts für ihn zu errei¬
chen sei, so acceptirte er die Verständigung mit Wien und London über
gleiche Politik im Orient, vielleicht mit dem Hintergedanken, daß dies bei
dem engen Einvernehmen zwischen Rußland und Preußen doch weiter führen
Müsse. Man war deshalb auch in London ebenso befriedigt über das Re¬
sultat der Salzburger Begegnung, als in Petersburg gereizt. Die letzte
veröffentlichte russische Depesche vom 27. August 1867 läßt dies deutlich er¬
kennen; Fürst Gortschakoff. erklärt darin offen, der moralische Zwang sei das
einzige Mittel, von der Pforte etwas zu erreichen, solange die Mächte nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/111>, abgerufen am 01.07.2024.